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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

schwarzen Endflecks an den kurzen, fast nackten Löffeln des Kanins und der glotzende Ausdruck des großen, kohlschwarzen Auges. Die Wolle ist kürzer und dichter, die Haut oder der Balg weit fester und zäher als beim Hasen, wie dies schon seine abweichende Lebensart erfordert.

Zu den besondern Eigenheiten des wilden Kanins gehört das Ausscharren zahlloser kleiner Grübchen in der Nähe des Baues und auf den Weideplätzen, ferner das bekannte Warnungszeichen, (Klopfen, Stuppen), wobei das beunruhigte Kanin den Hinterkörper mit einem heftigen Ruck auf die Sohlen der Hinterläufe niederschnellt, so daß ein lauter, klappender Schall entsteht. Wird dieses Klopfen innerhalb des Baues fortgesetzt, so hört nun nur einen dumpfgebrochenen Ton, als ob jemand tief unten mit einem Hammer arbeitete, und manchem einsamen Spaziergänger hat dieses regelmäßige, unterirdische Pochen Anlaß zu den wunderlichsten Vermuthungen gegeben.

Als abgesagter Feind der Nässe und Kälte siedelt sich das Kanin am liebsten in einem sand- oder mergelhaltigen Hügellande an. Ob das fragliche Terrain mit Laub- oder Nadelholz bestanden, mit Heide, Ginster und Dornbüschen überwachsen oder völlig kahl ist, bleibt ganz unwesentlich, sobald der Boden nur warmgründig und gute Weide in der Nähe ist. Bei der Anlage seiner Baue befolgt es kein festes System, sondern richtet sich hierin ganz nach den örtlichen Verhältnissen. Wesentlich besteht jeder Bau in mehreren engen Ein- und Ausgangsröhren, welche oft zweigartig verbunden in der etwas erweiterten Kammer zusammentreffen. Auf kahlen Plätzen trifft man mitunter Hauptbaue von 20 bis 30 Röhren und mehreren Kammern, zu denen noch besondere senkrechte Fallröhren führen. Dagegen findet man in jungen Nadelholzculturen oft eine Unzahl kleiner Baue von 2-3 Röhren ohne jeden Zusammenhang über das ganze Terrain zerstreut. Nicht selten quartiert sich das wilde Kanin bei dem Dachse ein und lebt mit dem harmlosen Grimbart auf ganz vertrautem Fuße. Auffallender ist schon das Factum, daß auch Füchse und Kaninchen zeitweilig ein und denselben Bau bewohnen, wie Referent mehrfach zu beobachten Gelegenheit hatte. Die Nähe des Menschen scheut es weniger als jede andere Wildart, es dringt bis in die Vorstädte und siedelt sich selbst auf geräuschvollen Holzschneidereien und Lagerplätzen an, um von dort aus die umliegenden Gemüsegärten zu zehnten. Von einem nähern gesellschaftlichen Verbande der Kaninchen[1] ist bei den hiesigen Lapins keine Spur zu entdecken; zur Winterzeit ziehen sie sich allerdings mehr in die Nähe der größern Hauptbaue, allein mit Einbruch des Frühjahrs zerstreut sich die ganze Sippschaft, mit Ausnahme einiger alten lebensmüden Rammler, wieder in den umliegenden Getreidefeldern und Rapsbreiten.

In Revieren, wo dem Kanin wenig nachgestellt wird, pflegt es den ganzen Tag über in der Nähe seines Baues, von dem es sich niemals weit entfernt, herum zu bockeln. Die eigentlichen Weideplätze besucht es indessen erst gegen Abend und zwar weit früher, als der furchtsamere Hase. Eben so kehrt es Morgens später zurück und sitzt dann oft noch stundenlang an den Waldrändern und Ackerfurchen, um sich zu sonnen und vom nächtlichen Thau zu trocknen. Nach einem warmen Gewitterregen sieht man das Kanin oft schon mehrere Stunden vor Sonnenuntergang auf der Saat oder im jungen Klee sitzen, so unbeweglich, daß es in einiger Entfernung schwer von einem Erdklumpen zu unterscheiden ist. Jetzt bockelt es einige Schritte vorwärts, sichert nochmals und beugt dann rasch den Kopf zur Erde, um in aller Eile ein Mäulchen voll Klee abzurupfen. Im nächsten Moment sitzt es wieder aufrecht and unbeweglich mit stramm aufgereckten Löffeln auf jedes Geräusch horchend, während die großen schwarzen Lichter argwöhnisch nach allen Seiten umherspähen und das stumpfe Näschen sich unter beständigem Schnüffeln langsam auf und nieder schiebt. Dabei wackelt der lange, abgebissene Kleestengel, den es wie eine Cigarre im Munde hält, unaufhörlich und verschwindet allmählich zwischen seinen beweglichen Lippen.

Bei der leidigen Gewohnheit des wilden Kanin, auf dem gewählten Weideplatz hartnäckig zu beharren und hier ein rundes Plätzchen neben dem andern kahl abzuäßen, schadet es natürlich weit mehr, als der umherstreifende, überall naschende Hase. Den Producten der Gartenrcultur giebt es zu jeder Jahreszeit den Vorzug vor den gröbern Früchten des weiten Feldes und ist besonders lüstern nach den ersten Blättern der jungen Stangenbohnen, doch verschmäht es auch junge Erbsen, Blumenkohl und andere Gottesgaben nicht. Man pflegt daher in Gemüsegärten einige weiß getünchte Dachziegel in Giebelform aufzustellen, welche das argwöhnische Kanin, als vermeintliche Fallen, eine Zeitlang respectirt. Im Winter besucht es die Kohlgärten und scharrt unter dem Schnee nach der jungen Saat. Was es im Wald und an den Hecken zur Nahrung aufsucht, ist nicht der Rede werth, und wenn der Werth eines Kanins etwa 7—8 Groschen beträgt, so kann sich der Schaden, den es unter Umständen im Laufe eines Jahres anzurichten vermag, auf eben so viel Thaler belaufen.

Seine Fruchtbarkeit ist bekannt, beinahe berüchtigt. Schon um Mariä Lichtmeß, wenn kaum der erste Stahr mit lustigem Pfeifen seine Ankunft verkündete, haben sich unter den leichtsinnigen Kaninchenjünglingen bereits die hitzigsten Kämpfe um den Besitz einer Geliebten entsponnen. In jungen Schlaghölzern an sogenannten Sommerbergen sieht man sie dann oft bei hellem Tage sich unter Kratzen, Beißen und Quieken herumjagen und balgen, wobei sie mitunter hoch über den Boden gegeneinander springen, daß die Wolle davon stäubt. Ueber die Dauer der Ehebündnisse, die gegenseitige Treue der Gatten und ihr Verhältniß zu den übrigen Colonisten fehlen noch zuverlässige Beobachtungen, doch läßt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen, daß hier etwa dieselben Principien Geltung haben, welche an den Ufern des Salzsee’s eingeführt sind. Noch betrübender für den Moralisten ist die grausame Manie der Kaninchenväter, ihren eigenen neugebornen Kindern nach dem Leben zu trachten, resp. dieselben roh in verzehren! — eine Erscheinung, welche auch bei zahmen Kaninchen und Hauskatzen hin und wieder zu Tage tritt.

Um derartigen Calamitäten vorzubeugen, sondert sich das trächtige Weibchen bei Zeiten von der übrigen Gesellschaft ab und schlägt an entlegenen Orten sein Wochenbett auf. Es gräbt für diesen Zweck eine enge Röhre, deren Kammer mit der eigenen ausgerupften Bauchwolle seidenweich und warm ausgefüttert wird. Beim Fortgehen versäumt das Weibchen niemals, den Eingang mit Moos, trocknem Laub, Gras und Erde dicht zu verstopfen. Derartige Mutterbaue trifft man nicht selten an den abschüssigen Hängen lebhafter Fahrstraßen und Holhwege, oft aber auch an ganz ungewöhnlichen Orten. So fand einer meiner Bekannten einen Satz junger Kanin in seinem Blumengarten und zwar unter der schmalen Einfassung eines Rosenbeetes, kaum drei Finger breit unter der Erde. Die Zahl der Jungen beträgt 4—10, sie sind in der ersten Lebensperiode, wie junge Hunde und Katzen, völlig blind und hülflos, werden aber schon in der dritten Woche von der Mutter in einen größern Bau oder in’s Kornfeld zu den Uebrigen geführt. Die kleinen, kugelrunden Dinger sind nun schon unglaublich behende und selbstständig, die Mutter bekümmert sich nicht weiter um sie, denn diese ist inzwischen bereits ein neues Verhältniß eingegangen und setzt dieses Geschäft mit bekanntem Erfolg bis tief in den Herbst hinein fort. — Man hat berechnet, daß ein einziges Kaninchenpaar sich binnen 4 Jahren bis auf 1,274,800 Stück vermehren würde, falls jedes Individuum am Leben bliebe. Glücklicherweise ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen, und auch der übermäßigen Vermehrung des Kanins hat die Natur nicht allein durch die Mordlust einzelner Rammler die nöthige Grenze gesteckt. Nasse Sommer und schneereiche Winter beschränken ihre Ausbreitung bedeutend, und eine tödtliche Seuche, die in manchen Gegenden periodisch wiederzukehren scheint, rafft oft ganze Colonien hinweg. Ueberdem arbeitet eine Unzahl von Feinden unaufhörlich an der Verminderung seines Geschlechtes und würde dasselbe längst vom Erdboden vertilgt haben, wenn das wehrlose Geschöpf diese andauernden Niederlagen nicht durch seine gewaltige Productionskraft auszugleichen suchte. —

Die Zahl seiner Feinde ist in der That Legion! — Bei der Mehrzahl unserer Jäger rangirt das wilde Kanin etwa wie Habicht und Wiesel, man macht keine besondere Jagd darauf, schenkt ihm aber zu keiner Jahreszeit einen Schuß, wo es sich nur blicken läßt, denn eines gesetzlichen Schutzes in Betreff der Setz- und Hegezeit hat das Kanin sich unsers Wissens nirgends zu erfreuen. Dagegen glaubt ihm der Wilddieb und der schlingenstellende

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 699. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_699.jpg&oldid=- (Version vom 4.11.2022)
  1. Es ist in dieser Beziehung viel gefabelt worden. Man spricht z. B. von der Oberherrschaft eines Patriarchen (in Form des ältesten Rammlers) und rühmt die Subordination, Verträglichkeit und Anhänglichkeit der kleinen Colonisten! – Ein spaßhafter Franzose will sogar beobachtet haben, daß ein krankes Kanin von seinen Cameraden sorgsam verpflegt und ihm regelmäßig ein Mäulchen voll Gras zugetragen wurde! –