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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

sie in langem, wallendem Gewande das Feindeslager, und Niemand vertrat der engelhaften Erscheinung den Weg. So versorgte sie lange Zeit die darbenden Kämpfer, bis endlich das irdische Wesen in ihr erkannt wurde. Der Engel der Burg lag in Ketten, und die hohe Veste fiel. Graf Friedrich suchte sich mit den Tapfersten seiner Schaar durchzuschlagen, gerieth in Gefangenschaft und begab sich, als er auf die Fürbitte der Markgräfin von Brandenburg die Freiheit wieder erlangt, auf eine Wallfahrt zum heiligen Grabe, von der er nicht zurückkehrte. Die stattliche Zollernburg aber ward von den Fäusten der Rache in einen Trümmerhaufen verwandelt, über welchen Würtemberg das Scepter ausstreckte.

Erst nachdem des Oettingers Sohn, Jost Nicolaus, wieder Herr des öden Berges und des Landes geworden war, beschloß er den Wiederaufbau der Burg. Derselbe begann im Jahre 1453, und zwar mit einer absonderlichen fürstlichen Feierlichkeit. Weil nämlich die Reichsstädte sich dem Bau alles Ernstes zu widersetzen drohten, so erschienen auf des Burgherrn Bitte zur Grundsteinlegung seine fürstlichen Freunde und Verwandten, der Erzherzog Albrecht von Oesterreich, die Markgrafen von Brandenburg und Baden und der Graf von Fürstenberg, mauerten mit silbernen Kellen und Hämmern den Grundstein und stellten dadurch die neue Burg unter ihren Schutz. Und weil die Fürsten einiger waren als die Städte, so mußten diese schweigen. Die meisten Bauwerke der heutigen Burg stammen aus jener Zeit.

Wie anderwärts begab es sich auch hier, daß um die Mitte des 16. Jahrhunderts das Wohnen in der Höhe nicht mehr nach dem Geschmack der fürstlichen Herrschaften war; dies widerfuhr auch jenem Eitel Friedrich (VI.), welcher, als das schwäbische Hohenzollern abermals in zwei Linien zerfiel, der Stifter der Linie Hechingen wurde. Er baute sich ein Schloß in der Hauptstadt seines Ländchens, während die Burg als starke Bergveste ihre weiteren Schicksale erwartete. Diese kamen mit dem dreißigjährigen Kriege. Die Schweden eroberten Land und Veste und übergaben Beides an Württemberg; letzterem entrissen es, und zwar durch eine damals sehr übliche List, die Kaiserlichen wieder, indem sie dem Commandanten einen, jedoch gefälschten Befehl seines Herzogs zur Uebergabe zustellten. Für die damalige Kriegskunst galt Hohenzollern für einen Punkt von so großer strategischer Bedeutung, daß Oesterreich mit einer jährlichen Summe von 5000 Gulden von dem Fürstenhause das Recht erwarb, jeder Zeit eine Besatzung daselbst halten zu dürfen. Bis zum Jahre 1740 hatte diese Besatzung über eine halbe Million gekostet, trotzdem übergab sie sich in diesem Jahre, beim Beginn des österreichischen Erbfolgekriegs, ohne Gewissensbisse an ein französisches Corps. Dennoch zog Oesterreich erst im Jahre 1798 seine Soldaten und seine Gulden von Hohenzollern zurück. Nachdem somit die Burg auch ihren kriegerischen Werth verloren hatte, stand sie nur noch als ein Alterthum droben, das der Fremde der schönen Aussicht wegen besuchte. Sie war ihrem gänzlichen Verfall bedenklich nahe, als endlich Preußens Könige die Blicke nach der Stätte ihres Ursprungs hinlenkten. Schon im Jahre 1826 begann man mit den nothwendigsten Arbeiten zur Erhaltung des noch Vorhandenen; die völlige Neugestaltung ist ein Werk der preußischen Krone, mit welcher die Hohenzollernkönige im Jahre 1850 ihre altersgraue Wiege schmückten.

So stehen wir wieder in der Gegenwart und wollen uns hier oben ihrer freuen. Wir begeben uns aus dem Hofe auf den Wall der Burg. Da man bei der Wiederherstellung derselben auch ihr altes strategisches Ansehen vor Augen gehabt zu haben scheint, so ist sie nach der neuesten Befestigungskunst mit Allem ausgestattet worden, was ihr Haltbarkeit versprechen konnte, mit Schanzen und Bastionen, Kugelpyramiden und Geschützen aller Art. Erst König Wilhelm gab der Burg den friedlichen Charakter eines Schlosses zurück. – Wir beginnen unsere Rundschau auf der östlichen Seite des Walls. Zu unseren Füßen liegt der sogenannte „Königsgarten“, die Schießstätte von Hohenzollern, weiterhin wölben sich die Kuppen der waldreichen Höhen und Berge der rauhen Alp hintereinander auf. Mitten aus dem Waldesgrün erhebt sich ein Felsenvorsprung, auf welchem das Kirchlein „Maria-Zell“ heraufleuchtet. Die Legende thut’s nicht anders, sie kann das Kirchlein nicht ohne ein Wunder auf den Fels gebaut sehen. Die Bequemlichkeitsliebe der Menschen hat dieses Haus der Maria unten im Thale aufrichten wollen, die Steine lagen fertig umher und die Stätte war für die Werkleute bereitet, – aber was geschieht? Nächtlicherweile fliegt leise eine Schaar Engel vom Himmel herab, trägt emsig die Quadern auf den Fels und mauert die Kirche fix und fertig auf –

„Und als in Rosenschöne
Erwacht des Tages Strahl,
Da hallten Glockentöne
Hernieder in das Thal.“

Ein frommer Hirte hat’s mit angesehen, sonst wären die lieben Engel wahrscheinlich um die Anerkennung dieser architektonischen Leistung gekommen. Was hat unser deutsches Volk Alles erleben müssen, um Blindheit und Seligkeit verwechseln zu lernen! Noch heute schwört die Gewohnheit auf die zwei Sprüche: „Die Liebe macht blind“ und „der Glaube macht selig.“ Wie manches Licht wird noch im Lande vergeblich verbrennen, bis man zu der Ueberzeugung kommt, daß der Glaube blind und nur die Liebe selig macht!

Entzückend ist der Blick nach Norden. Er umfaßt die mit allem Wechsel der Fruchtbarkeit geschmückte Ebene, die sich bis nach Hechingen hinzieht. Ueber diesem freundlichen Städchen, das sich hinter seinen Obstwald halb versteckt, erhebt sich ein Hügel, an dessen Abhange das Franciscanerkloster St. Lucien liegt, und über denselben reicht das Auge weit in das lachende Schwabenland hinein und erkennt in blauer Ferne den Rechberg und den Hohenstaufen. Es ist wirklich so, wie wenig auch diese beiden Namen neben einander passen.

Wenden wir uns gen Westen, so erfreut uns im Thale der Anblick vieler schmucker Dörfer, in denen der Friede den Wohlstand genährt hat, mitten aus seinem heitern Kranze von Baumgruppen blickt das Lustschloß Lindich hervor, und weit muß der Blick über das blühende Land eilen, bis er den Hintergrund findet, den der Schwarzwald mit blauen Streifen zieht und wo er den Kniebis zum äußersten Wächter gesetzt hat. Noch weiter erstreckt sich die Hochebene nach Südwesten hin; sie reicht über viele Ortschaften und den herrlichsten Scenenwechsel über Rottweil hinaus bis zu den steilen Höhen von St. Georgen; Wälder und Bergzüge mit stolz erhobenen Häuptern winden sich am Horizont hin, und über zwanzig badische Wegstunden scheut der Feldberg nicht, um mit seiner 4650 Fuß hohen Schneekrone seine Grüße herüber zu winken. Fast ganz Oberschwaben liegt vor dem königlichen Hohenzollern ausgebreitet; es war kein Wunder, wenn kühnen Heldengeistern auf dieser Höhe selbst eine Thronstufe nicht zu hoch erschien, um sie zu erschwingen.

Diese Thronstufe ist erschwungen; seit 160 Jahren haben sieben Hohenzollern sich die Königskrone von Preußen auf das Haupt gesetzt; das markgräfliche Gebiet von 500 ist zu einem Königreich von 5000 Quadratmeilen angewachsen, das in Europa zu den Großmächten zählt. Daß die Dynastie diese hohe Stellung nach ihrem tiefsten Fall von 1806 jetzt einnimmt, verdankt sie dem unermeßlichen Opfermuthe des Volks, des preußischen und des gesammten deutschen. Trotzdem haben Beide sich lange Zeit dafür wenig Dankes zu erfreuen gehabt; die Umtriebe der Diplomatie triumphirten über die treuen Völker, bis das in Europa aufgethürmte Unrecht zusammenstürzte und viele der erschütterten Throne auf die neue Gefahr hinwies, die aus den nationalen Wolken hervordrohten, aus denen ein neuer Jupiter seine gefährlichsten Blitze zog. Seitdem wandte die Politik der Hohenzollern sich wieder dem eigenen Volke zu, aber unbekümmert um die Sympathien der übrigen deutschen Stämme, die draußen vor seinen Grenzen stehen – mit dem Programm einer deutschen Nationalpolitik in den hochgehobenen winkenden Händen. –

Es war ein treuer deutscher Mann, der von der Hohenzollernburg, als sie noch im Verfalle lag, einst mit folgenden Worten schied: „Hinter jeder Wiege liegt ein Grab. Auf Aufgang folgt Niedergang. Auch der Stern der Hohenzollern vollendet einen Kreislauf nach ewigen Gesetzen. Verfallen ist das Haus der Ahnen, verfallen wird das Haus der Enkel, bedünke es auch den Erben, es sei für die Ewigkeit gebaut. Aber was länger dauert, als das Geschlecht und sein Haus, sind zwei Blätter in der Weltgeschichte mit der Ueberschrift: Deutschland, Preußen. Ich möchte nimmer ein König sein; aber wäre ich einer, so müßte in meiner Geschichtszeile jedes Wort von Thaten reden, von Großthaten, welche nach Jahrtausenden noch die Völker mit Festen feiern und gute Fürsten zur Nachahmung begeistern.“ – So sprach der Mann, aber wie selten werden solche Wahrheiten gehört.

Fr. Hfm.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 711. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_711.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)