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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Ministeriums aus Kopenhagen. Minister Raaslöff zeigte ihm in demselben an, daß auf ein vor sieben Jahren eingereichtes Gesuch, welches Karberg nach dem Tode des frühern Königs, nur um die Formalitäten zu wahren, eingereicht hatte und welches die nochmalige Bestätigung seines früher bereits bestätigten Privilegii Seitens des jetzigen Königs betraf, nicht eingegangen werden könne. Zu gleicher Zeit erhielt der Amtmann in Apenrade Seitens des Ministeriums den Befehl, die Apotheke zu schließen. An demselben Tage noch wurde von einem Polizeidiener ein Zettel an die Apotheke geklebt, worauf die Vorübergehenden staunend in dänischer Sprache die Worte lasen: „Die Apotheke ist geschlossen.“

Der Apotheker Karberg war ein energischer und muthiger Mann. Er wurde nicht bleich vor Schrecken, als er den Zettel sah, den der Polizeidiener an seine Hausthür klebte. Er ließ jedem seiner Gehülfen eine Flasche Wein geben und trank selbst eine Flasche, „weil doch so Etwas noch nicht in Schleswig passirt sei,“ sagte er. Dann protestirte er gegen dies unerhörte Verfahren bei dem Sanitätscollegium, und wandte sich zu gleicher Zeit im Beschwerdewege an den höchsten Gerichtshof des Landes, an das Appellationsgericht in Flensburg und an das Ministerium in Kopenhagen. Er erhielt die abweisende Antwort, daß es bei dem eingeschlagenen Verfahren sein Bewenden haben müsse. Nun wandte er sich mit der Bitte an den Minister in Kopenhagen, daß es ihm gestattet werden möge, die Apotheke noch ein Jahr lang fortzuführen, um dieselbe in der Zwischenzeit zu verkaufen. Der Minister Raaslöff wies ihn auch mit diesem Gesuche ab.

Ein zufälliger Umstand bewog das Ministerium indeß, von dem eingeschlagenen Wege in Etwas abzuweichen. Auf der Apotheke standen Pupillengelder und Capitalien dänischer Landleute hypothekarisch eingetragen. Diese Hypothekengläubiger erhoben in der Gefahr, vollkommen ruinirt zu werden, ein Geschrei durch das ganze Land. Man fürchtete in Kopenhagen, daß der Lärm zu groß werden würde, und so wurde Karberg gestattet, die Apotheke für eine von einer Medicinalcommission zu bestimmende Summe an einen bestimmten Pharmaceuten, den man ihm nennen würde, zu verkaufen. Diese Commission sollte aus drei Personen bestehen, von denen der dänische Medicinalrath Schleißner die eine, der zukünftige Inhaber der Apotheke die andere sein, und Karberg die dritte wählen möge. Ich brauche wohl nicht hinzuzufügen, daß es auf diese Weise ganz in die Hand der Dänen gegeben war, welchen Preis man für das Eigenthum Karberg’s fixiren wollte. Einige Tage später zeigte auch der Medicinalrath Karberg an, daß ein Däne, Namens Stißgaard, zum zukünftigen Besitzer der Apotheke bestimmt sei. Nun schritt man zur Taxation der Apotheke. Dieselbe lautete auf 10,250 Thaler und 10,000 Thaler für das Privilegium. Zur Charakteristik dieser Taxation diene, daß die Bruttoeinnahme der Apotheke sogar während des letzten Jahres, wo bereits die zweite Apotheke bestand, jährlich 4282 Thaler betrug, daß ferner, selbst nach dänischer Schätzung, das Realprivilegium einen Werth von 30,000 Thaler, und daß Karberg 48000 Thaler für die Apotheke bezahlt hatte. Karberg verlor durch diesen Zwangsverkauf also fast 18,000 Thaler. Man sollte nun denken, die Sache sei zu Ende gewesen. Noch nicht! Man hatte gar nicht daran gedacht, dem jetzt bereits armen Apotheker 18000 Thaler zu bezahlen. Man verlangte die Apotheke umsonst. Ich werde nun mit wenigen Worten eine Reihe von Intriguen schildern, die den Zeitraum eines ganzen Jahres in Anspruch nahmen und den Unglücklichen vollkommen arm und elend machten.

Es wurde Karberg eine Punctation zum Abschluß des Kaufes vorgelegt, nach der der neue Apotheker die Apotheke für die Summe von 22,500 Thlr. zu übernehmen hatte. Hierauf zahlte er bei der Uebernahme der Apotheke nur 2000 Thaler. Die übrigen 19,500 Thaler sollten drei Jahre lang unkündbar stehen bleiben. Die Einwilligung der Creditoren habe Karberg zu beschaffen. Außerdem habe er sämmtliche Kosten und Steuern bis zur Uebernahme zu tragen. Als Karberg diese Punctation sah, erklärte er, er werde und könne sie schon aus dem Grunde nicht unterschreiben, weil er selbstverständlich nicht im Stande sei, seine Creditoren zu vermögen, ihre Capitalien drei Jahre unkündbar stehen zu lassen.

Man erwartete diese Weigerung Karberg’s, um ihm härtere Bedingungen aufzuerlegen. Die Veranlassung war gefunden. Sofort erhielt er ein weiteres Schreiben des Käufers, worin ihm dieser anzeigte, daß nun auch er von dem stipulirten Kaufe zurücktrete, und er ihm durch seinen Sachwalter andere Bedingungen stellen lassen werde. Diese Bedingungen wurden dem unglücklichen Karberg auch sofort mitgetheilt. Sie waren unerhört und bestanden in nichts Geringerem, als Karberg sollte seine Gläubiger dahin bringen, von ihren Forderungen 35 Procent fallen zu lassen, angeblich aus dem Grunde, um die letzten beiden Gläubiger zu decken, welche sonst ausfallen würden. Der neue dänische Apotheker dachte auf diese Weise noch 3487 Thlr. zu lucriren.

Natürlicherweise schlug Karberg dies neue Ansinnen ab und verlangte contractmäßige Abnahme der Apotheke. Der dänische Apotheker sagte Nein, um das Unmögliche durchzusetzen. Man vergesse nicht, daß während der ganzen Zeit, nämlich seit fast einem Jahre, wo diese Verhandlungen schwebten, die Apotheke geschlossen war, daß die Waarenvorräthe und das Verkaufslocal versiegelt waren, daß also sämmtliche Waaren verdarben, daß Karberg aber sämmtliche Lasten und Steuern, welche auf der Apotheke ruhten, tragen mußte. Der Arme war in einem verzweifelten Zustande. Das Vermögen, das ihm aus dem Erlös der Apotheke noch übrig blieb, verminderte sich von Tage zu Tage. Er mußte Steuern und Lasten bezahlen, ohne einen Schilling Einnahme zu haben.

Sein Gesundheitszustand wurde täglich schlechter. Nochmals wandte er sich verzweifelnd in einer ganzen Reihe von Bittschriften, Angaben und Rechtausführungen an die Polizeibehörde, an den Amtmann, an das Appellationsgericht, an das Ministerium. Entweder er erhielt gar keine oder nur abschlägliche Bescheide. „Es giebt in Schleswig gar kein Recht!“ Diese Worte habe ich alle Tage in Schleswig gehört, und Karberg hat die schreckliche Wahrheit dieses Ausspruchs im reichsten Maße erfahren. Der Unglückliche begriff immer noch nicht, daß die Dänen seine Apotheke umsonst haben wollten, und daß noch ein neuer Streich gegen ihn geführt werden solle. Es wurden neue Anschläge gemacht. Genug, diese beispiellose Vergewaltigung endigte damit, daß die beiden letzten Gläubiger auf ihre eingetragenen Forderungen zum Betrage von 675,0 Thalern verzichteten, wenn die Apotheke sofort von dem neuen Käufer übernommen werden würde. Das geschah am 6. Januar 1856, fast ein Jahr nach dem gewaltsamen Schluß der Apotheke. Alle Manövres und Intriguen waren nur auf dies letzte Ziel berechnet gewesen. Diese Verzichtleistung hatte man von Anfang an beabsichtigt und sie dadurch, daß man Karberg’s Lage täglich verzweifelter machte, zu erzwingen versucht. Man wußte, daß diese Verzichtleistung gelingen würde, denn – – die zuletzt eingetragenen Gläubiger waren Karberg’s Bruder und Schwager.

Das Märtyrerthum des unglücklichen Apothekern war zu Ende. Er war ein ganz armer Mann geworden und auf das Gnadenbrod bei seinen Verwandten, welche selbst einen großen Theil ihres Vermögens eingebüßt hatten, angewiesen. Er lebte noch fünf Jahre in schwerer Krankheit und im Wahnsinn. Dann starb er, ein beklagenswertes Opfer unerhörter Zustände und einer unerhörten Vergewaltigung, zu der sich Behörden, Gerichte und Minister wechselseitig die Hände gereicht hatten, um sie zu vollbringen.

Ich aber schließe meine Erzählung eines Actes dänischer Gerechtigkeit in Schleswig mit den Worten, mit denen das mir vorliegende Manuscript beginnt. Nachdem darin von den lieblosen und auf vollständiger Unkunde der Verhältnisse beruhenden Urtheilen über Schleswig-Holstein, welche der Verfasser bei einer Reise durch Deutschland hat hören müssen, die Rede gewesen ist, heißt es: „Schreiber dieser Zeilen, ein dem Greisenalter nahestehender Mann, geborner Schleswig-Holsteiner, des Landes und des Volkes, unter dem er gelebt, in aller und jeder Hinsicht kundig, im Genuß einer unabhängigen Muße, welcher von den Dänen, weil er ihrer Macht entzogen, Nichts zu fürchten, von den Deutschen Nichts zu erbetteln hat, hält es für seine Pflicht, da er dergleichen Urtheile bei Gelegenheit einer Reise durch Deutschland hörte, ein Zeugniß abzulegen in Sachen Schleswig-Holsteins und Dänemarks.

Gustav Rasch. 



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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 714. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_714.jpg&oldid=- (Version vom 9.11.2022)