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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Contingent der Schüler angehört, sich mit der braunschweigischen Regierung zur Verbesserung der äußeren Einrichtungen der Schule einigen werden? Und wenn dieser gute Wille vorhanden, wann dürften die darüber zu pflegenden Verhandlungen zum Abschluss und wann endlich zur Ausführung kommen? –

Euch Allen aber im großen deutschen Vaterlande mag das Vorgeführte als Beleg dienen, daß Einigkeit und Einheit nicht blos den Franzosen, Russen und zur Abwechselung einmal den Japanesen gegenüber noth thut, sondern daß es auch im Lande der kleinen Angelegenheiten genug giebt, die der Abhülfe warten. Ist doch das Einschlagen eines Nagels im Hause mitunter nothwendiger, als das Abputzen der Außenwände und das Auflegen eines neuen Daches!

Jul. O. Wesinger.




Erinnerungen an Wilhelmine Schröder-Devrient.

Von Claire von Glümer
XII.

Nach unsäglichen Quälereien kam endlich der Proceß gegen Herrn von Döring zum Abschluß, d. h. Wilhelmine erkaufte sich ihre Freiheit für eine namhafte Summe, die sie theils durch ein kleines Capital, das sie noch bei Verwandten ausstehen hatte, theils durch den Beistand treuer Freunde zusammenbrachte. Die Lösung dieser Ehe war eben dem ganzen Verlauf derselben angemessen.

Inzwischen war Wilhelmine auf einige Zeit nach Dresden zurückgekehrt und hier empfing sie einen Beweis von Theilnahme, von dem sie oft mit der innigsten Dankbarkeit erzählte. Ein Unbekannter – dem höhern Bürgerstande angehörend – schickte ihr aus Berlin eine Summe Geldes; er schrieb dabei in einfach herzlicher Weise, daß er von den bedrängten Verhältnissen der Künstlerin gehört hätte, und bat sie, den kleinen Tribut seiner Verehrung nicht zu verschmähen. Wilhelmine antwortete ihm:

„Dresden, 30. December 1848.     

„Geehrtester Herr! Vergebens würde ich mich bemühen, Ihnen die freudige Ueberraschung zu schildern, welche mir der gestrige Empfang Ihres Schreibens bereitete. Nehmen Sie den tief gefühltesten Dank und die Versicherung, daß ich den ganzen vollen Werth Ihrer Hingebung aus tiefster Seele anerkenne! Sie sind der einzige Mensch, der in unserem großen deutschen Vaterlande daran gedacht hat, daß eine deutsche Künstlerin in Noth sein könnte, und sicher machen Sie hier eine große Ausnahme, denn noch habe ich es nicht erlebt, daß der Deutsche es zur Nationalsache gemacht hätte, seine heimischen Künstler nicht untergehen zu lassen, ein Beispiel, welches uns alle andern Nationen so oft gegeben, was aber in Deutschland noch keine Nachahmung gefunden. – Mich hat schweres Unglück getroffen, doch bin ich davon mehr moralisch als materiell niedergebeugt; ich weiß mich einzuschränken und habe das Glück, die Entbehrung aller überflüssigen Bedürfnisse nicht zu fühlen. Wären meine Seelenleiden nicht so tief, so hätte ich mich vielleicht schon längst wieder aufgerafft und durch die Ausübung meiner Kunst meine äußere Lage verbessert. Indessen davon hält mich für den Augenblick mehr als ein Grund ab, und wahrscheinlich werde ich das bescheidene Loos, welches mir gefallen, dem Rücktritt in die Kunstwelt vorziehen. Nehmen Sie Ihre Freundesgabe zurück – ich bedarf ihrer in diesem Augenblicke nicht, gestatten Sie mir aber, mich im Fall der Noth offen und vertrauensvoll an Sie zu wenden, was ich mit voller Unbefangenheit thun werde, denn Sie sind mir seit gestern kein Fremder mehr! Mitte Januar bin ich in Berlin und werde den Winter dort zubringen. Ich werde keine Fehlbitte thun, die dahin geht, daß mein erster Gang zu Ihnen sein darf.

Da ich nicht die Freude habe persönlich von Ihnen gekannt zu sein, so kann sich nur die Künstlerin Ihr Wohlwollen erworben haben, und das macht mich stolz! Ich habe ein aufrichtig redlich Herz, und mit diesem Herzen dankt Ihnen und grüßt

Ihre achtungsvoll ergebene          
Wilhelmine Schröder-Devrient.“

Die Künstlerin hat dann auch die Bekanntschaft des wackern Mannes gemacht und hat ihm bis an ihr Ende die freundschaftlichste Zuneigung bewahrt.

Anfang März 1849 ging Wilhelmine nach Paris. Das Verlangen nach künstlerischer Thätigkeit war endlich erwacht, und sie hoffte dort am leichtesten Anknüpfungspunkte zu finden. Aber die Zeitverhältnisse waren ihren Plänen nicht günstig, die politischen Kämpfe verschlangen jedes andere Interesse; überdies bedurfte sie einer längeren Ruhe für ihre durch Anstrengung und Leiden sehr erschöpfte Stimme – sie kam unverrichteter Sache nach Deutschland zurück. Im Mai führten ihre Geschäfte sie nach Dresden, und hier erlebte sie den Ausbruch der Mairevolution, die auch auf ihr Leben einen unberechenbaren Einfluß gewinnen sollte.

Es war am Nachmittag des 4. Mai, als am Zeughause die ersten Opfer fielen. Wilhelmine befand sich in der ersten Etage eines Hauses am Altmarkt, als plötzlich der ganze Platz von wüthendem Geschrei erdröhnte. Sie stürzte an’s Fenster – ein paar blutende Leichen wurden vorbei gefahren, und die wilden Ausrufungen des Volkes, das die Karren umdrängte, machten ihr den ganzen Vorgang klar. Mit einem Schrei des Entsetzens antwortete sie auf das Toben der Menge. Aber schon im nächsten Augenblick wurde sie vom Fenster zurück gezogen – und ihre vielbesprochene Betheiligung am Maiaufstande, die ihr später unzählige bittere Stunden bereiten sollte, war zu Ende!

Wie die meisten Frauen wurde auch Wilhelmine in ihrer politischen Richtung nur durch das Gefühl bestimmt. Zu allen Zeiten hatten sich ihre Sympathien dem Volke zugewandt, – wie viel mehr mußte das in jenen Tagen der Fall sein, als ein frisches Leben in die Massen drang und Jeder bereit war, Gut und Blut im Kampfe für seine Ueberzeugung hinzugeben. – Sie hätte nicht sie selbst sein müssen, wenn sie beim Anblick dieser noch blutenden Wunden, dieser eben gebrochenen Augen im Stande gewesen wäre, den Jammerschrei ihres Herzens zu unterdrücken.

Am nächsten Morgen verließ Wilhelmine die von allen Schrecken des Bürgerkrieges bedrohte Stadt. „Der Frühling hatte sich in voller Schönheit über die Erde ausgebreitet,“ schreibt sie, „und nie werde ich den erschütternden Eindruck vergessen, den es auf mich machte, als ich durch die üppig blühenden Fluren fuhr, über welche der Himmel seinen hellsten Glanz ergoß, während aus der im Thale liegenden Stadt die Sturmglocken des Aufruhrs herüber schallten. Tief habe ich da Schiller’s Worte empfunden:

„Die Welt ist vollkommen überall,
Wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual.“

Wilhelmine wendete sich zunächst nach Gotha und von dort nach Heidelberg. Aber schon nach wenigen Wochen wurde sie durch die wachsenden Unruhen aus Baden vertrieben und ging nun in die Schweiz, die sie nur zum kleinsten Theile kannte. Sie wohnte längere Zeit am Brienzer See. In der Frische und Stille, in der Pracht der Natur, die sie hier umgab, fand sie Genesung für Leib und Seele. Als der Winter sie abermals nach Paris führte, war sie wieder heiter, lebensmuthig, hoffnungsreich. Im Laufe dieses Winters verlobte sie sich mit Herrn von Bock aus Livland, den sie seit Jahren kannte, und in dem sie das volle Verständniß, die treue Liebe fand, deren sie so sehr bedurfte. Am 14. März 1850 wurden sie in Gotha getraut. Wilhelminens Künstlerlaufbahn war damit abgeschlossen.

Nur zu bald sollte Wilhelmine erfahren, daß auch die innigste Herzensbefriedigung nicht vor Kämpfen und Schmerzen schützt. Sie begleitete ihren Mann nach Livland, wo derselbe Ritterschaftsgüter in Pacht hatte und das Gut Trikaten bewohnte. Sie trat damit in Verhältnisse ein, die ihrem Wesen, ihrer Eigenthümlichkeit nach keiner Seite angemessen waren. Die Gleichförmigkeit des Landlebens hätte schon an und für sich genügt sie unglücklich zu machen. Sie bedurfte eines immerwährenden wechselvollen Verkehrs mit der Außenwelt, weniger um Anregungen zu empfangen, als um den Reichthum des eignen Wesens auszuströmen. War ihr das versagt, so wurde ihr das rastlose Treiben und Fluthen ihres Geisteslebens

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 717. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_717.jpg&oldid=- (Version vom 10.11.2022)