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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

wer weiß, wo mich der Strom des Lebens hinführen wird. Zudem fühle ich durch die letzte Katastrophe meines Lebens mein Herz so angefüllt mit Bitterkeit und Groll, daß es am besten ist, ich scheide auch von den letzten wenigen Freunden, die mir leider zu fern stehen, als daß sie diese herben Empfindungen in meiner Brust mildern könnten. Wie klein diese Zahl wahrer, aufrichtiger Freunde war, die ich mir mit aller Treue und Offenheit von meiner Seite im Leben erworben hatte, das hat mich die letzte Zeit gelehrt. Doch fahret hin! –“

Den Sommer 1852 verlebte Wilhelmine von ihrem Gatten getrennt theils in Coburg, theils in Ems und Schlangenbad. Im Herbst kam Herr von Bock, sie nach Paris abzuholen. Mit ihm vereinigt, in Umgebungen, die ihr behagten, inmitten eines regen geselligen Verkehrs, fand sie die verlorne Frische und Freudigkeit wieder. Aber trotz ihrer entschiedenen Vorliebe für die Franzosen und für französisches Wesen fühlte sich Wilhelmine doch eigentlich nur heimisch und behaglich, wo das deutsche Element vorherrschte, und so waren es denn auch vorzugsweise deutsche Künstlerkreise, mit denen sie verkehrte. Unter diesen behaupteten eine hervorragende Stelle – auch in der Vorliebe Wilhelminens – die Abende bei Ferdinand Hiller, der damals in Paris lebte und mit dem sie seit Jahren in den freundlichsten Beziehungen stand. Dort war man sicher, den ausgezeichnetsten Persönlichkeiten aus der französischen und deutschen Künstlerwelt zu begegnen, und es fehlte, unter den Auspicien des Meisters, nicht an den auserlesensten musikalischen Leistungen.

Ueberhaupt gab sich Wilhelmine den künstlerischen Genüssen, die Paris in so reichem Maße bietet, mit voller Seele hin. Der Besuch von Museen – besonders der Antiken im Louvre – entzückte sie immer aufs Neue. Wie hoch sie die Leistungen der Doche, der Rachel schätzte, ist bereits gesagt. War sie mit der musikalischen Richtung im Allgemeinen nicht einverstanden, so litt sie doch nicht so dabei, als wenn ihr dergleichen „Verirrungen“ in Deutschland begegneten – wie wir ja nie von Fremden so viel verlangen, wie von unsern Freunden – und daß auch die Musik, die sie als die rechte, echte erkannte, ihren Einfluß, ihr Publicum nicht verloren hatte, sah sie mit großer Freude.

Ihr selbst war im Laufe dieses Winters noch einmal beschieden, die deutsche Kunst aufs Würdigste zu vertreten. Sie sang zum Besten des deutschen Hülfsvereins und am folgenden Morgen erhielt sie von dem bekannten Kritiker Gathy folgende Zeilen:

„Paris, den 11. Februar 1853.

„Verehrte Frau! Wozu es mich gestern unwiderstehlich drängte in meiner Freude, das muß ich heute geistig wiederholen: Ihnen die Hand drücken, so recht aus der Fülle des bewegten Herzens.

Das war ein Triumph deutscher Kunst in Paris! Welche Bewegung beim Erscheinen der großen Sängerin, deren Name auch hier in der Fremde am Kunsthimmel in ungetrübter Glorie prangt! Bei ihrem Auftreten welche Spannung der Gemüther, welche Gefühle bei ihrem Gesang, wie schwebten über uns Allen die Töne so übermächtig, daß unter ihrer hinreißenden Gewalt Alle in eine einzige Seele zusammenflössen, in eine und dieselbe Empfindung! Von dem Ausdruck der Begeisterung, von dem nimmer rastenden Ergusse will ich schweigen. Und wie Viele waren, denen der Zauber der Worte, dieses zum vollen Verständniß und Genuß des Kunstwerks so wesentlichen Theils, gänzlich unzugänglich blieb! Ein Sieg der reinen Gemüthskraft also, in der Vollendung des künstlerischen Ausdrucks.

Und war es nicht charakteristisch und wahrlich rührend zugleich, daß flüsternd von Mund zu Mund auf französischen Zungen durch den ganzen Saal das begeisterte Wort „Fidelio“ flog und Erinnerungen belebte, die, wie in ganz Deutschland, auch hier unverlöschlich bleiben, hier in Paris, dem Orte des Leichtsinns und des Unbestandes, des Wechsels und der Vergeßlichkeit aller Dinge, der höchsten und wichtigsten Angelegenheiten? Wie muß sich nicht glücklich fühlen bei solchem Erlebnis; der Hochbegabte, im stolzen Bewußtsein seiner so mächtig einwirkenden Persönlichkeit!

Ja, es ist noch immer dieselbe geniale Frau, die wir früher gekannt; und mit dem Namen Fidelio auf immer verschmolzen und unsterblich in den Annalen der Geschichte, bleibt als Ausdruck des höchsten Kunstgenusses, als Gegenstand der unbedingten Bewunderung den Herzen der Zeitgenossen theuer der Name Schröder Devrient.

Aug. Gathy.“




Blätter und Blüthen.


Die Gamskrickel. Auf meiner Wanderschaft, erzählte jüngst ein guter Leipziger, verließ ich an einem Herbstmorgen des Jahres 1846 den berühmten Wallfahrtsort Mariazell in Obersteiermark, um nach Gratz über das Gebirge zu gehen. Der Weg führt in einem ziemlich breiten Thal zwischen den hohen Bergen nach einem großen k. k. Eisengußwerk, das dabei liegende Dörfchen durchschneidend, bis zu dem hohen Seeberge, an dessen Fuße die Bergwerke sich befinden, wo der Eisenstein gegraben wird, und dessen Spitze der Brandhof, Wohn- und Jagdhaus des Erzherzog Johann, krönt. Während des mühsamen Steigens fiel mir erst ein, daß ich ja eigentlich auf dem Wege in die Heimath sei und daß ich ein kleines Andenken an das schöne Bergland mitnehmen könnte, nur war ich noch nicht recht mit mir im Klaren, was es sein sollte. Da hörte ich plötzlich hoch oben am Felsen Hundegebell und Büchsenknall und erkannte dort eingerammte Holzpfähle, an denen Leinen gezogen und in deren Mitte rothe Lappen befestigt waren, welche im Winde flatterten. Das Alles deutete auf eine Treibjagd, und nun wußte ich auf einmal, was ich mitnehmen könnte: ein Paar Gamshörner! das giebt schöne Stockgriffe oder Tabakspfeifenkrönchen, so dachte ich und stieg auch schon rechts in die Höhe, um wo möglich mit einem Jäger sprechen zu können.

Nach ziemlich mühevollem Steigen oben angelangt, sah ich einige hundert Schritt vor mir 12 bis 15 Jäger auf Steinen und um Eßkörbe hergelagert, und auch die Treiber am andern Ende des großen eingelappten Bergplateaus saßen beim Frühstück, aber Alle blickten vor Erstaunen über das Erscheinen eines wildfremden Menschen von ihrer Mahlzeit auf. Ich konnte ihnen das um so weniger verdenken, als jedenfalls meine Repräsentation der Art war, daß auch andere Leute, als diese einfachen, nur in ihren einsamen Bergen lebenden Alpenjäger, sich verwundert hätten, wenn ich so plötzlich ohne Einladung mit zerrissenem Rock und Hosen, abgerissener Reisetasche, voller Erde und Schmutz und dabei so roth wie ein Zinshahn vor Hitze im Gesicht vor ihnen gestanden hätte; denn bei meinem Eifer hinauf zu kommen war ich mehrere Male gestürzt, Strecken zurück gerutscht, hängen geblieben an Steinen und verkrüppelten Bäumen und endlich auf allen Vieren kriechend oben angelangt. Da stand ich nun und sah die Leute an, und diese mich, denn unter der gezogenen Leine getraute ich mich nicht wegzukriechen, da ich nicht wußte, ob es erlaubt sei, und dabei muß ich noch ein ganz besonders dummes Gesicht gemacht haben, denn Alle fingen an zu lachen, bis endlich Einer von ihnen, ein großer, starker Mann, aufstand, mir einige Schritte entgegenkam und mir winkte. Da schritt ich denn tapfer darauf los. Meinen unterthänigen Gruß erwiderten Alle freundlich und luden mich zum Sitzen ein, woraus mein großer Erretter fragte, wo ich herkomme, wer und was ich sei und was ich denn eigentlich wollte. Ich erzählte nun ausführlich, daß ich von Zell käme, nach Hause wolle und da ich die Jagd gehört, heraufgekommen sei, um für Geld und gute Worte einige Gemshörner einzuhandeln, wenn sie solche hätten.

Schon bei meinen ersten Worten merkte ich, daß die Leute meinen sächsischen Dialekt nicht verstanden, und als ich nun mit meinem Vortrag fertig war, erhob sich ein anderer von den Jägern, ein Mann von mittler Größe, mit dünnem, weißem Haar, denn er war schon alt, aber gekleidet wie die Andern, stellte sich vor mich und sagte: „Jesus, Maria! was plauscht der Talk daher? Sag’ mir a mal, was Du eigentlich begehrst.“ Ich wiederholte meine Bitte um einige Gemshörner und um derselben mehr Nachdruck zu geben, zeigte ich auf das Horn, welches oben an dem Bergstocke angebracht war, den er in der Hand hatte ; er lachte und sagte: „Ah so!“ fragte mich in seinem österreichischen Dialekt, woher des Lands ich sei, und da ich ihm Leipzig in Sachsen nannte, schwieg er erst einige Zeit und meinte dann, daß es bei uns freilich keine Gemsen gäbe, dann drehte er sich nach seinen Leuten um mit den Worten: „Wißst’s denn, was der Narr begehrt?“ und da Alles schwieg, sagte er lachend: „Er will halt a Paar Gamskrickel!“ – Nach dem allgemeinen lauten Gelächter fragte er: „Hast denn schon a Gams gesegen?“ und da ich dieses verneinte, rief er dem großen Jäger zu: „Du, Franzel, zeig’ sie ihm!“ woraus wir Alle um einen großen Felsblock, ganz in der Nähe gelegen, herumgingen.

Da lagen sie, die schönen Thiere, todt und voll Blut, mit den schwarzen, offenen Augen, fast noch warm und halb mit Tannenreisig zugedeckt, elf Stück, alle nebeneinander. Da ich wirklich noch niemals Gemsen in natura gesehen hatte, so war ich natürlich sehr erstaunt über ihre Größe und Stärke, ich hatte mir dieselben kleiner und zarter gedacht. Nachdem ich mich nun satt gesehen und dieselben auch angefühlt hatte, zeigte ich auf die schönsten und größten Hörner und fragte, ob ich dieselben erhalten könnte, worauf mir der alte Jäger erwiderte, daß das eigentlich kein Gebrauch sei, das Gehörn auf dem Jagdplatze auszubrechen und zu verkaufen, da er aber zufällig den von mir bezeichneten Bock selbst geschossen, so wolle er für diesmal eine Ausnahme machen und mir gegen Zahlung des Schußgeldes von 5 Groschen Schein oder 6 Kreuzer Conv.-Münze dasselbe überlassen. Er nickte dem großen Jäger Franzel zu und hielt mir dann die Hand hin, um das Geld einzustreichen.

Freudig holte ich meinen kleinen Beutel aus der Tasche und zählte ihm 5 große kupfere Groschen à 3 kr. Schein in die Hand, wobei er und die andern Alle heimlich vor sich hinlachten, dann steckte er das erhaltene

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 719. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_719.jpg&oldid=- (Version vom 10.11.2022)