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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

No. 46.   1861.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Das Bombardement von Schärding.

Von Herm. Schmid.


Der alte Rentbeamte Regler war ein freundlicher Mann, dem Alles wegen seiner Herzlichkeit und seines offenen Wohlwollens gut war. Wenn er mit seinem schneeweißen Kopfe den Weg zur Kirche herankam oder durch’s Thor ging, um über die Brücke oder längs des Capuzinerklosters seinen Spaziergang zu machen, da nickten ihm von allen Seiten, aus allen Fenstern lächelnde Grüße zu, und aus jeder Hausthüre scholl ihm irgend ein freundliches Wort entgegen. Er kam auch selten weit auf seinen Spaziergängen, denn links und rechts gab es Veranlassung still zu stehen und mit Jemand zu plaudern. Bald waren es Kinder, die von ihrem Spielzeuge wegsprangen, um mit einem halb verlegenen „Grüß Di’ Gott“ dem bekannten Spaziergänger die Hand zu reichen, der für solche Fälle immer eine kleine Kindergabe in der Tasche trug; bald war es irgend eine bedrängte Hausfrau, der es wohl that, die kleinen Sorgen ihres Haushaltes vor dem alten Manne auszuschütten, der, wenn er auch nicht zu helfen vermochte, doch mit einer Art zuhörte, daß es der Klagenden wohl that – bald endlich war es ein Bürger oder ein Bauer, der mit den Behörden auf irgend eine Art zusammengerathen war und der sich glücklich fühlte, sich bei dem erfahrenen Beamten Rath zu holen, der an Allem so lebhaft Antheil nahm, als wenn er noch zur Stunde nach seinem Lieblingsausdrucke – „der Rentteufel“ gewesen wäre.

Was ihm so besonders die Herzen gewann, lag nicht darin, daß er mit den Leuten sprach, sondern in der Art, mit welcher er es that. Er war immer heiter und hatte ein passendes Scherzwort in Bereitschaft, das nie verletzte, weil dahinter ein Gemüth voll reiner, tiefer Empfindung lag, wie unter dem plätschernden, gefahrlosen Wellenspiel einer Quelle der klare, trotz der Tiefe erkennbare Grund. Es geschah nicht blos, daß die Kinder, schnell beruhigt, durch Thränen hindurchlachten, sondern auch die Erwachsenen fanden Behagen daran, wenn durch die Wolken ihrer Betrübniß und den Sprühregen ihres Kummers ein Lichtstrahl fiel, wie rother Sonnenuntergang nach einem trüben Tage, oder ein Sonnenblick mitten im Aprilregen. Hier wie dort brach sich das einförmig traurige Grau zur Farbe; damit kam Beruhigung, denn wenn auch gebrochen, die Farbe ist doch Licht.

Diese Munterkeit, der volle Wiederschein innerer Harmonie, machte den Grundzug seines Wesens aus, und wie er Andere damit erfreute, war sie der Stab, woran sein eigenes Leben sich emporrankend Kraft und Stütze gewann. Sie verließ ihn auch nicht bis an’s Ende, der beste Beweis, daß er nicht zu den Hohlheiten gehörte, welche die innere Leere und Dunkelheit durch ein Feuerwerk von Witz verdecken wollen, das sie Andern und sich selbst vormachen. Sie mögen damit manchmal die Zuschauer täuschen, während der im Grunde trübselige Feuerwerker nur zu gut fühlt und weiß, daß der Funkenregen nur ein Blendwerk ist. Er blieb sich gleich, auch nachdem Leid und Mühsal aller Art über ihn gekommen; nachdem, einen Volksausdruck zu gebrauchen, das Unglück „tausend Mann stark“ über ihn hereingebrochen war.

Wie er nun Allen werth war, die ihn kannten, war er es mir doppelt, denn er war mein Großvater und die Ferientage, die ich in seinem Hause zubringen durfte, stehen in der Sammlung meiner Erinnerungen bleibend aufbewahrt, als die schönsten Exemplare von Angedenken aus der Jugendzeit. Stunden-, ja tagelang lauschte ich mit wahrem Seelenvergnügen den Ereignissen aus seinem viel bewegten Leben, die er so lebhaft vorzutragen wußte, daß man sie mit dem Erzähler nochmal durchzumachen glaubte. Oft äußerte er dabei den Vorsatz, er wolle sich einmal darüber setzen und nieder schreiben, was ihm Alles auf seinem langen Lebenswege begegnete. Ich munterte ihn jederzeit auf, das ja zu thun und hoffte bestimmt, daß sein Rücklaß die versprochene Schilderung enthalten werde. Als er aber dahin gegangen war, wie ein Licht auslöscht, das seine Umgebung so lieblich erhellt hat und doch für den später Kommenden in keiner Spur wahrnehmbar bleibt, da fanden sich nichts als Anfänge, zerstreute Blätter und Vormerkungen, wie man sie zu einer solchen Arbeit macht, ein Ganzes war nicht vorhanden.

Die folgende Erzählung ist ein solches abgerissenes Blatt; ich gebe es ohne viele Zuthat, als Bruchstück eines wackern Seins, das einst in allen Regenbogenfarben der Freude über einer dunklen Folie geschimmert hat. Vor uns liegt und dehnt sich das Leben noch voll und unzertrümmert; vielleicht dient die Betrachtung des Bruchstücks dazu, den Strahl zu erkennen, der die an sich todte Masse leuchten macht.




Der Winter von Anno Achte ging unter sehr bedenklichen Anzeichen zu Ende. Man sprach immer lauter davon, daß die Allianz zwischen Oesterreich und dem Kaiser Napoleon angefangen habe locker zu werden, aber mich bekümmerte das im Ganzen sehr wenig. Ich saß damals bereits seit zwei Jahren als wohlbestallter kaiserlich königlicher Controllor am Landgericht zu Schärding am Inn und fing soeben an die Behaglichkeit einer sorgenfreien Stellung zu genießen. Mir war ungefähr so, wie wenn man lange in strenger Kälte gewandert ist und dann in der warmen Stube empfindet, wie das Leben in die steif gefrorenen Glieder zurückzukehren beginnt. – Wie ich das niederschreibe, finde ich, daß das Gleichniß, das mir da so in die Feder gekommen ist, sehr gut paßt, denn mein Dasein und meine Wanderung an der Seite meiner geliebten Katharina war bis dahin in der That, als wären wir in einer Winterkälte von zwanzig Graden im Walde und bei Nacht nach Monduntergang und vor Sonnenaufgang unterwegs gewesen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 721. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_721.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)