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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Ueber all dem Jubeln, Singen und Feiern des Sängerfestes hatte ich die Tochter des Adam Lux nicht vergessen. Am Abend des nächsten Tages mahnte ich meinen Freund, sein Versprechen zu erfüllen, und wir gingen den heute so viel stillern Weg hinaus nach dem kleinen Häuschen.

An der niedrigen Hofthüre sagte uns ein junges strickendes Mädchen, die Tochter der Gemüsegärtnerin, der die Wohnung gehört, daß die alte Dame zu Hause sei, und wir stiegen die schmale, reinliche Treppe hinauf zu dem Zimmer, das sich auf unser bescheidenes Klopfen öffnete.

Eine kleine freundliche Frau bewillkommnete meinen Freund mit einiger Verlegenheit, weil sie meinte, Zimmer und Toilette sei nicht in der besten Ordnung, um Besuch zu empfangen. Er beruhigte sie rasch darüber und stellte mich als einen seiner Bekannten aus der Ferne vor, der aus großem Interesse an ihres Vaters Wirken und Schicksal ihre Bekanntschaft zu machen wünsche.

Die heitere, milde Gestalt drückte mir dankend die Hand und nöthigte mich, neben ihr auf dem einfachen schwarzen Kanapee zu sitzen, wo ich im Laufe des Gesprächs ihr Aeußeres, das von dem Lichte des Hoffensters beleuchtet wurde, betrachten konnte.

Das Alter – sie zählt schon 72 Jahre – hat tiefe Furchen in angenehme Gesichtszüge geschnitten, die von dem freundlichen Blicke der blauen, aber schwachen Augen beherrscht werden. Eine feine Röthe färbt immer noch die schmalen Wangen, die von einer weißen Krause und einem schützenden Spitzentüchelchen eingerahmt sind. Weder Crinoline, noch bauschende Kleider umhüllen ihren zerbrechlichen Körper, und nur das einfachste dunkle Wollenkleidchen fällt auf die Füße hernieder, die übrigens die einsame, fast verlassene Frau bei gutem Wetter, wie sie mir sagte, alle Morgen auf größere oder kleinere Spaziergänge leiten müssen.

Die Einrichtung des kleinen, aber hellen Zimmers, nebst dem daran stoßenden Schlafstübchen und dem dunkeln Heerde daneben, ist äußerst einfach, dünkt ihr aber ein köstliches Besitzthum zu sein, weil sie erst seit einem halben Jahre, die Arme, die einzige und unumschränkte Besitzerin einer jeweiligen Wohnung ist – die Folge drückender Verhältnisse. An der bis zur Hälfte der Zimmerhöhe gehenden Vertäfelung der einen Wand steht ihr altes liebes Instrument, das sie sich durch viele Stürme des Lebens hindurch gerettet hat, und dessen kurze Tasten noch manchmal von ihren zitternden Fingern zu einem Chorale angeschlagen werden, wenn ihre Verlassenheit, ihre alten Tage sie ängstigen wollen und sie sich auf’s Neue Stärke und Heiterkeit da suchen muß, wo, wie sie mit kindlichem Glauben und Vertrauen sagt, auch sie nicht vergessen ist. Gegenüber an der Wand hängen über einem kleinen Tischchen im Kreise herum mehrere Silhouetten von Freunden aus früherer Zeit und geben der alten Frau schmerzliche und liebe Erinnerungen.

Sie erzählte mir auf leise Fragen hin, wie sie – eine geborne Mainzerin – hierher nach Nürnberg verschlagen wurde, wo sie als kinderlose Frau ihren Mann verlor, der in einem dortigen Geschäfte Mitantheilhaber gewesen. Schon lange Jahre ist er jetzt gestorben und hatte sie allein ohne Kinder und ohne nahe Verwandte zurückgelassen. Das Geschäft, worin ihre beiden kleinen Vermögen niedergelegt waren, nahm nach seinem Tode keinen günstigen Verlauf, und doch hatte er unselige Verfügungen getroffen, daß seiner Wittwe Existenz bis an ihr Lebensende an die Familie des Associé gefesselt bliebe in Bezug auf ihr Vermögen und ihren Unterhalt. In dem schlimmen Falle, den die Angelegenheiten genommen, für beide Theile ein drückendes Verhältniß! Sie schien es aber mit wahrer Religiosität und heiterer Ergebung bewältigt zu haben, und fühlt sich trotz Abhängigkeit und der einfachsten, ärmlichen Lebensweise zufrieden in einer Bedürfnißlosigkeit, die mir wahrhaft rührend war.

Hat sie wohl als Erbtheil ihres edeln Vaters, den sie freilich kaum gekannt hat – denn er starb, als sie kaum drei Jahre alt war – seinen Stoicismus, seine Verachtung der Welt und ihrer bösen Elemente als Erbtheil überkommen und sie unbewußt in ihre Lebensansichten und Verhältnisse übertragen? – Sie erschien mir wirklich ehrwürdig, wie sie ungesucht und anspruchslos von ihrer einfachen und einsamen Lebensweise sprach, ohne männlichen Schutz, ohne Dienerin, ohne gesellschaftliche Verbindungen, als einige befreundete weibliche Wesen, die sie dann und wann aufsuchen.

Sie hatte Freude an meiner lebhaften Theilnahme für sie und das Andenken ihres Vaters. Sie holte mir aus ihrer alten Commode die einzigen alten, vergilbten Reliquien, die in ihrem langen Leben und im häufigen Wechsel des Wohnortes ihr geblieben waren, als von ihm selbst herrührend. Es sind drei Hefte. Das erste gedruckte Heft enthält die in lateinischer Sprache abgefaßte Doctor-Dissertation von A. Lux und zwar über den Enthusiasmus, welche er hielt in Mainz, den 19. November 1784. Das zweite Heft, von seiner Hand geschrieben, enthält Bruchstücke aus Ossian’s Gesängen und aus dem Homer. Das dritte, wiederum gedruckte kleine Bändchen heißt: „Republikanischer Nachlaß von Adam Lux, weiland Mitgliede des Rheinisch-Deutschen Convents und außerordentlichem Gesandten zu Paris, in Straßburg gedruckt im dritten Jahr der fränkischen Republik“ und herausgegeben mit einer Vorrede von dem bekannten oder berüchtigten Wedekind. Der in seinen Folgen so tragische Aufruf für die Charlotte Corday ist hier am Schlusse mitgegeben.

Die Tochter bestätigt übrigens das oben Angeführte aus ihren Erinnerungen, oder vielmehr aus den Erzählungen ihrer Mutter. Es war dieser und ihrem Gatten während der drei Monate seiner Einkerkerung die Möglichkeit geblieben, mit einander zu correspondiren; und Lux muß seiner Frau mitgetheilt haben, daß, wenn er seine Flugschriften auf eine gewisse Weise widerrufen würde, er Hoffnung haben könnte, ihr und seiner Familie erhalten zu bleiben. Er appellirte an ihre Entscheidung, als diejenige, die ein Recht an sein Leben, aber auch an seine unbefleckte Ehre hätte. Die geistesstarke Frau bestärkte ihn mit bewunderungswürdiger Fassung in seinem Entschlusse, nichts von dem zurückzunehmen, was er aus tiefster Ueberzeugung gesprochen und veröffentlicht. Und Lux starb als Märtyrer seiner Grundsätze mit Heldenmuth.

Die Wittwe verkaufte bald nachher ihr Besitzthum in Kostheim und zog sich mit ihren beiden Mädchen, von denen die noch Lebende damals kaum drei Jahre alt war, nach Mainz, wo ihr mehrere Verwandte lebten. Sie starb einige Jahre nach dem Tode ihrer ältern Tochter, und zwar noch ehe die Jüngere verheirathet war.

So kam es, daß die Matrone, deren Bekanntschaft ich eben gemacht, ziemlich einsam durchs Leben ging, welches ihr nicht viele Rosen, sondern viele Dornen brachte, – und nun in ihrem zweiundsiebenzigsten Jahre beinahe in Verlassenheit die trübern Tage des hohen Alters an sich herantreten sieht. Der Himmel erhalte ihr für die nunmehr noch kurze Zeit ihres Erdenwallens die Gesundheit, die Heiterkeit und die Ergebung, die über ihr ganzes Wesen verbreitet ist, und mit der sie gewiß Jedermann – neben dem Interesse für ihre Abstammung – unwillkürlich fesselt.

Sollte nicht vielleicht da oder dort die Verehrung für einen echt deutschen Mann Pietät für die Tochter hervorrufen?

Das waren meine Gedanken, als ich bei der Abendämmerung still mit meinem Freund nach der Stadt zurückkehrte, und die nämlichen sind es, die mich bewogen, diese Begegnung für weitere Antheilnehmende niederzuschreiben.

E. Hirzel.     




Aus der Schlacht von Dennewitz

Die preußischen Patrioten und Generale hatten im Jahre 1813 keine leichte Aufgabe. Der von den Franzosen ausgesogene, auf das Aergste mißhandelte und noch immer gefesselte und streng bewachte Staat sah sich durch York’s kühnen Entschluß plötzlich in einen Krieg verwickelt, für den er nicht gerüstet war. Zwischen den feindlichen Heerestheilen mußte man die junge Mannschaft zum Waffendienst herbeiziehen. Weder sie, noch der nöthige Kriegsbedarf für ein größeres Corps konnte, ohne den gefährlichen Verdacht des Feindes zu erregen, offen an einem Orte zusammengebracht werden. Weniger Noth machte das Einexerciren der Ankömmlinge; die gedienten Soldaten nahmen sich freiwillig der Rekruten an und gaben ihnen mit Lust und Liebe die nöthige militärische Dressur; der Corporalstock war verschwunden. Außerdem hatte Scharnhorst’s weise Organisation der preußischen Armee unter Napoleon

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 731. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_731.jpg&oldid=- (Version vom 15.11.2022)