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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

und weder die Stimme ihrer weinenden Mutter, noch die meine waren im Stande, ihr eine Antwort zu entlocken – sie war irrsinnig!“

Mit bebendem, gesunkenem Tone hatte der Erzähler die letzten Worte gesprochen und blickte in finsterem Schweigen eine Zeitlang vor sich nieder. „Ich weiß nicht, ob meiner Schwester ein Rest von Gewissen schlug,“ fuhr er dann langsam fort, „aber sie hatte nichts dagegen, daß die möglichen Heilungsversuche mit dem armen, treuen Wesen hier angestellt wurden, und so ward für Mary das Haus hier eingeräumt, bald aber auch jede Hoffnung auf eine Wiederherstellung aufgegeben. Fast ein Jahr ist es jetzt her, daß sie todt für die Außenwelt in endlosem Hinbrüten die Tage verbringt, und nur periodenweise scheint eine Erinnerung in ihr zu erwachen. Dann klagt sie, daß sie sterben werde, wenn sie gehen müsse, spricht von glühenden Krallen, die ihr das Herz aus der Brust reißen wollen, und nur wenn ich an ihrem Lager sitze und zu ihr rede, geht der Anfall langsam in einen todtenähnlichen Schlummer über. Von Monat zu Monat ist sie mehr hingeschwunden, und morgen – wird sie wohl erlöst sein!“

Lucy vermochte kaum den leisen Ton der letzten Worte zu vernehmen, dann aber fühlte sie plötzlich ihre Hand gefaßt. „Kommen Sie,“ sagte der Redende fast rauh, sich rasch erhebend, „es ist lehrreich für jede Frau, ein Opfer ihres eigenen Geschlechts zu betrachten!“ und willenlos, einem Eindrucke preisgegeben, der sich kaum aus dem Gehörten allein hätte erklären lassen, folgte sie dem Major, welcher nach der Thür des Hauses schritt, hier einen Moment, wie sich sammelnd, stehen blieb und dann behutsam öffnete.

Ein einfach, aber bequem eingerichtetes Zimmer, dessen dicker Fußteppich keinen Schritt hörbar werden ließ, empfing sie, und im Hintergrunde auf einem weißen Lager, matt von dem Lichte der Schirmlampe beschienen, zeigte sich eine regungslose, anscheinend schlafende Gestalt, von der still weinenden Flora und einem Negermädchen bewacht. Vorsichtig auftretend führte der Hausherr seine Begleiterin heran. Ein gelbes, bis auf die Knochen abgemagertes Gesicht, von welchem die dunkeln, edel gezeichneten Augenbrauen und das dichte, schwarze Haar in scharfem Contraste abstachen, trat Lucy’s Blick entgegen, und sie würde die Daliegende schon jetzt für eine Leiche gehalten haben, wenn nicht ein zeitweises schwaches Zucken sich in den verfallenen Zügen bemerkbar gemacht hätte.

„Und dies ist jetzt Alles, was von dem schönsten, reinsten Geschöpfe, das je in unserm Lande gewandelt, übrig geblieben!“ sagte Wood nach einer langen Pause mit tiefer, halbunterdrückter Stimme und wandte sich dann nach der Thür, als wolle er seine Empfindungen verbergen; Lucy aber reichte der alten Mulattin mit einem Blicke tiefen Mitleids die Hand, welche sie deren Küssen kaum wieder entziehen konnte, und folgte dann dem Vorangegangenen.

„Und können Sie jetzt verstehen, daß ich die Frauen hasse?“ fragte er, als sie an seine Seite trat, langsam dem Wohnhause zuschreitend, und sein Gesicht schien jeden weichern Ausdruck wieder völlig abgestreift zu haben.

„Und ist sie nicht ebenfalls eine Frau?“ gab das Mädchen ernst zurück; um den Mund ihres Begleiters aber zuckte es wie bittere Ironie.

„Sie? der Gestalt nach allerdings!“ erwiderte er. „Eigentlich aber wollten Sie wohl nur fragen, was Sie denn selbst seien, gegen die ich eine solche Aeußerung thue?“

„Und wenn ich dies gemeint hätte, Sir, obgleich ich nicht daran dachte,“ sagte sie, in einem unklaren Gefühle erlittenen Unrechts den Kopf hebend, „wenn ich Sie fragen möchte, wie Sie bei diesen rücksichtlos ausgesprochenen Empfindungen von mir eine Pflichterfüllung und Selbstverleugnung fordern können, die sich doch kaum mit Ihren Begriffen vereinigen läßt –“

Er blickte in den mondhellen Nachthimmel hinein, ohne zu antworten. „Fragen Sie mich jetzt nicht, wie ich zu dem sonderbaren Vertrauen gegen Sie gekommen, denn ich könnte Ihnen kaum etwas darauf sagen,“ entgegnete er endlich, „und nur eins, Miß,“ wandte er sich rasch nach ihr, „machen Sie es nicht zu Schanden! Und nun gute Nacht!“

Er hatte ihr die Hand gereicht, in welche sie mechanisch die ihre gelegt; sie hatte seinen kräftigen Druck gefühlt und war dann fast wie im Traume in ihr Zimmer gelangt. Erst als sie sich auf ihrem Lager fand, fühlte sie die ganze Stärke der Erregung, welche die letzten Bewegungen in ihr hervorgerufen, und selbst als sie nach längerer Zeit die Augen geschlossen, verfolgten sie die Bilder des Erlebten in wirren Traumgestalten, aber mit einer peinigenden Lebendigkeit. Sie stand wieder vor dem Gartenhause, sie wußte, Mary war gestorben, und doch war es ihr zugleich, als sei sie selbst diese Mary, die den Mann, der die Frauen haßte, so unsäglich liebte und doch nichts hoffen durfte, als sich für ihn opfern zu können; sie war die Tochter der alten Flora, die Wirthschaftin hatte es ja gesagt, – und da trat die letztere selbst aus der geöffneten Thür, nickte ihr mit einem häßlichen Lächeln zu und sagte, es sei schon Alles für sie bereit. Und drinnen stand Mary’s Bett, noch mit dem Eindrucke in den Kissen, den die Gestorbene hinterlassen, dem sollte sie jetzt ihre eigenen Glieder anpassen, und ein entsetzliches Grauen überkam sie, sie wollte fliehen und konnte doch kein Glied rühren – da blicke des Majors Gesicht zum Fenster herein, genau mit dem Ausdrucke des Schmerzes, mit welchem sie ihn hier schon hatte stehen sehen, und sie wußte, er trauerte um sie; zugleich aber war es, als zerreiße bei seinem Anblicke plötzlich der Bann, der auf ihr gelegen; fort trugen sie ihre Füße schneller und schneller, und hinter ihr klang es in Schmerzenslauten: „O, warum fliehst du mich? gedenke der Kinder und deines Versprechens!“ Und sie hätte anhalten und umkehren mögen, aber nur eiliger ward ihre willenlose Flucht, ferner und immer ferner klangen die Mahnungen zur Rückkehr, bis sie unter verzweifelten Anstrengungen, ihrem Laufe Einhalt zu thun, erwachte. Sie fühlte ihren Körper mit Schweiß bedeckt, noch rieselte ein Grauen durch ihre Nerven, und es gewährte ihr eine sonderbare Erleichterung, als sie Richard sich geräuschvoll in seinem Bette zur Seite werfen hörte. Wohl entschlief sie wieder, aber ihr Schlaf war ein unruhiger, erquickungsloser, und als sie am Morgen ihr Lager verließ, fühlte sie sich niedergedrückt und krank.

Fast war es ihr lieb, als an Flora’s Stelle eine ihr unbekannte Negerin zur Aufwartung kam. Mary, erzählte diese, sei während der Nacht gestorben und solle am Nachmittage begraben werden, der Major aber sei schon nach der Stadt geritten und werde vor morgen Abend nicht zurück erwartet.

Trübe verging der Tag; eine Scheu vor der Erinnerung an ihre nächtlichen Bilder hielt Lucy ab, selbst den kleinsten Blick aus ihren Fenstern zu werfen, und sie mußte oft gegen sich selbst kämpfen, mußte sich selbst darlegen, daß ein krankhafter Zustand sie beherrsche, wenn sie, unwillkürlich ihren Gedanken überlassen, eine ungewohnte Verzagtheit sich überschleichen fühlte und die Frage immer wieder in ihr auftauchte, ob sie nicht doch zu schwach sein werde, den Kampf gegen die sie umgebenden Verhältnisse durchzuführen. Sie konnte nun errathen, was dem Major im eigenen Bereiche oft die Kraft lähmte. Die Anwesenheit seiner Schwester hatte sein Haus der Welt gegenüber wieder zu Ehren gebracht, und er konnte sie nicht entbehren, wenn er nicht auf’s Neue mit der Gesellschaft brechen wollte. Wie aber vermochte er unter diesen Umständen ihr Recht den beiden Frauen gegenüber geltend zu machen? Für Lucy’s eigene Ehre war ja die Anwesenheit einer Dame im Hause nothwendig, selbst wenn er der gemietheten Erzieherin die Schwester hätte opfern wollen!

Nur wenn aus ihrer Erinnerung des Hausherrn kräftiger, sonorer Ton in ihre Ohren klang, wurde es ihr, als solle sie nicht selbst grübeln, wo sie doch zu keinem Ende gelange, und Alles ihm überlassen, der am besten wissen werde, wie das ihr gegebene Versprechen einer baldigen Aenderung zu lösen.

(Schluß folgt.)




     Im Verlage des Magazins für Literatur in Leipzig erschienen in zweiter Auflage:

Palmen des Friedens.

Eine Mitgabe auf des Lebens Pilgerreise
von Ferdinand Stolle.

In prachtvoller Ausstattung. Eleg. in Goldschnitt geb. 11/3 Thlr.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 736. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_736.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)