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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

die Kinder hingen sich an Arme und Kleider, wie sie eben ankommen konnten. Wir hatten Alle nasse Augen und vermochten nichts zu reden, doch waren wir von Herzen froh, denn das muß wahr sein, so vielerlei Lebenstöne im Menschenherzen zum Freudenaccorde zusammentönen, das Wiedersehen von Wesen, die man so recht geliebt hat, ist und bleibt doch die jubilirende Discantsaite, die über Alles hinaus vibrirt. An meiner Harfe ist sie abgerissen, denn fast Alle meine Lieben sind stumm geworden vor mir – aber ich werde sie wieder hören, wenn ihr Herz und meines ungeformt und neu bezogen sein wird … Welch’ Entzücken wird das sein, zu dem sich irdisches Wiedersehen verhält, wie das Stimmen der Instrumente in einem Orchester zur Musik!

Die einschlagenden Kugeln um uns herum fuhren gar bald mißtönend in die Freudenharmonie des Augenblicks und zwangen uns, an Flucht und Rettung zu denken. Eine der ersten Kugeln war in den Lichtfall des Hauses gefahren und hatte einen Schutthaufen vor unserer Wohnungsthüre aufgethürmt, der die Passage absperrte. Wir waren gezwungen, hintenaus durch ein Fenster, wie durch das Thürchen eines Vogelkäfigs, auf eine Dachkammer zu retiriren, um von da aus zur Stiege zu gelangen. Auf diesem Umwege trugen und schleppten wir nun alles Werthvolle, was sich von der Stelle rücken ließ, mühsam in den Keller unter dem Hause. Hier dachte ich Alles am besten gesichert, denn ich hoffte, das Gewölbe würde den Kugeln und dem Feuer widerstehen, und war also zunächst nur darauf bedacht, die Meinigen aus der immerwährenden Lebensgefahr zu bringen. – So war der Abend herangekommen, aber die gewohnte Dunkelheit blieb aus – es war so hell wie am Tage, denn der Feuerschein, der Tags über nicht bemerkt worden war, stieg von allen Seiten in die Höhe. Wohin man blickte, qualmten die Giebel, auf denen das Feuer wie rasend fort lief und sprang. Darüber ragten die Thürme der Pfarrkirche und der Sebastianskirche brennend wie riesenhafte Kerzen empor. Zum Glück ließ mit dem Ueberhandnehmen des Brandes das Schießen nach, denn nun konnte man doch an die Möglichkeit denken, mit einem Familienzuge unversehrt in’s Freie zu gelangen. Dafür drohte aber gleich wieder ein anderes Uebel, denn man hörte bereits das Schreien und Johlen der Franzosen, die, noch ehe die Beschießung ganz aufgehört hatte, eiligst eindrangen, um noch möglichst viel in den brennenden Häusern plündern zu können. Uebrigens wäre längeres Verweilen auch deshalb unmöglich gewesen, weil das Haus über uns bereits ebenfalls in Flammen stand und jeden Augenblick der Einsturz des Dachstuhles zu besorgen war.

So traten wir denn, in der Eile nur mit dem Nothdürftigsten bekleidet, unsere betrübte Wanderung an, indem ich meinen jüngsten Knaben auf dem Arme trug und ein anderes Kind an der Hand führte. Constanze führte meine schweigende Katharina und zugleich eine ihrer Schwestern; mein Sohn Hans schritt uns als Avantgarde und Beobachtungscorps voraus. Keiner sprach ein Wort, nur die kleinern Kinder ließen das leise Schluchzen hören, von dem ihre junge Brust erzitterte. Gegenüber an der Rathhaushalle angekommen, wollten wir eben in ein Seitengäßchen einbiegen, das zum Allerheiligenthor und von da auf der Landseite in’s Freie führt. Da dröhnte hinter uns ein donnerähnliches Krachen – unwillkürlich standen wir Alle still und sahen zurück. In der Richtung gegen unser Wohnhaus hin wälzte sich eine ungeheuere weiße Rauchwolke empor, und als sie sich langsam verzog, war die stille Stätte meines häuslichen Glücks nicht mehr zu sehen. Nur die Umfassungsmauern und einige Trümmer der Zwischenwände ragten noch empor; das schwere, brennende Dach war eingestürzt und hatte durchgeschlagen – in dem Schutte lag die Frucht achtzehnjährigen Fleißes, die Hoffnung unseres Alters, die Bürgschaft für die Zukunft der Meinigen begraben. Damit uns auch kein Fünkchen Hoffnung übrig bleibe, stieg es aus den Kelleröffnungen ebenfalls weißqualmend heraus, ein Beweis, daß das Gewölbe, dem ich so sicher vertraut hatte, dem Einsturze nicht widerstanden hatte. Ich habe auch seither auf die Dauer keines Gewölbes mehr gebaut, als des luftigen, blauen und sonnenhellen über uns! Das allein habe ich als feststehend erprobt, und wenn auch die Naturforscher sagen, der Himmel sei kein Gewölbe, sondern nur eine optische Täuschung lasse ihn als solchen erscheinen, so weiß ich das besser.

Die Wirkung dieses Anblicks auf die Meinigen war erschütternd. Die Kleinen brachen laut und ungestüm in das schon so lang zurückgehaltene Weinen aus; ihnen war jetzt erst unser Leid in seinem ganzen Umfange klar geworden. Constanze hielt sich, um nicht umzusinken, an Hans, der mit den Zähnen knirschte und die Hände ballte, im Ingrimm des Jünglings, der nur das Unrecht fühlte, das uns widerfuhr. Meine Katharina fiel mir mit einem kurzen Schrei an’s Herz. „Mann!“ rief sie, „Ferdinand! Wir sind Bettler – was soll aus unsern Kindern werden!“ – Ich fühlte, wie sich mir das Herz in der Brust zusammenkrampfte. Hätte ich nachgegeben, so hätte mich die Empfindung überwältigt und mir die Fassung geraubt – es gelang mir aber, meine Bewegung mit einer Thräne im Auge zu erdrücken. Mein Auge ruhte auf der Schaar der Meinigen, die mich umdrängte, und sie Alle, so gut es ging, an mich ziehend, rief ich aus: „Du edles, menschenfreundliches Dichterherz! Ich danke Dir für Deinen Gesang, dessen tiefe Wahrheit Du nie an Dir selber erfahren mögest … Ich danke Dir, Dein Lied ist die Bannformel meines Elends geworden –

Was Feuerswuth mir auch geraubt,
Ein süßer Trost ist mir geblieben;
Die Häupter zähl’ ich meiner Lieben –
Und sieh, mir fehlt kein theures Haupt!

Hatten mich die Meinigen zu Anfang meiner Exclamation etwas verwundert angeblickt, so empfanden doch bald auch sie die tröstende Gewalt dieser Worte; enger umschlungen standen wir einen Augenblick, gehoben und beruhigt im Bewußtsein des Sichangehörens. Nur Katharina seufzte in hausfräulicher Sorge, wenn auch leiser, noch einmal: „Wir sind alle beisammen, und alle miteinander Bettler! Wir besitzen nichts mehr!“ „Nichts?“ entgegnen ich ihr, und fühlte wie es mir immer heiterer um Herz und Stirne wurde. „Wirklich nichts? Nun, dann besitzen wir genau so viel, als wir vor achtzehn Jahren hatten – Liebe, Muth und Kraft wie damals, um noch einmal zu beginnen! Ja, wir haben noch gewonnen, denn unsere Erinnerungen, unsere Erfahrungen sind nicht mit verbrannt. Und haben wir nicht sechs Helfer und Genossen, die uns beistehen und ermuntern, wenn ja der Kopf ermüden und das Herz lahm werden sollte? – Selbst ein schöner Nothpfennig ist uns geblieben und zeigt, wie gut es ist, wenn man sich, wie die Hühner, zwei Plätzchen aussucht, die Eier zu verlegen … hast Du das ersparte Sümmchen in meiner Amts-Session vergessen? Das wird uns für die erste Zeit überm Wasser halten. Darum komm, ich will das Etui holen und dann eilig fort!“

Mit beflügelten Schritten machten wir uns auf, mitten durch brennende Häuserreihen bis an das Landgericht. Die Hitze war so arg, daß wir Tücher und Mäntel und was wir sonst besaßen, um den Kopf nehmen mußten, um nicht von der heißen Luft erstickt und an den Haaren versengt zu werden. Als wir an dem Gebäude ankamen, stand desselbe ebenfalls bereits in Flammen, doch war das Erdgeschoß an seinen starken Wänden noch unversehrt, bis auf das Eingangsthor, das Schutt und brennende Balken verrammelten. Ich mußte also trachten, durch das Fenster hineinzukommen, und stand eben davor und überlegte, wie ich es anfangen sollte, als mir aus dem Fenster ein blaues Bein, dann noch ein zweites, und dann die ganze Gestalt eines österreichischen Grenzers entgegen kam. Mit einem Satze sprang er herab – das verhängnißvolle Etui von rothem Maroquin unterm Arm. Der Bursche hatte sich offenbar von seinem längst abgezogenen Corps entfernt, und war zurückgeblieben, um Beute zu machen. Jetzt, auf dem Boden angelangt, sprang er in weiten Sätzen wie eine wilde Katze davon und wäre uns im Augenblick entkommen, hätte ich ihn nicht in derselben Weise verfolgt. Ich erinnere mich in meinem Leben nicht wieder so flink auf den Beinen gewesen zu sein, aber bei dein unverhofften Anblick war mir das Blut siedend aufgestiegen und der Zorn hatte mir Kraft gegeben. Ich erreichte den Räuber meines letzten Besitzthums, faßte ihn am Kragen und machte ihm, da ich bald merkte, daß der Kerl nicht deutsch verstehe, durch Gebehrden bemerklich, daß das Etui mein Eigenthum sei und er es mir zurückgeben solle. Der Soldat begriff mich auch sogleich und war zu Anfang erschrocken über den unvermutheten Anfall. Wie er aber sah, daß ich allein und waffenlos vor ihm stand, fletschte er mir unter dem langen Schnurrbart die weißen Zähne entgegen, grinste mir ein kauderwelsches „nix Dein“ zu und versetzte mir zugleich mit dem Griff seines Säbels einen Schlag auf den Kopf, daß ich zurücktaumelte und ihn loslassen mußte. Er entfloh, aber das rächende Schicksal war schon hinter ihm und ließ ihn nicht weit kommen. Diesmal hatte das Schicksal die Gestalt eines

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 739. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_739.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)