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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

 – war sie doch ein Angedenken frühern Besitzes und Glückes, und der Vorbote von künftigem. Das Leben begann in Allen wieder zu pulsen, denn die Triebfeder desselben war wieder in Thätigkeit – die Hoffnung! – Zuerst wurden die Werkstätten der dringendsten Bedürfnisse wieder hergestellt, die Backöfen, Metzgereien und Brauhäuser, und um den dreieinigen Kern schoß alles Uebrige krystallartig an. Mit der Sicherheit der Wege kam auch das Landvolk mit seinen geretteten Vorräthen wieder zu Markt, der Handel und Wandel ging seine Wege, und mit dem Verkehr waren auch dessen Verwicklungen wieder da. Der Landrichter, der sich noch zu guter Zeit geflüchtet, lag auswärts krank und konnte nicht zurück kommen; wohl oder übel mußte ich also selbst und allein, und, so zu sagen, aus dem Nichts zu amtiren anfangen.

Es vergingen aber mir wenige Tage, da bekam ich schwarz auf weiß den Beweis in die Hände, daß ich Recht gehabt habe, auch im größten Leid den Muth und meine Heiterkeit zu behalten. Ich erhielt meine Ernennung als Landrichter in Bayerbach, eine ebenso angenehme als einträgliche Stelle, in der ich hoffen durfte, die erlittenen Verluste wieder ersetzen zu können. Dolmetscher Waninger hatte überall ausgetrommelt, wie keck ich mit dem Marschall gesprochen hatte; das mochte in Wien bekannt geworden sein, und wie mich schon die Bürger mit Dank und Erkenntlichkeit überhäuften, ward mir auch diese Belohnung und Auszeichnung dafür zu Theil.

Wir standen eben an den Ruinen des Hauses, wo wir gewohnt hatten, und sahen zu, wie man das Kellergewölbe öffnete und ausgrub. Es war doch nicht ganz eingestürzt, die Bogen der einen Ecke hatten widerstanden, und so war uns ein beträchtlicher Theil nothwendiger Dinge, hauptsächlich Kleider und Wäsche, wiedergegeben. Die Freude darüber wurde zum Entzücken, als ich das schicksalwendende Blatt entfaltete. Mit dem einen Arm hielt ich es jubelnd empor, mit dem andern schloß ich meine Katharina an’s Herz, um uns herum die freudeweinende Schaar unserer Kinder. Um die ganze Gruppe aber bildete sich im Augenblick durch die zusammenlaufenden Menschen ein weiter Ring – lauter Leute, die dann heran kamen, mir dafür dankten, daß ich die Brandschatzung von der Stadt abgehalten, und die mir mit Thränen in den Augen und mit warmem Händedruck versicherten, wie ungern sie mich von sich ließen!

Wir verließen Schärding einige Tage später, auf einem nothdürftig zusammengetriebenen Fuhrwerk, betrübt und doch freudigen Herzens! Hinter uns her schallte der herzliche Lebewohlruf der bittern, so schwer geprüften Schärdinger, und uns entgegen kam die Nachricht von der Schlacht von Aspern geflogen. Alle Glocken in den umliegenden Dörfern klangen zusammen, und unsere Herzen schlugen noch erhabener, denn wir durften doch hoffen, daß, wenn uns auch noch manche Prüfung auferlegt sein sollte, die deutsche Kraft sich endlich doch ermannen und zum Siege über die fremde Zwingherrschaft vereinigen werde!

So habe ich nun niedergeschrieben, was ich in jenen denkwürdigen Tagen erlebt und gesehen. Damit schließe ich für diesmal. Wie es mir von da an erging, und wie mich das Unglück noch tiefer zu stürzen vermocht, als ich damals gestürzt war, das will ich ein ander Mal erzählen, wenn ich Zeit und Gesundheit dazu habe. – Vielleicht – hoffentlich aber holen mich meine schon hienieden engelgleiche Constanze, mein munterer und so schwer heimgesuchter Fritz, meine gute, vielgeprüfte Lina bald nach. Hoffentlich kommen sie bald mit all den Edlen, die ich begraben sehen mußte, und führen mich hinüber, um mit meiner Katharina die goldene fünfzigjährige Hochzeit nachzufeiern – hier unten ward sie mir ja wenige Tage vorher entrissen!

Das Eine nur habe ich noch beizufügen, daß nach Jahren, als die Pfarrkirche von St. Johann in Schärding wieder aufgebaut war und eingeweiht werden sollte, die guten Schärdinger sich meiner erinnerten und mich zu diesem Feste einluden. Ich schlug es nicht aus; traf ich doch gar viele alte Bekannte, mit denen ich mich an die grauenhaften Stunden erinnern konnte, die wir durchgemacht hatten. Von außen waren nur wenige Spuren davon übrig geblieben; das Städtchen war neu und wohnlich ausgebaut, und das Leben bewegte sich darin, als wären jene schlimmen Tage nur ein Traum gewesen. Nur die Kirche von Sanct Sebastian lag noch in Ruinen und liegt so bis zur Stunde, ein ernstes Denkmal für den 26. April 1809 und das Bombardement von Schärding.“




Ein russischer Patriot.

(Mit Portrait.)

Es sind neun bis zehn Jahre her, da begegnete man in London einer Reihe von Gestalten, die trotz des Zusammenflusses von Menschen aller Länder in der großen Weltstadt, sogleich auffielen und im Augenblick sich als Nicht-Engländer zu erkennen gaben. Es waren meist Männer mit langen Bärten, die man damals in England gar nicht trug, weshalb denn auch jene Leute der Gegenstand fortwährender, oft auf impertinent englische Weise kund gegebener Bemerkungen in den Straßen und an öffentlichen Orten waren. Seit dem Krimkriege haben die Engländer selbst die langen Bärte angenommen, und dieses Unterscheidungszeichen ist null geworden, auch haben jene Leute, die damals, von einer tiefen Aufregung ergriffen, sich theils feindlich, theils als völlige Neulinge dem fremden Lande gegenüber stellten, sich beruhigt, der Nothwendigkeit unterworfen und, wenigstens äußerlich, dem englischen Leben assimilirt.

Ich spreche von den Flüchtlingen der politischen Bewegungen von 1848, die aus allen davon ergriffen gewesenen Ländern sich auf dem gastfreien Boden Englands zusammen gefunden hatten. Im Anfang, noch erfüllt von dem kaum Geschehenen und noch der Hoffnung lebend, daß sich binnen Kurzem ähnliche erfolgreichere Versuche machen würden, bildeten diese Leute wirklich eine Art Vereinigung, ein Centrum eines politisch erregten Lebens, von dem aus sie auf die verlassene Heimath zurückzuwirken hofften. In diesem kleinen Kreise brüderlich vereinter Menschen, aus den wichtigsten Ländern Europa’s, dachten sie den Völkern, denen sie angehörten, ein Vorbild zu geben von der Verwirklichung des Traumes, den die Edelsten unter ihnen geträumt: die Aufhebung der trennenden Schranken nationaler Staaten und die Verbrüderung der verschiedenen menschlichen Gesellschaften in der Freiheit.

Die Hoffnung wurde zu nichte, die Geschichte ging einen andern Gang; jener Kreis löste sich auf, theils durch die Unmöglichkeit, daß Menschen lange zu einem Zweck verbunden bleiben, wenn dieser Zweck sich als unerreichbar in weite Ferne zurückschiebt, theils durch die Nothwendigkeit für die Einzelnen, sich eine Beschäftigung zu suchen, eine Stellung zu gründen, für sich und die Ihrigen Brod zu schaffen. So zerstreuten sich Alle hierhin und dorthin; die Meisten wurden gänzlich absorbirt durch die Sorge für die materielle Existenz; nur einige Wenige konnten, in besonderen Verhältnissen lebend, der unmittelbar politischen Laufbahn treu bleiben. Wer aber in jenem Kreise gelebt hat, wird nicht anders als mit lebhaftem Interesse der vielen bedeutenden Persönlichkeiten gedenken, die, durch gemeinschaftliche Ueberzeugung und gemeinschaftliches Unglück verbunden, selbst in England die lebhaftesten persönlichen Sympathien erregten. Manche von ihnen sind dem Auge entschwunden. Einzelne schon todt, Andere in fernen Ländern verschollen; Einige aber haben nicht aufgehört, die öffentliche Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen und durch eine weitgreifende Thätigkeit auf größere Kreise zu wirken.

Unter den Namen dieser Letzteren glänzt ganz besonders der von Alexander Herzen, der freilich, ein Russe von Geburt, nicht ganz unmittelbar in den Kreis jener Ereignisse hinein gehörte, aber doch durch eine lebhafte Parteinahme bei denselben zunächst sein Exil herbeiführte. Als sich im Sommer 1852 in den Flüchtlingskreisen in London die Nachricht verbreitete, Herzen werde nach London kommen, so erregte dies eine gespannte Erwartung, denn sein Name war erst kürzlich (den Deutschen wenigstens), aber gleich in entschieden bedeutender Weise, bekannt geworden. Es war nämlich 1850 ein Buch von ihm erschienen in deutscher Sprache, unter dem Titel: „Vom anderen Ufer“, in dem zum ersten Male der noch frische Schmerz der Enttäuschungen nach der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 758. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_758.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2022)