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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

liebe die Musik leidenschaftlich,“ erwiderte er, „indessen wird die Geige in unseren jetzigen Verhältnissen uns kaum viel helfen können. Was spielen Sie denn?“

„Ich kann eine Schlacht spielen!“ rief der junge Mann, während seine Augen aufflammten und sein Gesicht sich röthete.

„Eine Schlacht? der Teufel!“ war des Generals gut gelaunte Antwort. „Nun, wir haben heute Ruhe und können schon einmal Allotria treiben; wir werden Ihre Schlacht hören. Schaffen Sie von irgendwo eine Violine herbei!“ wandte er sich an seinen Adjutanten.

„Ich spiele nicht auf jeder Zigeunerfiedel!“ entgegnete der junge Virtuose beleidigt, „in zwei Stunden könnte mein eigenes Instrument hier sein!“

Der General, sichtlich amüsirt, nickte und gab die nöthigen Orders. „In zwei Stunden also“, sagte er dann, „bis dahin werden Ihnen die Herren hier zu einer Erfrischung helfen, die nach Ihren Rekrutentagen Ihnen vielleicht willkommen sein wird!“ –

Kaum mehr als die festgesetzte Zeit war verstrichen, als Eduard aus dem Kreise der ihm zugewiesenen Officiere wieder zu dem Feldherrn beschieden ward; er sah den glänzenden Kasten, der seine geliebte Vertraute barg, und mit Hast folgte er Görgey’s Winke zum Oeffnen, das Instrument einer sorgfältigen Prüfung unterwerfend. Neugierig hatte sich Alles, was Eingang zu dem Zelte erhalten konnte, in einem dichten Kreise um ihn her gesammelt. Und in der vollen Begeisterung, welche in diesem Augenblicke in seiner Seele auffluthete, begann er. – Was er damals gespielt, wußte er in späteren Tagen nicht mehr; aber es mußte groß und erhaben gewesen sein, denn eine Todtenstille herrschte um ihn, als er geschlossen; mit einem tiefen Athemzuge aber erhob sich Görgey und legte die Feldherrnhand auf die Schulter des jungen Rekruten. „Ich hatte Unrecht, Ihre Geige zu belächeln, junger Mann,“ sagte er; „David bannte nur die bösen Geister, Sie aber wären mit Ihrem Spiele wohl noch mehr im Stande: Muth, Energie und Vertrauen selbst in hoffnungslosen Lagen zurückzuzaubern. Ihre Mutter hat Recht: es wäre schade um Sie im gewöhnlichen Dienste; die Säbelführung macht eine schlechte Bogenführung und der Zügel steife Finger –“

„Aber, General, ich mag nicht wieder nach Hause?“ unterbrach ihn der Angeredete im Dränge einer aufsteigenden Besorgnis;.

„Sollen es auch nicht, Herr, sollen aber aus dem Bivouac hinweg und an meiner Seite bleiben; sollen – mein David werten, wenn vielleicht einmal Zeiten kommen, die zu schwer für eines Mannes Seelenkraft zu werden drohen – davon aber versteht ihr jungen Weltenstürmer nichts! – Er bleibt in meiner Adjutantur“, wandte sich der Sprechende an einen der älteren Officiere, „nehmen Sie ihn vorläufig unter Ihre Flügel und unterrichten Sie ihn von dem Nöthigsten; ich denke, wir Alle werden durch ihn manchen genußreichen Abend haben!“ –

Von diesem Tage an blieb Eduard, zum ritterlichen Husarenofficier umgewandelt, in der unmittelbaren Nähe des Generals, der sich für ihn wie für ein anvertrautes theures Pfand besorgt zeigte. Wo keine Gefahr vorhanden war, wurde er zu leichten Adjudantendiensten verwandt; sobald aber das Feuern begann, mußte er nach der Bagage zurück. „Sie haben sich für mehr aufzuheben, Herr, als wie jeder unsrer Hirtenjungen zu Kanonenfutter zu dienen!“ erwiderte der General auf seine Klagen über die Unthätigkeit, zu welcher er verdammt sei; „an Ihrer Geige kann noch einmal eine Entscheidung hängen!“ und das mußte ihm genügen; wo sich aber ein ruhiger Abend bot, da war auch Eduard der Held desselben, und seine Klänge ließen oft, wenn sie in ein nationales Lied übergingen, die Umgebung des Generals im Enthusiasmus alle Schranken des Rangunterschiedes vergessen. Damals war es, wo die Berichte aus dem ungarischen Lager oft einer für den Zeitungsleser mysteriösen Person erwähnten und von „Görgey’s Geiger“ sprachen.

Immer aber ließ sich das junge feurige Herz nicht durch die vorgestellte Wichtigkeit seines ruhigen Berufs bändigen und hätte in seinem Eifer, sich nützlich zu machen, einmal fast ein Unglück herbeigeführt.

Ein Gefecht, das mit jeder Viertelstunde größere Dimensionen annahm, hatte sich entsponnen und die Außenlinien der ungarischen Armee ziemlich unvorbereitet überrascht. Görgey selbst hatte sich nach dem Orte des „Engagements“ begeben, und Eduard, zitternd vor Begierde, endlich einmal einem Gefechte beizuwohnen, hatte eine halbe Stunde nach dem Abgang des Generals sein Pferd bestiegen und sprengte lustig den Schüssen zu. Da sieht er einen kleinen Trupp Husaren, von einem Unterofficier geführt, in scharfem Trabe sich entgegen kommen, und sofort schießt ihm die Erinnerung an einzelne kürzlich vorgekommene Desertionen durch den Kopf. „Das sind Deserteure!“ klingt's in ihm; im Nu ist der jungfräuliche Säbel aus der Scheide, und mit einem donnernden „Halt!“ parirt er sein Pferd vor den Herankommenden. Die reiche Officiers-Uniform übt ihren Einfluß auf die Husaren, und der Führer meldet, daß sie zur Herbeischaffung von Munition abgesandt worden seien. „Munition! kaum daß die ersten Schüsse gefallen sind!“ lacht der junge Adjutant. „Deserteure seit ihr, und mich betrügt ihr nicht. Kehrt! und den Ersten, der eine andere Bewegung macht, haue ich nieder!“

Der Unterofficier remonstrirt, fügt sich aber endlich bei der Erklärung, daß Eduard jede Verantwortung auf sich nehmen will, und trabt mit feinem Detachement, von dem „Geiger“ gefolgt, zurück, welcher letztere seinen Fang direct auf den Obergeneral zu treibt. „Sieben von mir eingebrachte Deserteure!“ meldet er strahlend dem verwundert aufschauenden Feldherrn; kaum hat dieser aber einen Blick auf das Detachement geworfen und eine Erklärung des Führers erhalten, als er auch zornig auffährt: „Mensch, reitet Sie denn der Teufel? Wenn wir in 30 Minuten keine Munition haben, müssen wir weichen!“

Ein Wink von ihm sendet die Husaren auf’s Neue davon, Eduard aber muß seinen Säbel abgeben und wird unter Begleitung zurückgebracht. –

Als Görgey später „seinen David“ zum Bannen der Geister des Verraths am nöthigsten gehabt hätte, war dieser nicht mehr in seiner unmittelbaren Nähe. Die Gründe, welche ihn dem General entfremdet, hat er nie berührt, und wir finden ihn, als die ungarische Armee das Gewehr gestreckt, als Flüchtling wieder, nachdem die Häupter der Revolutionspartei und auch sein Bruder glücklich der blutigen Hand des Oesterreichers entkommen waren. Er hatte bei seiner Mutter, die im Confiscationswege von Haus und Hof getrieben worden war, als letzte Stütze geweilt, bis er ihr ein Unterkommen verschafft und er die Häscher schon auf seinen Fersen fühlte.

Einen Morgens sah er, nachdem er sich unter Elend, Noth und Gefahr durchgeschlagen, mit innerlichem Jauchzen Hamburg vor sich. Ein alter Rock, ein zerrissenes Beinkleid und ein Paar mit Bindfaden zusammengehaltene Schuhe waren Alles, was er auf dem Leibe trug. Alle übrigen Habseligkeiten halte er zur Fristung des Lebens verkaufen müssen und das letzte, mehrere Wochen getragene Hemd im Ekel von sich geworfen. Hamburg war zum Rendezvous der versprengten Flüchtlinge bestimmt, und schon seine erste Frage nach Leidensgefährten brachte ihn in die Arme einer Anzahl Geretteter. Die Hamburger Bürgerschaft hatte groß gegen die Märtyrer der Freiheit gehandelt; für jeden neu Ankommenden war Hülfe und Unterstützung bereit, wie sie nur die regste Sympathie mit den Unglücklichen geben konnte; und so fand sich auch Eduard rasch in das Haus eines dortigen Kaufmanns[1] einquartiert, der den Vorzug sich fast zu einer Ehre rechnete, mit Allem, was der äußere und innere Mensch des Flüchtlings bedurfte, rasch bei der Hand war und ihn bald in die behaglichste Lage, welche nur die Verhältnisse gewähren konnten, versetzte. Als aber die nothwendigste Aussprache mit den Schicksalsgenossen vorüber war, begann Eduard mit einer wahren Bitterkeit den Verlust seiner Geige zu fühlen; noch dachte er, von der wohlwollendsten Gastfreundschaft umgeben, nicht an seine Zukunft; aber er fühlte, daß nach der Zertrümmerung jeder bisherigen Existenz doch kaum etwas Anderes als die Geige seinen ferneren Halt bilden könne. Halb schüchtern erkundigt er sich, ob es nicht irgendwo eine gute Violine zu leihen gäbe, und sein Wirth, der nur eine augenblicklich Laune seines Gastes zu erfüllen glaubt, bringt ihn zu seinem Nachbar, dem Musikdirector.

„O, Sie spielen Violine – recht angenehm!“ sagt dieser höflich und macht ihm vorsorglich ein Instrument zurecht, bestreicht auch den Bogen für ihn sorgfältig mit Colophonium und zieht dann schon im Voraus sein Gesicht in verbindliche Fallen. Eduard lächelt, stimmt zuerst das ganze Instrument einen Viertelton höher

und läßt dann, schnell seine Umgebung vergessend, der lange entbehrten

  1. Die Namen der einzelnen Hamburger Persönlichkeiten sind aus leicht erklärlichen Gründen absichtlich übergangen.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 762. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_762.jpg&oldid=- (Version vom 4.12.2022)