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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

zehn Procent zu bezahlen. Besehen wir uns das stets wechselnde Programm einer Verstellung im Tivoli.

1) Um 5 Uhr beginnt unter Leitung des bekannten Componisten E. Lumbye in dem reizend arrangirten großen Musiksaal ein großes Concert, wobei derselbe ein Schlachtgemälde „Unter Accompagnement von Kanonenschlägen, Musketensalven, Horn-, Trommel- und Trompetensignalen“ zum ersten Mal executiren läßt. 2) und 3) Aus dem Theater im Freien folgen die Productionen der Geschwister Cotrelly und im offenen Circus jene des bekannten Kunstreiters Loisset mit seiner Gesellschaft. 4) Im geschlossenen Circus zeigt Professor Förster aus London großartige Nebelbilder. 5) Komische Pantomime auf dem Theater, unter Mitwirkung der Geschwister Osmond, worin der ungemein beliebte, und in seiner Art auch treffliche Pierot-Darsteller Herr Volkerson mitwirkt. 6) Eine Seiltänzergesellschaft zeigt ihre Kunststücke. 7) Lebende Bilder. 8) Tombola. 9) Vorstellung des Kunstreiters Loisset im geschlossenen Circus. 10) Großartiges Feuerwerk. 11) Auf der sogenannten Insel und in den vielen Restaurationslocalen sind fortwährend Concerte und Vorträge von deutschen, schwedischen und dänischen Volkssängergesellschaften.

Die Anlage ist mit geschmackvollen Blumengruppen, Irrgärten, riesigen Lauben, Statuen etc. und unzähligen Volksbelustigungen versehen, Caroussel, Kraftmesser, Menagerien, eine Rutschbahn im größten Maßstabe, Kegelbahnen mit künstlichen Ueberraschungen für den Sieger, Schießstände, Bazare etc. stoßen dem Beschauer fast bei jedem Schritte auf, große und kleine Speise- und Erfrischungslocale laden den Müden und Durstigen zu trefflicher Naturalverpflegung bei billigen, von der Direktion[1] streng normirten Preisen ein; unter Ab- und Zuströmen der Menge, im bunten Wechsel der fortwährend sich ablösenden Unterhaltungen bleibt die Schaulust bis Mitternacht rege, wo die Massen dicht gedrängt und froh bewegt nach Hause eilen.

Kein Mann Polizei wird in den weiten Räumen sichtbar, jede Rohheit, jede Unanständigkeit, würde je eine solche hier gewagt werden, würde sofort an jedem der Anwesenden einen strengen Richter finden, ehe die Behörde Zeit hätte, sich in’s Mittel zu legen.

Nach diesen einfachen Umrissen wird es der freundliche Leser wohl begreiflich finden, daß den Fremden sofort die Frage empfängt: Waren Sie schon in unserem Tivoli? und daß der echte Kopenhagener den Tag für verloren ansieht, an dem er verhindert ist, sein geliebtes Tivoli zu besuchen. Es war daher ein mehr als kühnes Wagniß, als Carstenson, der Gründer desselben, mit dem Plane hervorrückte, seiner Schöpfung eine Nebenbuhlerin zu schaffen, die dieselbe noch überflügeln sollte.

Carstenson ist für das Vergnügen der Kopenhagener das, was Thorwaldsen für den künstlerischen Ruf der Hauptstadt ist. Wir wollen daher in flüchtigen Umrissen die Laufbahn dieses genialen Abenteurers zu zeichnen suchen. Nach einem bewegten Leben als ehemaliger Officier der Fremdenlegion von Algier in seine Vaterstadt zurückgekehrt, entwarf er, ein geborener, nicht gelernter Architekt, die Pläne zum Tivoli in allen Details und rief selbe auf Rechnung einer von ihm gegründeten Actiengesellschaft in’s Leben. Es wurde ihm ein so namhafter Antheil am Gewinn zugesichert, daß er sich ruhig hätte in seiner Heimath niederlassen und seiner Schöpfung freuen können. Aber Ruhe lag nicht im Charakter Carstenson’s. Nachdem unter seiner Leitung das ungemein beliebte und an Zweckmäßigkeit und Genialität der Anlage unübertroffene Casinotheater ebenfalls auf Actien gebaut wurde, ließ sich unser Carstenson seinen Antheil an den beiden Unternehmen mit einer namhaften Summe abkaufen und ging nach – New York, um mit einem Compagnon den dortigen Industriepalast für die Ausstellung zu bauen. Die Speculation schlug fehl, das große Unternehmen rentirte nicht, und Carstenson kehrte nach zwei Jahren von Amerika ebenso arm und mittellos nach Kopenhagen zurück, als er von Algier dahin gekommen war.

Mit der ihm eigenen kühnen Genialität entwarf er nun den Plan zur Alhambra, welche das Tivoli überflügeln sollte. In wenig Wochen war das nöthige Capital dazu, abermals durch Actionäre, aufgebracht und der Bau in Angriff genommen. Mit fieberhafter Hast trieb Carstenson zur Vollendung, die er nicht mehr schauen sollte, denn kurz vor Beendigung des Baues starb er, arm und körperlich wie pecuniär ruinirt, und das Geschick seiner Familie der öffentlichen Wohlthätigkeit überlassend, welche sich auch an derselben in glänzender Weise bewährte. Während er ein großes Vermögen hätte hinterlassen können, versplitterte er dasselbe in der Manie, sich fortwährend neue, feenhaft decorirte Wohnungen zu arrangiren. Kaum war mit enormen Kosten eine Idee ausgeführt und er in die prachtvollen Räume eines neuen Hauses eingezogen, so widerte seine stets arbeitende Phantasie das originelle Einerlei seiner Schöpfung an, die reiche Ausstattung wurde mit außerordentlichen Verlusten verkauft und eine neue Einrichtung erfunden; ähnlich wie Alexander Dumas verschleuderte er die reichen Früchte seiner Arbeit in phantastischen Entwürfen und ruhelosem Schaffen genialer Projecte.

Das Hauptgebäude (Theater und Concertsaal) der Alhambra ist beides in maurischem Styl erbaut. Das Theater enthält in amphitheatralischer Form über bequeme Sitzplätze, die hohen Bogenfenster von farbigem Glas machen einen imposanten Effect. Statt des in Schauspielhäusern gewöhnlichen Kronleuchters im Zuschauerraume entzündet sich hier im Zwischenakt plötzlich eine aus unzähligen dicht an einander gedrängten Gasflammen bestehende und unter einem concaven Glasbehälter befindliche Sonne, deren Licht sich, durch Reverberen vervielfältigt, über das Auditorium tageshell ergießt und mit dem Beginn der Vorstellung wieder erlischt. Es ist dies eine ganz vortreffliche, zweckmäßige und wahrhaft überraschende Neuerung, deren Einführung an allen deutschen Bühnen zu wünschen wäre.

Schreiber dieses wohnte in der Alhambra – am 25. Juli – dem Siegesfest der Schlacht bei Idstedt bei, bei dem freilich der Wille, die Festlichkeit recht großartig zu gestalten, eben so wie im Tivoli, weit hinter der Ausführung zurückblieb und wie eine kindische Ostentation aussah. Schon den ganzen Tag lief eine Bande in schlechte Uniformen gekleideter Jungen trommelnd durch die Straßen der Stadt. Ich habe nicht erfahren können, ob diese bettelhafte Militairkleidung irgend einem Institut angehört oder bloß als Maskerade zur Feier des Tages dienen sollte. Auch an den öffentlichen Belustigungsorten fand ich diese jugendlichen Lärmmacher wieder in voller Thätigkeit. Das Fest eröffnete ein Schlachtgesang in Begleitung von 24 Kanonenschlägen. Drei Lustspiele mit Gesang, von denen ich, der dänischen Sprache nicht mächtig, nichts verstand, als daß selbe recht mangelhaft aufgeführt wurden, lebende Bilder auf dem Theater im Garten unter Gottes blauem Himmel von der Gesellschaft eines Herrn Alfonso und „dessen Damen“ ausgeführt, wobei fleischfarbene Tricots die Hauptrolle spielten, großes Concert mit einem neuen Tongemälde: „Die Schlacht bei Idstedt“, ein ziemlich wilder Tanz einer bildhübschen Künstlerin, Frl. Louise Hélin, die Pantomime: „Pierot als Barbier“ und ein von hundert Soldaten ausgeführtes Schlachttableau unter Feuerwerksbegleitung, das waren so ziemlich die Ingredienzien zur mageren Siegesfeier. Das zahlreich versammelte Publicum verhielt sich leidlich passiv und gab dem Schreiber dieser Zeilen auch hier Gelegenheit, den Takt zu bewundern, mit welchem in Kopenhagen sich die Menge bei Massenversammlungen aus allen Ständen benimmt. Nicht die geringste Störung fällt vor, Alles bewegt sich froh durcheinander und vergnügt sich harmlos an dem Gebotenen. In Berlin würde – leider muß dies ausgesprochen sein – ein öffentlicher Vergnügungsort für alle Classen der Gesellschaft mit einem so geringen Eintrittspreis ohne Exceß nicht denkbar sein. Freilich zeichnet sich der Berliner Pöbel an Rohheit vor dem der anderen deutschen Hauptstädte auf traurige Weise aus.

Uebrigens liegen die jetzigen Leiter der Alhambra und die Actionäre des Institutes nicht auf Rosen. Das Local konnte nur ein Jahr, durch den Reiz der Neuheit getragen, der gewaltigen Concurrenz des Tivoli widerstehen, schon im nächsten Monat wird dasselbe unter dem Subhastationshammer dem Meistbietenden zugeschlagen werden, ob es dann unter tüchtigerer Leitung als die jetzige, allerdings sehr mangelhafte und einseitige, sich wird halten können, bleibe dahin gestellt. Vor dem Westerthore hinaus schließt sich ein Vergnügungslocal, eine Schaustellung an die andere an; ich erwähne als Curiosum „die Mumie der Pastrana“; die prachtvollsten Gärten für Biertrinker mit eleganten Salons reihen sich an einander, und an allen diesen Bauten ist der Einfluß der originellen Carstenson’schen Architektur unverkennbar.

Auch das Seebad Marienlyst cultivirt in neuester Zeit durch Aufstellung einer Masse von Schaubuden, Restaurationen mit Tanzböden und Sängergesellschaften die Lust an öffentlichen Unterhaltungen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 767. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_767.jpg&oldid=- (Version vom 4.12.2022)
  1. Die Direktion besteht stets aus einem Beamten, einem geachteten, intelligenten Bürger und einem namhaften Schriftsteller.