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kühlen Weinbehälter mit dem innern aus vollen Inhalt deutenden Beleg. Mit all diesen Dingen nun muss man Pompeji beleben, wenn man es mit voller Freude genießen und mit vollem Vortheil durchwandern will. Da die bourbonische Regierung aus gerechter Furcht vor dem unter ihrem Scepter so fröhlich gedeihenden Diebstahl Alles, was nicht nagelfest war, aus der Stadt forttragen ließ, so ist diese selbst dadurch etwas öde und verlassen geworden, und nur wenn man sich Penaten, Statuen, Dreifüße, Trinkgeschirre und Toilettengeräthe wieder an ihre Stelle denkt, gewinnt das Ganze wieder frisches Leben und lebendige Bedeutung; und nicht viel Phantasie gehört dazu, weiter zu schauen und weiter zu träumen, sich auch noch Bulwer’s großartige und reizende Gestalten aus seinen „Letzten Tagen von Pompeji“ hinzu zu denken und mit ihnen Straße, Theater, Forum, Schmink- und Badezimmer zu bevölkern. Und wie anmuthig sieht Pompeji dann aus, wenn wir es so betrachten, auf der erhabenen Schwelle des Jupitertempels am Forum stehend! Vor uns der große weite Platz, darauf die Glaucus’ und Pansa’s und Diomedes’ in wallenden, elegant gefalteten Togen plaudernd auf- und abschreiten. Zur Rechten auf dem curulischen Stuhle der ernste Prätor, umgeben von der ehrerbietig dem Ausspruch des Gesetzes harrenden, buntgemischten Menge; zur Linken die Halle der Senatoren, jener Männer, deren Typus Jahrhunderte lang die Welt beherrschte, Gestalten voll Würde, Kraft und Bedeutsamkeit. In weitem Kreise vor uns die Ausläufer der Apenninen, ein vielgipfeliges, wolkenhohes Waldgebirge, an dessen Fuße das heutige Castellamare liegt mit seinen buntschimmernden Landhäusern und seinen schattigen Gärten von „Quisisana“ – „hier genes’t man“; rechts das smaragdene Meer, seine Barken und Segelschiffe; im Hintergründe Sorrento, die von Orangenwäldern umgebene Geburtsstadt Tasso’s, und Capri, die lockende Sireneninsel der Odyssee; links das sonnige Campanien, die Campania felix der Alten, wie es sich zwischen dem Küstengebirge und der Hauptkette der Apenninen, ein weites fruchtbares, von blühenden Dörfern und Städtchen besäetes Thal, bis nach La Cava und Salerno hinzieht; – und alles das überstrahlt von Italiens tiefblauem, wolkenlosem Himmel und umweht von seinen lauen Lüften, unter denen jeder Blick und jeder Athemzug die Strophe eines Gedichtes in uns erbauen möchte, denn was wir sehen und was wir athmen, ist lebendige Poesie in Körper und Gestalt.

Die Ausgrabungen in Pompeji selbst wurden seit dem Tage der Entdeckung in sehr verschiedener Weise betrieben und trugen immer den Charakter der jedesmaligen Regierung an sich. In der letzten Zeit, unter der Herrschaft von Ferdinand und Franz, lag auch über Pompeji und seinen Schätzen der Fluch der Pfaffen- und Camarillen-Wirthschaft, der Korruption und Bestechlichkeit, der Trägheit und des Vorurtheils. Jährlich waren 6000 Ducaten (12,000 Gulden rhn.) für die Arbeiten ausgeworfen; allein dem Augenschein nach zu urtheilen, ging es diesen Geldern nicht besser als jedem andern Finanzposten im glücklichen Königreiche beider Sicilien. Jedweder, der mit dem klingenden Metall auch nur in die entfernteste Berührung kam, wußte sich seinen Theil davon zu erbeuten. Jeder auf eine andere Manier, Alle aber stillschweigend in der That und in dem Grundsätze übereinstimmend, daß öffentliche Gelder zu bestehlen eigentlich kein Diebstahl sei. So mag es denn gekommen sein, daß bis beute erst so wenig ausgegraben ist, trotzdem daß keine auffällige Mühe und Arbeit für das Wegräumen der lose geschichteten Asche erfordert wird. Und auch das Museum befand sich unter der Herrschaft der Bourbonen in der kläglichsten Lage. Wir wollen nicht von den dunkeln Räumen und der unzweckmäßigen Aufstellung sprechen, die man nirgendwo mehr zu bedauern hatte, als hier in Neapel; Bornirtheit, Mangel an Liberalität und officielle Bettelei verbitterten dem Besucher jeden Schritt, den er in den kunstgefüllten Sälen machte. Die Figuren der Venus, darunter das Original der berühmten „Kallipygos“, waren in einem dunkeln Verließe zusammen mit allen Obscönitäten Pompeji’s eingemauert. Zeichnen oder Photographiren war in der Stadt sowohl wie im Museum verboten, und nur vom Könige persönlich konnte auf dem langen Umwege der Bestechung verschiedener Schranzen die Erlaubniß dazu erlangt werden; und allenthalben, wo man eine Schwelle übertrat, da streckte ein Custode die schmierige Hand entgegen, um Euch mit gieriger Miene um sein buono mano zu langweilen. Freilich, die armen Kerle konnten nicht anders handeln, da sie, wie jeder Beamte des alten Regiments, in der schäbigsten Weise bezahlt und deshalb Alle miteinander aus Diebstahl oder Bettel angewiesen waren.– Das ist besser geworden, seit Garibaldi den frischen Wind der Revolution über den faulen Moder des alten Despotismus wehen ließ. Die Regierung Cavour’s hat Zucht, Ordnung und Anstand in die Verwaltung der kostbaren Schätze gebracht. Hunderte von Arbeitern sind anhaltend unter der Oberleitung des gelehrten Fiorelli beschäftigt, neue Häuser und Straßen zu Tage zu fördern, und auch hier dürfen wir hoffen, daß unter der in Italien die Civilisation vertretenden Regierung Piemont’s bald reckt viel Erfreuliches für Wissenschaft und Kunst geleistet werden wird.




Meiner Mutter.
Von Albert Traeger.[1]

Durch mein so wildbewegtes Leben,
Das nie den Frieden sich errang,
Durch all mein Kämpfen, all mein Streben
Hallt andachtsvoll ein leiser Klang,

5
Wie bis zum Schiffer, der im Brande

Empörter Fluthen angstvoll ringt,
Gedämpften Schalls vom fernen Strande
Des Kirchenglöckleins Läuten dringt.

Dein Name ist’s, die mich geboren,

10
Die meines Daseins Hort und Stab,

Und die, ob ich mich selbst verloren,
Mich niemals doch verloren gab,
Du hattest Thränen nur und Bitten,
Indeß ich keine Sorge trug,

15
Daß alles Leid, was ich gelitten.

Stets Dir die tiefre Wunde schlug.

Undankbar muß ich mich bekennen,
Oft kränkt’ ich Dich mit leichtem Sinn,
Und kann doch nichts mein eigen nennen,

20
Dir dank’ ich Alles, was ich bin,

Dir auch den schönsten meiner Triebe,
Der mit dem Liede mich beglückt:
Das weiche Herz, die warme Liebe
Für das, was arm und unterdrückt.

25
Was drängend sich in mir entfaltet

Mit schmerzlich süßer Schaffenslust,
Das Fühlen, das mein Wort gestaltet,
Es hat den Keim in Deiner Brust;
Du bist es, welcher Dank gebührte,

30
Wenn ich ihn jemals mir errang,

Der ich nur fremde Herzen rührte
Mit Deines Herzens Wiederklang.

Und so leg’ ich denn meine Lieder,
Wie eine längst verfall’ne Schuld,

35
In Deine treuen Hände nieder,

Empfange sie mit milder Huld;
Wehmüthig will’s mich fast beschleichen,
Als gäb’ ich so das schönste Glück,
Des vollsten Blühens grünes Zeichen,

40
Dir meine Jugend jetzt zurück.


Daran, was ich vordem gesungen,
Erkenn’ ich, daß ich nun ein Mann,
Die wärmsten Töne sind verklungen,
Kalt fröstelt mich das Leben an,

45
Doch was auch kommt, es sei getragen,

Ob sonnenlos die Tage sind,
Noch kann ich Mutter zu Dir sagen,
Noch nennst Du lächelnd mich Dein Kind.


  1. Widmungsgedicht aus der so eben erschienenen zweiten Auflage der Traeger’schen Gedichte. Was Albert Traeger so rasch in der Gunst des Publicums gehoben: der tief poetische Hauch und Klang, der durch alle seine Lieder zieht, die echt dichterische Zartheit und die Fülle von schönen und wahren Empfindungen und Stimmungen, besonders aber die Innigkeit seiner Kindesliebe – das Alles finden wir in den neuen Gedichten dieser stark vermehrten und wahrhaft prachtvoll ausgestatteten zweiten Auflage wieder, der wir einen eben so schnellen Erfolg wie der ersten Auflage versprechen können. D. Redact. 
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 776. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_776.jpg&oldid=- (Version vom 8.12.2022)