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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

mein Ohr, die von dem Oeffnen und Schließen der unter mir gelegenen Zelle herrührten. Sie sagten mir genug. Ich wußte jetzt, daß diese Zelle wieder einen Bewohner habe, und zweifelte somit nicht, daß von demselben das Mäuschen weggefangen worden sei. Meine Annahme erhielt bald Bestätigung, der Arrestaufseher bejahte, daß die betreffende Zelle, und zwar schon seit einigen Tagen wieder besetzt sei, und fügte das für mich noch gewichtigere hinzu, daß die Insassen derselben bereits eine große Anzahl von Mäusen weggefangen hätten. Die Beschaffung der Falle und des Käfigs war nun unnöthig geworden.

Ich gestehe, die nächsten Tage von wahrer Betrübniß über den Verlust erfüllt gewesen zu sein. War ja das Mäuschen das einzige lebendige Wesen, das nach längerer Zeit einmal wieder zu meiner Seele gesprochen hatte. Am längsten und am empfindlichsten mißte ich den letzten Abendgruß, den ich bereits seit Wochen von ihm zu erhalten gewohnt war.

Daß diese außerordentliche Erscheinung ebenfalls in wissenschaftlicher Hinsicht mein Interesse rege machen mußte, liegt in der Natur der Sache. Ich unterließ deshalb nicht, darauf zu achten, ob nicht vielleicht im Aeußeren schon ein Unterschied zwischen meinem Mäuschen und unserer Hausmaus zu erkennen sei, konnte jedoch für einen solchen mit Bestimmtheit mich nicht entscheiden; schien mir auch die Schnauze etwas zugespitzter zu sein. so schrieb ich dies jedoch mehr den Muskelbewegungen zu, welche das Schlagen, während dessen ich das Thierchen mehrentheils nur betrachtete, begleiteten. Die inneren Organe, namentlich das Stimmorgan zu untersuchen, blieb mir leider versagt. Nichts desto weniger glaubte ich, eine besondere Anlage als Naturspiel annehmen zu müssen, auch hielt ich dafür, daß mein Mäuschen nicht erst durch Nachahmung gerade die Weise des Kanarienvogels sich angeeignet habe, zumal, so viel ich wenigstens ermitteln konnte, zu jener Zeit weder in den Räumen des Castells, noch in der nächsten Nachbarschaft desselben ein Kanarienvogel eingesetzt war. Das Gundlach’sche Mäuschen, über das ich damals ein Näheres nicht hörte, schien mir dafür zu sprechen, daß ein solches Naturspiel nicht einzig in seiner Art sei, und es ist offenbar ganz natürlich, daß mir die Erforschung der näheren Geschichte desselben eine Herzenssache wurde.

Da Kaufmann Gundlach nicht mehr lebte, so wandte ich mich an dessen Schwiegersohn, den Herrn Kaufmann Scholl zu Cassel, dem ich folgende Mittheilungen verdanke:

„Zu dem Comptoir der Firma N. Gundlach, welche jetzt auch die meinige ist, wurden vor 14–16 Jahren mit einem Mal, gewöhnlich Abends, in der Wand Töne gehört, welche ich mit full, full bezeichnen kann. Dieselben erfolgten in der ersten Zeit in kleinen Zwischenräumen, später in immer rascherer Folge auf einander, überhaupt ähnlich dem Schlagen einer Nachtigall.

Sie wurden nicht selten an verschiedenen Seiten der Wand gehört, jedoch nie gleichzeitig, zuweilen gab sich sogar ganz deutlich rasches Ueberspringen der Töne von einer Stelle zur andern kund, es pflegte dies dann auch von einem Geräusche begleitet zu sein, welches man nothwendig der Bewegung eines größeren Thieres zuschreiben mußte. Mein Schwiegervater, der überhaupt für Naturkunde ein besonderes Interesse hatte, gab sich alle Mühe, den Zusammenhang der Erscheinung zu entdecken, lange aber erfolglos. Da wurden mit einem Male dieselben Töne, statt, wie bisher, in der Wand des Comptoirs, in der Wand der eine Treppe höher gelegenen Küche gehört. Schnell ließ nun mein Schwiegervater eine Falle besonderer Construction aufstellen, um das fragliche Thier lebendig einzufangen, und nicht lange dauerte es, so hatte man den Sänger. Man fing nämlich eine Maus, welche man gleich von vorn herein schon deshalb für diesen halten mußte, weil mit ihrem Einfangen die Töne in der Küche und dem Comptoir nicht mehr hörbar wurden. Mein Schwiegervater setzte sie unter eine Glasglocke, es verstrich aber eine Zeit, ehe sie hier die ersten Töne der erwähnten Art hören ließ. Sobald diese vernommen wurden, nahm mein Schwiegervater die Maus in ihrem Bewahr in seine Privatwohnung, die von dem Comptoir durch einen Hof getrennt war.

Nach einigen Wochen entsprang sie hier, und alsbald ertönte ihr munterer und fröhlicher Gesang in den Räumen des Erdgeschosses, wohin sie aus einer Stube ersten Stockes entkommen war; es gelang mittelst der bereits probat gefundenen Falle, sie auch wieder einzufangen. Was weiter aus ihr geworden, entsinne ich mich nicht mehr ganz genau; es steht mir jedoch so vor, als habe sie sich nochmals befreit und sei nicht wieder eingefangen worden. Was das Aussehen der Maus anlangt, so war, wie mir noch erinnerlich ist, der Kopf etwas länger und spitzer als bei unseren gewöhnlichen Mäusen, auch der Körper ungewöhnlich groß, und das graue Fell hatte einen bräunlichen oder röthlichen Schein, wie ihn das Fell der Ratten zeigt.

Noch muß ich bemerken, daß ungefähr ein Jahr später in den Wänden des Comptoirs, wo die Singemaus zuerst sich hören ließ, wieder Töne ähnlicher Art gehört wurden; doch nicht lange dauerte es, so hörte man nichts mehr, auch ist seitdem nichts wieder gehört worden. Ob wohl diese Töne von Abkömmlingen jener ersten Maus herrührten?“

Nachdem dieser Gegenstand mich lange mit seinem Dunkel beunruhigt hatte, mußte mir ein wenn auch noch nicht Alles aufhellendes Licht über ihn vom größten Interesse sein. Ich fand dasselbe in folgender Mittheilung des Berliner Bazar (Jahrg. VII. Nr. 23): „Ein englischer Officier, der an der Expedition nach China Theil genommen, erzählt, daß man in den Wohnungen der Chinesen vergoldete Käfige von den verschiedensten Formen findet, welche den europäischen an Eleganz nichts nachgeben, daß aber die Bewohner dieser kunstreichen Gefängnisse nicht, wie bei uns, Vögel, sondern Mäuse sind. Die Männchen unter diesen kleinen, zu der Familie unserer gewöhnlichen Mäuse gehörigen Thiere sind mit der Gabe des Gesanges ausgestattet, und zwar hat ihre Stimme die größte Aehnlichkeit mit der des Kanarienvogels, sie ahmen die langen Passagen und Cadenzen derselben vollständig nach, ja ihr Ton möchte eine noch weitere Ausdehnung, als der dieses Vogels haben. Einer der Naturforscher, welche die Expedition begleiteten, hat sich mit Hülfe einer Loupe von der Vibration des Kehlkopfs überzeugt. Zuweilen läßt die Maus lange warten, ehe sie sich entschließt, die sanften Töne hervorzubringen, die kein menschliches Wesen nachzuahmen im Stande wäre; hat sie jedoch einmal zu singen angefangen, so läßt sie sich auch durch das größte Geräusch darin nicht stören. Man beabsichtigt in kurzer Zeit einige Exemplare dieser merkwürdigen Thierart nach Europa zu bringen, wo sie sicher allgemeines Staunen erregen werden, wenn der Einfluß des veränderten Klimas sie nicht ihrer vorzüglichsten Eigenschaft beraubt, wie schon häufig bei Thieren, die man aus ihrem Vaterlande in andere Länder brachte, der Fall war.“ – Trotz dieser aufklärenden Nachricht fragen wir allerdings mit Recht immer noch nach dem Zusammenhange zwischen diesen chinesischen und unseren kurhessischen Singemäuschen. Den zahlreichsten Vermuthungen ist wohl kaum noch ein annehmlicheres Feld eröffnet worden; ich muß jedoch dasselbe dem Privatvergnügen des Lesers überlassen. Die Hauptsache ist, daß ich die volle Wahrheit ohne irgend welche Täuschung berichte, und ich finde daher schließlich auch die Bemerkung hier am Ort, daß sowohl der Commandant, als auch der Arrestaufseher heute noch in Cassel leben, und daß letzterer auch seinen damaligen Posten noch einnimmt.

Dr. med. Eichelberg zu Marburg.




Vom Hühnerhof.

Von Henriette v. Bissing

Wer unsere befiederten Hausthiere nur aus dem Gesichtspunkte ihrer Nutzbarkeit, der Augenlust oder Curiosität betrachtet, der kennt nicht zur Hälfte das Vergnügen, welches der Naturfreund auch auf einem Hühnerhofe zu finden weiß. Während Jener hier nur gefräßige, sich vielfach zankende Geschöpfe sieht, deren besseres oder schlechteres Gedeihen und größere oder geringere Eierproduction er mit dem Kostenaufwande vergleicht, den ihr Unterhalt ihm verursacht, oder wer sich doch nur an ihrer äußeren Gestalt und an der Verschiedenheit der Racen und ihrer Seltenheit ergötzt, faßt Dieser zugleich ihr Seelenleben


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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 778. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_778.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2022)