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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

niederwirft und mit Flügeln, Kopf und Beinen dies lockere und doch scharfe Reinigungsmittel, das ihm im Hause hinzuwerfen wir nicht unterlassen dürfen, seiner Haut nahe zu bringen und die gern darauf nistenden Insecten zu vertreiben sucht.

Sechs Wochen lang, zuweilen etwas länger, oft selbst noch kürzere Zeit, sieht das Küchlein sich nun von seiner Mutter auf das Sorglichste gehütet, auf das Zärtlichste und Nachsichtigste verhätschelt; sobald die Henne aber auf’s Neue den Beruf zum Eierlegen in sich verspürt, schwindet fast plötzlich alle Zuneigung für die Küchlein aus ihrem Herzen. Bis heute noch setzte sie sich allabendlich auf das ihr zu diesem Zwecke auf den Fußboden eines sicher verwahrten Raumes bereitete Nest und versammelte die Küchlein lockend unter ihre Flügel. So wie sie größer wurden, wuchs auch die Beschwerde, die sie davon hatte, denn nicht nurr daß ihre

Auf einem norddeutschen Hühnerhofe.

eigene Stellung mit den zusammen gekrümmten Beinen und den ausgedehnten Flügeln für eine ganze Nacht äußerst unbequem war, sondern als die Küchlein zu groß wurden, um überhaupt noch alle Platz unter ihr finden zu können, setzten sich einige ihr gar auf Hals und Rücken. Dennoch ertrug sie Alles mit zärtlicher Nachsicht und Selbstvergessenheit; wo sind diese Gefühle nun so plötzlich hingekommen? An diesem Abende ersteigt sie den ersten besten höheren Gegenstand, den Rand einer Kiste, eines Korbs oder dergleichen, läßt aber dabei freilich noch den lockenden Gluckton vernehmen. Aengstlich schreiend und piepsend sehen die Küchlein diesem ihnen noch ganz neuen und unbegreiflichen Treiben der Mutter zu und versuchen endlich mit mehr oder weniger Geschicklichkeit sich ihr nach zu schwingen, was für das erste Mal nur wenigen gelingt. Die Uebrigen setzen sich endlich ermüdet, dicht neben einander geschaart, auf den alten Ruheplatz, und der Traum dieser ersten selbstständig von ihnen hingebrachten Nacht mag den Unterricht für das Erreichen der Hühnersteige bei ihnen fortsetzen.

In der Regel fährt auch die Glucke noch einige Abende damit fort, oftmals überlässt sie die Küchlein schon am zweiten oder dritten sich selbst und setzt sich so gleichgültig, als hätte sie die mütterliche Periode ihres Lebens mit all ihren Mühen, Sorgen und Freuden gänzlich vergessen, wieder zu Gatten und Nebenbuhlerinnen auf die Hühnersteige. Wollen aber die Küchlein sich auch hier ihr nachschwingen, so beißt sie sie eben so unbarmherzig davon zurück, wie dies die übrigen Hennen thun. Einstweilen, und bis sie sich erst mehr an eine so grausame Behandlung gewöhnt, oder bis sie stärker geworden und sich schon wehren und vertheidigen können, müssen die armen Kleinen nun sehen, wie und wo sie sich für die Nacht unterbringen.

Am nächsten Morgen, bei dem gemeinschaftlichen Frühstücke, erhalten sie einen neuen, fast noch empfindlicheren Beweis von der veränderten Gesinnung ihrer Mutter. Bisher war dieselbe unablässig bemüht, ihnen Futter zu suchen und die besten Bissen davon vorzulegen, und solche von der Mutter dargebrachte Bissen, von dem zärtlichsten Locktone begleitet, munden dem Küchlein ganz besonders gut. Denn wenn jener Ton erschallt, lassen sie das leckerste Mahl, das wir ihnen vorgesetzt, sofort im Stiche, um sich zankend und streitend den Vorrang beim spendenden Schnabel der Mutter abzulaufen, der doch nur einen einzigen Bissen fasten kann.

An diesem Morgen ist auch diese Lust der ersten Kindheit verschwunden. Kein gluckender Laut läßt sich mehr hören, und die Küchlein müssen von nun an nicht nur selbstständig und vereinzelt für ihren Unterhalt sorgen, sondern sich auch hüten, dem Schnabel ihrer unnatürlichen, oder vielmehr nur zu natürlich, Mutter (denn gehorcht die Henne nicht auch hierin dem Gesetz der Natur?) zu nahe zu kommen.

Allmählich entwickeln sich nun aus den Küchlein Hähne und Hennen und in ihnen alle guten und schlimmen Eigenschaften eines Geschlechtes, bei dem, wie überall im Thierreiche, der Stärkere den Schwächern beherrscht.

Daß ich den Haushahn das Musterbild eines guten Familienvaters nannte, will ich jetzt zu beweisen suchen. Wachsam, muthvoll und vorsorglich, zeigt er sich stets als der aufopferndste Beschützer, Versorger und selbst Erzieher der Seinen. Kann er sich ihnen doch auch ausschließlich widmen, da er weder für den Staat noch die Gemeinde Pflichten zu übernehmen hat. Zwar ist der Hahn im geselligen Verkehr mit seinen speciellen Geschlechtsgenossen streitsüchtig und kampfbegierig, allein bei weitem großartiger gesinnt

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 780. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_780.jpg&oldid=- (Version vom 8.12.2022)