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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

wie die Hennen, verschmäht er es aus kleinlichem Neide den Schwächeren anzufallen, nur Eifersucht und Ehrgeiz oder auch der Zorn über schlechtes Betragen kann ihn dazu veranlassen.

In der Regel ist sein Benehmen voller Mäßigung und Würde und zeugt von Selbstverleugnung und Generosität. Die Sorgfalt und Wachsamkeit eines Familienoberhaupts lassen ihm selbst während der Nachtstunden keine Ruhe. Oftmals schon um Mitternacht ermahnt er durch sein helles Krähen die Seinen, nicht allzu fest zu schlafen, um bei einer etwa sich nahenden Gefahr sich gleich vertheidigen oder doch flüchten zu können. Während des Tages späht er fleißig mit seitwärts gelegtem Haupte in die Luft hinaus, ob auch kein Raubvogel sich zeige, und er ist sicher der Erste, der die raubgierig herbeischleichende Katze, den jagdlustigen Hund wahrnimmt. Ja oftmals bewegt ihn schon der Schatten einer flüchtig vorübereilenden Wolke, seinen Warnungsruf ertönen zu lassen, den all die Seinen, selbst das acht Tage alte Küchlein, nicht sobald vernehmen, als sie auf Flucht und Rettung bedacht sind. Die alten Hennen zeigen bei dieser Gelegenheit freilich den wenigsten Respect vor der Unfehlbarkeit ihres Gebieters. Die Erfahrung hat sie belehrt, daß er oft blinden Lärm schlägt, eine Schwalbe für einen Habicht, eine Wolke für einen Adler gehalten hat. Sie werfen daher erst selbst einen Blick in die Gegend hinaus, von woher die vermeinte Gefahr sich nahen soll, und stellen sich, wenn sie von Hund oder Katze bedroht werden, denselben nicht selten mir gellendem Zankgeschrei muthig entgegen. Die Küchlein hingegen flüchten sich jedesmal ängstlich, wo sich dies am nächsten und besten thun läßt.

Unparteilichkeit ist eine zweite gute Eigenschaft des Haushahns. Er widmet seine Sorgfalt allen Mitgliedern seiner Familie in gleicher großmüthiger Weise. Er füttert Groß und Klein und bedient sich selbst erst dann des Futters, wenn Ueberfluß vorhanden ist. Er vertheidigt alle und sucht die Sitten der Hennen sowohl zu verbessern, als die des Küchleins, das eben ungehorsam sich zeigt.

In der Zuneigung zu seinen Frauen zeigt er sich zwar wie alle Sultane, indem er eine oder die andere derselben zur Favoritin erhebt, und bei dieser Wahl verfährt er oftmals mit demselben unbegreiflichen Geschmack, wie wir das nicht selten die Herren der Schöpfung thun sehen. Allzu sicher darf eine solche Favorithenne sich aber nicht auf diese Schwachheit verrathende Gunst verlassen, oder ihre Launen zu sehr übertreiben, denn obgleich der Hahn, wie gesagt, sehr nachsichtsvoll und verblendet sein kann, erniedrigt er sich doch niemals zum Pantoffelhelden. Am Schlusse meiner Abhandlung werde ich in einer Anekdote aus dem Leben von Hahn und Henne hiervon ein pikantes Beispiel erzählen.

(Schluß folgt.)




Ein Besuch in einer englischen Baumwollenanstalt.

Wir kennen Alle das Wort „Manchester“, aber Viele denken sich kaum etwas Besseres darunter, als unechten, baumwollenen Sammet. Aber die echte Hauptstadt alles Unechten, Gemeinen und Pöbelherrlichen, die Mörderin des Weltfriedens, die unglückseligste Mutter der Schutzzölle, die neronische Beherrscherin der englischen Politik, welche ihretwegen in aller Welt Kunden mit Kanonen erzwingen und erhalten will, die Pflegerin, Erzieherin und Ernährerin der amerikanischen Sclavenarbeit, die Molochs-Göttin, der wir unsere echten, edeln Industrien in Wolle, Leinen, Seide u. s. w. opferten, – dieses echte englische Manchester in Lancashire mit Millionen von verzweifelten Capitalien, Arbeitern und Dampfschloten hinter sich, muß man gesehen und studirt haben, um die furchtbare Bedeutung dieses Wortes ahnen zu können.

Manchester ist der Brennpunkt der England beherrschenden, die ganze Welt unmoralisch und materiell störend beeinflussenden Baumwollen-Interessen, für die unsere Leinweber dem Hungertode preisgegeben wurden, für deren Rechnung wir Alle gewaltsam besteuert werden, um unsere Schutzzollnester, unsere crösusreichen Elberfelder Mucker, unsere nur durch nationale Almosenspenden zu erhaltenden Twistspinner zu ernähren. Und statt uns stattlich und solid in wollene, leinene und seidene Stoffe zu kleiden, müssen wir uns mit gefälschten, künstlich vertheuerten seidenen, wollenen oder leinenen Lügen, mit künstlerisch ausgebildeter Betrügerei oder gar mit der reinen Baumwolle, der Vertreterin alles Pöbelhaften, dem gewaltsam gehätschelten, brutalen Emporkömmling, behelfen. Wenn man alle Fäden und Fasern der Baumwollen-Interessen aus unserer Geschichte, Cultur und Industrie herausziehen könnte, wenn nie eine Flocke auf einer Baumwollenstaude zu etwas Anderem verwendet worden wäre, als wozu die Natur sie bestimmte, mit andern Worten, wenn alle die unberechenbaren Millionen von Capitalien, die Künste, Maschinen- und Arbeitskräfte, die jetzt in der pöbelhaften Baumwolle stecken, zur Ausbildung und Vervollkommnung der edleren Industrien in Wolle, Leinen und Seide u. s. w. ihren natürlichen, unschutzzöllnerischen Weg gefunden hätten – wie schön müßte jetzt die Welt sein? Man denke sich’s ganz im Kleinen und Häuslichen. Jeder Mensch fühlt sich gedemüthigt, gemeiner, sobald er sich in Baumwolle steckt. Unsere Geliebte, unsere Frau und unsere Töchter sehen gemeiner, häßlicher aus, wenn sie Kattunfahnen (noch dazu auf die Käseglocken von Crinolinen gespannt) tragen, statt fließige, feine echte Wollenstoffe oder eigenthümlich lieblich säuselnde Seide.

Nun, so denke man sich wenigstens diese eine Folge der gänzlich gestrichenen Baumwollen-Interessen: unsere Arbeiter würden alle in edleren Industrien arbeiten und freien, durch keinen Schutzzoll geraubten Lohn beziehen, wir würden alle anständiger und schöner bekleidet sein.

So viel einleitungsweise. Genug, um alle in gemeinen Baumwollen-Interessen ergraute Sclaven und Ritter der Industrie zu einem allgemeinen Hohn- und Rachegeschrei zu vereinigen. Dies soll uns nicht irre machen. Wer ruhig geblieben oder es wieder geworden, mag uns getrost in die größte Anstalt begleiten, wo dem modernen Moloch der Industrie mit den gigantischen und vollkommensten Mitteln gehuldigt wird. Einmal in den Wundern der Maschinerie befangen, lassen wir uns hinreißen, als gehörten wir zu den Baumwollen-Enthusiasten erster Classe.

Himmlische Industrie, in deren Interesse sich jetzt die stolzesten Republiken der Welt in Bürgerkriegen zerreißen und nach Tyrannei seufzen, die die stolzesten Baumwollen-Lords zu frommen, demüthigen Gläubigen macht, damit sie den lieben Gott recht inbrünstig um den Sieg und die Verherrlichung der Sklaverei anflehen können!

Kaum sind wir mit der Eisenbahn aus dem dicksten Qualme Manchesters heraus, so schreien die Conducteurs an dem haltenden Zuge entlang: „Heaton Norries!“ Hier stieg ich also mit meinem Freunde und Führer aus, um zunächst eine echte Baumwollen-Industrie-Landschaft von Lancashire zu genießen. Dickes Gemisch von Regen, Nebel und Qualm, so dick und dicht, daß man glauben sollte, man könne sich ruhig darauf setzen. Ein verdrießlicher Wind schlägt dann und wann auf diesen dicken Polster, daß er auseinander weicht und uns eine Viertelminute lang Hunderte von dickqualmenden Krater-Schloten enthüllt. Das ist Stockport, sagt mein Freund. Tief unten vom Eisenbahndamme ein ungeheuer Polster von Qualm, Rauch, Ruß und Regen, zuweilen aufklaffend unter einem trägen Windstoße und einen Wald von dickqualmenden Schloten enthüllend – das ist also Stockport, ein Stück von Manchester und wegen der größten aller Baumwollen Spinnereien eigentlich dessen Vertreter.

Aus dem dicken Polster von Rauch und Dampf ragt dicht an der Eisenbahn ein Schlot über dieses furchtbar begrabene Leben hoch empor und leitet den Blick auf ein riesiges Kubik-Schachbret herab, einen Würfel von Bauwerk, dessen unabsehbare acht Fensterreihen übereinander auf jeder Seite eben an die Quadrate eines Schachbretts erinnern, Ueber 800 Fenster auf jeder Seite, im ganzen Gebäude viel über 10,000. Ein großer leerer Raum auf der einen Seite ist ein niedergerissener Stadttheil, der Platz machen mußte, um eine fünfte Vergrößerung und Erweiterung dieses Ungeheuers von Baumwollen Spinnerei der Herren Kershaw, Leese und Co. aufzunehmen. Aber beinahe die Hälfte der Lancashire-Spinnereien arbeiten entweder blos halbe Zeit oder gar nicht. Alle Wochen werden mehrere Hunderte von Pferde- und Tausende von Menschenkräften ausgespannt, um auf den Sieg der Sclavenhalter und auf Versclavung der Indier zur Baumwollenzucht zu warten. Die mächtigste

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 781. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_781.jpg&oldid=- (Version vom 23.4.2023)