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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Ein Beamtenleben.

Von Dr. J. D. H. Temme.
(Fortsetzung.)


Emilie hatte mit dem Geliebten in regelmäßigem Briefwechsel gestanden. Der Gerichtsdiener, der die Post für das Gericht zu besorgen hatte, beförderte auch ihre Briefe, und er war ein treuer, verschwiegener alter Mann. Die Briefe athmeten Liebe und Zärtlichkeit, unverändert, den ersten Tag, wie den letzten, und von Seite des jungen Mannes die täglich fester ausgesprochene Hoffnung, daß sein Vater in ihre Verbindung einwilligen werde. Aber vor dem Examen schrieb er, daß er gleich nach dem Examen um diese Einwilligung an seinen Vater schreiben werde, und nach dem Examen fand er es für besser, noch zu warten, bis er eine Anstellung erhalten habe und ganz selbstständig geworden sei. Als er dann aber die Anstellung erhalten hatte, meinte er wieder, eine bloße Hülfsarbeiterschaft gewähre ihm keine feste, selbstständige Stellung, und um ganz sicher zu gehen, wolle er warten, bis Emiliens Vater Präsident geworden sei.

Das arglose Märchen hatte in keinem Worte Arg gefunden. Da kam die Nachricht, daß der Vater Präsident geworden sei. Da winkte unmittelbar darauf der alte Gerichtsdiener sie hinaus. Sie folgte ihm. Er übergab ihr einen soeben mit den übrigen Postsachen eingegangenen Brief des Geliebten. Sie riß das Siegel auf. Der Geliebte, im Justizministerium arbeitend, hatte die Nachricht von der bevorstehenden Beförderung ihres Vaters schon vor acht oder vierzehn Tagen wissen, er hatte seitdem an seinen Vater schreiben, von diesem Aniwort erhalten können. Der Brief konnte, mußte die Antwort bringen. Ihr Gesicht glühete vor Erwartung, vor Freude, ihre Augen durchflogen den Brief. Aber der Brief mußte wohl keine freudige Mittheilung bringen, denn ihr Gesicht wurde leichenblaß und vor ihren Augen wurde es dunkel.

Der Herr von Senkendorf hatte die Nachricht von der Beförderung des Directors Heilsberg zum Präsidenten schon vor vierzehn Tagen gehabt; er hatte an seinen Vater geschrieben; der Brief an Emilien enthielt die Antwort seines Vaters. Sie war kurz, aber entschieden. Sein Haus sei von altem, reinem Adel; man wisse von keiner Mesalliance darin; er hoffe, daß sein Sohn nicht der Erste sein werde, an eine solche zu denken; er selbst werde nie seine Einwilligung dazu ertheilen. Werde auch die beamtliche Stellung des Directors Heilsberg eine höhere, dessen Stand bleibe der bisherige; die Kluft zwischen Adel und Bürgerstand werde dadurch nicht ausgeglichen; der Adel bekomme im Gegentheil durch solche Erscheinungen um so mehr die Verpflichtung, auf seine Ehre und Reinheit zu halten, als es traurig genug sei, in neuerer Zeit Bürgerliche in hohen Aemtern sehen zu müssen, auf die bisher, wenn auch nicht nach dem Buchstaben des Gesetzes, doch nach gutem Gebrauche und Herkommen der Adel allein und ausschließlich Anspruch gehabt habe.

Das hatte der Vater an den Sohn geschrieben. Das theilte der Geliebte der Geliebten mit. Aber war sie noch seine Geliebte? Konnte sie es noch sein, indem er ihr das schreiben konnte?

„Der Wille meines Vaters ist unbeugsam, unabänderlich,“ setzte der Sohn in seinem Briefe an das arme Mädchen hinzu. „Ich kenne ihn; ich kenne aber auch Dich, meine theure Emilie, und ich weiß, daß Dein schönes, edles Herz nie es wird über sich vermögen können, die natürlichen, heiligen Bande zwischen Eltern und Kindern zu zerreißen. So wie ich, wenn Deine Eltern eine Verbindung zwischen uns nicht hätten genehmigen wollen, der eisernen Nothwendigkeit, wenn auch mit brechendem Herzen, mich hätte fügen müssen, so wirst auch Du, meine ewig Geliebte, dem unerbittlichen Schicksale Dich unterwerfen und in Deinem reinen, schönen Herzen für das, was Du verlieren möchtest, einen reichen Ersatz durch das erhebende Bewußtsein finden, eine edle, erhabene Pflicht erfüllt zu haben. So müssen wir uns denn für das Leben trennen. Mein Herz wird immer Dir zugehören.“ –

So schrieb er. War Sinn, war Wahrheit darin? Doch eine große und alte Wahrheit. Auch das arme Mädchen erkannte sie. Freilich zu spät, wie der Verrath eines schwachen Herzens von dem edlen Herzen immer zu spät erkannt wird.

„Er ist Deiner nicht werth,“ wollte die Mutter sie wohl trösten. Aber kann der banale, wenn auch noch so wahre Trost ein zerrissenes Märchenherz heilen? Und dieses Herz war ein so junges und war so reich, so unendlich reich und glücklich in seiner Liebe gewesen und hatte nun auf einmal Alles verloren. Nein, nicht Alles, das war es ja eben. Die Liebe zu dem Unwürdigen saß ja noch darin, so tief, so fest, so unvertilgbar, wie das Unglück selbst. Und war nicht das, was das höchste Glück des armen Mädchens gewesen war, auf einmal ihr größtes, ihr schwerstes Unglück, ihr tiefstes Weh geworden?

Da war aller Trost vergebens. Auch das treueste Mutterherz hatte keinen mehr. Und dieses treue Mutterherz war selbst des Trostes und der Aufrichtung so sehr bedürftig.

Ein Umstand hatte einen Augenblick lang einen Hoffnungsstrahl, wenn auch einen noch so schwachen, in das Herz des Mädchens gießen wollen, die Nachricht des Gerichtsdieners, daß der Präsident des Obergerichts plötzlich in dem Gerichtslocale angekommen sei. Was wollte der Vater ihres Geliebten so plötzlich hier? Und gerade heute? Wenige Tage nachdem er an seinen Sohn geschrieben, aber auch unmittelbar nachdem er die Nachricht


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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 785. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_785.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)