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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Der Tag graute, und Körner schrieb in schwindender Dämmerung sein letztes Lied: „Du Schwert an meiner Linken.“ Kaum hat er’s vollendet, so schmettert die Trompete! Auf sitzen die schwarzen Husaren und traben dem Feinde entgegen. Einige auf einer Anhöhe lauernde Kosaken hatten um 7 Uhr Morgens einen heranrückenden Transport von Munition und Lebensmitteln gewahrt, welchen zwei Compagnien Infanterie deckten. Dieselbe Kundschaft war dem Grafen Hardenberg im Kruge von Lützow durch einen von Gadebusch zurückkehrenden Fuhrmann gebracht worden. Man beschloß sofort, diesen Zug durch einen gleichzeitigen Angriff von drei Seiten auf dem freien Felde zwischen Rosenow und dem Rosenberger Gehölze aufzuheben. Vom Gehölze aus sollte er durch die von vorne angreifenden und ihn an seiner Spitze umschwärmenden Kosaken abgeschnitten und aus den Rosenberger Tannen von einer Abtheilung der schwarzen Reiter angegriffen werden, während der Major selbst, an seiner Seite Körner, in der Richtung vom Hofe Lützow über den Weg sprengend, dem Feinde von hinten in die Flanke fallen wollten. Die Kosaken kamen jedoch zu spät an ihre Stelle und fielen dann gleich über die Beute her, wie ein Mann zu Rosenhagen von einem hohen Baume aus deutlich sah. Dadurch geschah es, daß die ersten Wagen in das Gehölz fast bis nach Rosenberg gelangten. Von den übrigen Fuhrleuten, die von den Franzosen zwangsweise in Anspruch genommen waren, machten sich manche die Verwirrung zu nutze, schnitten die Pferde los und jagten querfeldein. Die Bedeckung aber mußte bald fliehen und zog sich neben und unter der den Weg versperrenden Wagenreihe entlang nach dem Gehölze hin, aus dem sie tiraillirend auf die erbitterten Verfolger schoß.

Unter den eifrigsten Verfolgern befand sich Theodor Körner. Entflammt von jenem Enthusiasmus und jener „Lützower Weise“, nach welcher ohne Commando und Erlaubniß, im Drange nach persönlicher freier That, allezeit drauf losgegangen wurde, verließ Körner den Major und gelangte mit einer Zahl Cameraden auf die Nordseite des Gehölzes, an dessen Anfang die dichteste Tirailleurskette sich befand. Hier war die Verwirrung am größten, hier die Verfolgung der aus dem Gebüsche feuernden Feinde am heftigsten. Und hier ist die Stelle, wo von Rosenowern noch jetzt die hohe, dunkele Fichte gezeigt wird, die alle anderen bei weitem überragt und aus deren sicherem Versteck die Kugel eines Feindes, den Hals von Körner’s Schimmel streifend, den kühnen Reiter zum Tode traf. Unter der Herzgrube in den Unterleib dringend, verletzte sie Leber und Rückgrat. Lautlos sank der Held vom Pferde, zweien heraneilenden treuen Freunden, Helfritz und dem edlen Friesen, in die Arme, die ihn unter dem Feuer der Feinde eine Strecke forttrugen und ihn unter eine Birke niedersetzten, mit dem Rücken an den Baum gelehnt. Noch einmal öffnete der todeswunde Held den Mund; dann sank er sprachlos um. Mit stummem Schmerze hoben ihn die Waffenbrüder auf ein Fuhrwerk. Noch wenige Augenblicke leisen Athems, dann stand das Herz still. Mit Blumen und Eichenlaub bekränzt fuhren die Genossen die Leiche nach Wöbbelin und mit ihr die des jungen Grafen Hardenberg, der mit noch zwei anderen Lützowern in dem Rosenberger Gefechte auch den Heldentod gefunden hatte. Dort ruht Theodor Körner unter seiner Eiche, neben seiner einzigen Schwester, die aus Gram über den Tod des geliebten Bruders starb, und neben seinem Vater, der den letzten Ruheort bei seinen Kindern suchte.

An der Stätte aber, wo den Dichter und Helden die tödtliche Kugel getroffen, hat in jüngster Zeit eine edle Hand ihm ein Denkmal gesetzt. Schon vorher war jene Stätte nach der Localangabe eines Rosenowers von Tannen frei gemacht und mit zwei Trauereschen bepflanzt worden. Hier erhebt sich seit dem Jahre 1850 eine Denksäule von Granit in Form eines Obelisken, welcher unten 3, oben 1¼ Fuß im Geviert mißt und mit dem Grundsteine eine Höhe von 19 Fuß erreicht. Die vordere Seite schmückt „Leyer und Schwert“, darunter stehen Körner’s Worte:

„Wachse, du Freiheit der deutschen Eichen,
Wachse empor über unseren Leichen,
Vaterland, höre den heiligen Eid!“

Auf der andern Seite sind die Worte eingegraben: „Hier fiel Karl Theodor Körner, ein deutscher Mann, am 26. August 1813. Gewidmet von Karl Griefenhagen auf Rosenhagen.“ Den Hintergrund bildet eine dunkele Tannenwand, die im Halbkreise das Denkmal umgiebt.

Des Dichters schöne Mahnung:

„Vergeßt der treuen Todten nicht und schmücket
Auch ihre Urne mit dem Eichenkranz,“

sie ist in dankbare Herzen gedrungen; noch ist kein Jahr vergangen, ohne daß sein Grab und sein Denkmal ihre frischen Kränze trugen und ein Ehrenlied für den Gefallenen an dieser der Vaterlandsliebe heiligen Stätte erklang. Theodor Körner’s Ehrentage sind zu frommen Jugendfesten jener Gegend geworden.

Andere Zeiten verlangen andere Feste. Es gab eine Zeit, wo die Feier der Siegestage des „Befreiungskriegs“ an vielen höchsten Orten ungern gesehen wurde, ja, in manchem deutschen Lande sogar verboten war. Man scheute die Erinnerung an jene Kampfthaten der Völker, für welche man in der Dankbarkeit der Noth so sehr viel ganz vergeblich versprochen hatte. Damals verging der Nation die Lust zu öffentlichen Ehrenfeierlichkeiten für ihre großen Todten. Oeffentliche Pracht entfalteten nur die Familienfeste der Fürsten, zu welchen die Schaulust der Menge sich unterthänigst hinzudrängen durfte. Der Erinnerung an die Helden des Volks weihete man prunklose Feierstunden in engeren Kreisen, wenn dies nicht gar insgeheim geschehen mußte; ja, schließlich wagte es fast nur noch die akademische Jugend, eine freie politische Meinung öffentlich zu äußern, weil sie durch die begeisternde Anschauung des Idealen über Gefahr und Gram der Gegenwart emporgehoben wurde, während die durch bittere Erfahrungen enttäuschten Männer verdrossen und schweigend zu Boden sahen. Deutsches Leben blühte fast nur noch in den patriotischen Jugendfesten geheimer Verbindungen.

Diese Zeiten sind vorüber. Das Volk entfaltet seine Fahnen wieder am hellen Tage und auf offenem Markt, aber eine dunkele Wolke schwebt an seinem Himmel;

„Wohl mischt sich selbst in seine Feier,
     Ins Freudenroth der ernste Flor,
Doch tritt gerüsteter und freier
     Der Geist zu Werk und That hervor;“

und wenn vordem der Mann schwieg und die Jünglinge redeten, so ringen jetzt die Männer laut und offen nach dem nationalen Staate, während die Jugend in ihrer großen Mehrzahl kopfhängerisch oder gar gleichgültig vor der großen Bewegung der Zeit steht. Oder sind die paar tausend Turner, welche von den Millionen deutscher Jünglinge allein nach freiwilliger Wehrhaftigkeit streben, etwa ein Zeugniß für etwas Besseres? – Oder fehlt es für die neuerdings offen ausgesprochene Behauptung – „daß der größere Theil unserer (namentlich „vornehmen“) Jugend, wenn er noch nicht wirklich blasirt ist, doch Blasirtheit heuchelt und, an realistische Anschauungen hingegeben, es nicht mehr der Mühe werth hält, sich von den Helden der Geschichte, wie der Poesie, oder durch Werke der Kunst und Natur, überhaupt durch das Ideale erheben zu lassen“ – irgendwo in Deutschland an zahlreichen leibhaftigen Belegen? Hier gilt es, Baader’s Ausspruch: „Nicht erhoben werden – ist sinken!“ der Jugend alles Ernstes zuzurufen und ihr ein Beispiel aus ihren Reihen, ein Muster, das selbst den Reihen der Männer zur Zierde gereichen würde, zur Verehrung und Nachahmung aufzustellen.

Und das ist Theodor Körner! – Ihr fragt, was er war? Ein Jüngling war er, der in den Tagen von Deutschlands tiefster Schmach des Vaterlandes Jammer und Noth im deutschen Herzen getragen und des Vaterlandes Schande mit seinem Heldenblute gesühnt hat, ein Jüngling, „der sich zum Helden gesungen und zum Dichter geschlagen“, ein Heldensänger im Schmucke der ersten Jugend. Ja, gerade das erhebt unsern Körner auch für die ernsten Männer zu einer ewig das Herz anziehenden Erscheinung, daß sich in ihm im edelsten Bilde darstellt die reine deutsche Jugendlichkeit, in der sich Held und Dichter einen.

Trotz all der Mängel, die das Auge des Alters an der Jugend erkennt, wird kein rechter Mann jemals vergessen, daß gerade in der Jugend sich etwas Höheres, für alle Zeit Bleibendes darstellt, welches als deren schönster Schmuck mit innerer Gewalt die Herzen der Menschen bezwingt, welches der Mann nicht wegwerfen darf, und welches noch am Lebensabend aus dem Auge des jugendlichen Greises leuchtet. Von Theodor Körner mögen wir es lernen. Es ist jene reine, vom Leben nicht abgeschwächte ursprünglich aus des Schöpfers Hand hervorgerufene Kraft heiliger Begeisterung, die in ungetheilter Fülle sich allem Edlen und Hohen ganz hingiebt, selbst mit Aufopferung der schönsten Güter dieses Lebens.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 790. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_790.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2022)