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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

drehte sie sich sofort mit der unschuldigsten Miene nach mir um, und indem sie sich das Ansehen gab, als sei sie hier auf das Grausamste eingesperrt gewesen, flog sie mit scheltendem Gegacker bei mir vorbei zur Thüre hinaus. Ihrer List stellte ich nun aber die meinige entgegen, indem ich Futter aus einer in der Scheuer befindlichen, den Hühnern wohlbekannten Kiste nahm, und mir nun das Ansehen gebend, als wäre ich nur zu diesem Zwecke in der Scheuer erschienen, streute ich unter liebreichem Zurufen den Hühnern davon in gehöriger Entfernung von der ofterwähnten Thüre hin, und als ich sie auf das Angelegentlichste damit beschäftigt sah, kehrte ich in die Scheuer zurück, überzeugt, daß Lilly nun bald folgen werde. Hier versteckte ich mich so, daß ich den ganzen Raum überschauen, von der Henne aber nicht gesehen werden konnte, fest entschlossen, Lilly’s Veruntreuung endlich auf die Spur zu kommen.

Peter als strafender Ehemann.

Wer auf Entdeckungen ausgeht, muß Festigkeit und Ausdauer besitzen, und daß dies bei mir der Fall ist, kam mir sehr zu Statten. Fast eine halbe Stunde hatte ich schon gewartet, als ich Lilly durch die offen gelassene Thür eintreten, Peter ihr auf dem Fuße folgen sah. Vorsichtig, die Beine eines nach dem andern hochhebend, die Blicke nach allen Richtungen durch die Scheune entsendend, ging sie an verschiedene Orte, und ich überzeugte mich endlich, daß sie hier nicht, wie ich geglaubt, schon ein gefülltes Magazin besaß, sondern mit der Wahl eines Bauplatzes dazu beschäftigt war. Ein Holzhaufen, zwischen den sich etwas Heu und Stroh angesiedelt, schien ihr endlich am besten dazu geeignet. Peter wagte nicht, seine Meinung dabei zu äußern, er schien schon durch Erfahrung belehrt, daß sie bei der herrschsüchtigen und launenhaften Favorite doch nicht von Einfluß sein würde. Unter Klagetönen, als sei schon das Ersteigen des Holzhaufens eine große Last, erkletterte Lilly nun denselben, und nicht lange währte es, so hörte ich sie raschelnde Bewegungen zwischen dem Heu und Stroh anstellen. Dabei vermehrten sich ihre Klagen, und richtig erreichte sie ihren Zweck, Peter’s Mitleid und Theilnahme dadurch zu wecken. War es denn nicht auch ganz erschrecklich, daß eine Henne von ihren Verdiensten, ihrer Schönheit und Liebenswürdigkeit das prosaische Geschäft des Eierlegens besorgen, ja, sich noch dazu mit der Bereitung des Nestes selbst bemühen sollte?

Ja, Peter schien es auch entsetzlich zu sinken, und obgleich er ihr die eine Hälfte ihrer Berufspflichten nicht ersparen konnte, nahm er ihr doch gutmüthig die zweite ab. Mit seinem stattlicheren Körper rundete und weiterte er das Nest, zerrte mit Schnabel und Füßen die überflüssig hervorstehenden Halme weg, und als er endlich vollkommen mit seinen Erfolgen zufrieden war, räumte er der bisher müßig ihm zuschauenden Lilly das Nest ein.

Sie setzte sich, und ohne Peter jetzt weiter zu beachten, schien sie sich emsig ihrem Geschäfte hingeben zu wollen und nur aus Langeweile von Zeit zu Zeit einen noch nicht beseitigten Halm mit dem Schnabel zu ergreifen und kokett hinter sich zu werfen.

Mein erster Zweck war nun erreicht, Lilly wirklich als Eierverschlepperin ertappt, und ich hätte mich entfernen können, wenn nicht Peter’s Benehmen mich noch in meinem Versteck zurück gehalten hätte. Er rührte sich nämlich noch immer nicht von der Stelle. Welche Gründe konnten ihn dazu bewegen? Noch dachte ich hierüber nach und meinte schon, er habe auf einen Dank oder doch irgend ein Beifallszeichen von Seiten seiner Favorite gerechnet, als diese plötzlich mit lautem Gegacker wieder von dem ihrer Ansicht nach wahrscheinlich ihrer durchaus nicht würdigen Neste aufsprang und eiligst vom Holze hernieder flatterte.

Peter schien sich nichts Anderes von ihr versehen zu haben, denn ruhig sah er ihr nach, als sie ihre Wanderung von Neuem antrat. Sie schien überrascht, daß er ihr nicht folge, und indem sie vor einem hohen Haufen Stroh stehen blieb und verlangende Blicke in die Höhe richtete, nahm ihre Stimme einen so schmerzlichen Ausdruck an, als ob sie sich in der höchsten Noth und Rathlosigkeit befände. Seine Treuherzigkeit und Zuneigung überwanden dann auch bald den Verdruß, den er über Lilly’s Verschmähen des von ihm mit so großer Kunst und Mühe ausgearbeiteten Nestes mochte empfunden haben. Genug, er eilte zu ihr und voran schwang er sich mit Kraft und Geschick auf den Strohhaufen. Eine kurze Zeit nur schienen beide sich jetzt näher über die Localilät zu berathen, dann wieder das schon erwähnte Rascheln und Zerren, Ausweiten und Runden von Seite Peter’s, der endlich die feste Ueberzeugung gewonnen zu haben schien, nun ein unübertreffbares Nest hergestellt zu haben. Er wartete dieses Mal Lilly’s Urtheil auch gar nicht erst ab, sondern sobald sie sich auf dem Neste niederließ, kehrte er in die Scheuer zurück und schien sich dort Futter suchen zu wollen.

Schon wollte auch ich mich nun von meinem Lauscherposten entfernen, als ein Rascheln, das vom Neste aus zu meinen Ohren drang, mich zuvor noch einen Blick dorthin werfen ließ, und ich gestehe, daß ich in des armen Peter’s Seele Zorn und Schrecken mit empfand, als ich die launenhafte Lilly abermals stehend erblickte.

Einen Augenblick schien sie erst sehen zu wollen, welchen Eindruck dies auf das Gemüth ihres geduldigen und nur zu gutmüthigen Freundes machen würde; als Peter aber keine Notiz davon zu nehmen schien, hob sie mit triumphirendem Geschrei die Flügel und schwang sich alsdann in vollem Vertrauen aus die Macht ihrer Reize und Peter’s Neigung von dem Stroh hinab auf den Fußboden. Noch immer schien Peter sie nicht zu bemerken, obgleich sie dicht neben ihm stand, und ungewiß, wie sie sich dies ihr neu scheinende Benehmen deuten solle, verweilte sie noch einige Secunden in der Stellung mit aufgelüfteten Flügeln, kann warf sie Kopf und Schweif in die Höhe und tänzelte an ihm vorüber zur Scheuer hinaus. So lange, bis sie neben die Leiter zum Hühnerboden gelangte, blickten Peter und ich ihr nach, und ich glaube, daß er meine Hoffnung theilte, das undankbare und treulose Geschöpf sei bessern Sinnes geworden und wolle ihr Ei dorthin tragen, wohin es nach Vernunft und Ordnung gehörte. Doch leider sahen wir uns getäuscht. Lilly schenkte dem Pfade der Pflicht keinen Blick, sondern trippelte daran vorüber, um sich, wer weiß wo, einen neuen verbotenen Versteck zu suchen.

Jetzt aber hatte Peter’s Langmuth und Nachsicht ein Ende. Zornig senkte er die Flügel und eiligst mit vorgestrecktem Kopfe stürzte er der kaltherzigen Lilly nach. Auch ich beeilte mich, den Hof zu erreichen, und hier gewahrte ich das sämmtliche Federvieh voll Erstaunen und Grauen, von Peter und Lilly anfangs keine Spur. Plötzlich stürzte die Letztere hinter einer großen Wassertonne hervor, der Erstere hinter ihr her, seine Sporen an den Flügeln

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 797. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_797.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2022)