Seite:Die Gartenlaube (1861) 807.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Mit diesen Worten zog Gleim etwas verschämt aus den weitläufigen Taschen seines gestickten Rockes ein kleines Buch hervor, in welches er seine Verse einzutragen pflegte, wie Kleist ganz richtig vorausgesetzt hatte. Mit wohltönender Stimme las er ihm verschiedene heitere Liedchen und unter anderen folgende anakreontische Strophen vor:

Tod, kannst Du Dich auch verlieben?
Warum holst Du denn mein Mädchen?
Hole lieber ihre Mutter,
Ihre Mutter sieht Dir ähnlich! –
Frische, rosenrothe Wangen,
Schöngefärbt von meinem Kusse,
Blühen nicht für blasse Knochen!
Tod, was willst Du mit dem Mädchen?
Mit den Zähnen ohne Lippen
Kannst Du es ja doch nicht küssen!

Herzlich lachte der Kranke über den komischen Einfall und besonders über den Schluß des Gedichtes so heftig und ausgelassen, daß durch die Erschütterung die Wunde des Armes von Neuem aufbrach und eine heftige Blutung eintrat. Der erschrockene Gleim klagte sich als die Ursache des Unfalls an und eilte, so schnell er nur vermochte, nach dem nächsten Arzt, der auch sogleich erschien und die nöthigen Anordnungen traf. Bei der Abnahme des alten Verbandes, den der bornirte Feldscheer entweder schlecht angelegt oder vernachlässigt hatte, zeigten sich bereits die Spuren des Brandes, der unfehlbar ohne diesen Vorfall weiter gegriffen und den Verlust des Gliedes, wo nicht des Lebens nach sich gezogen hätte.

„Preisen Sie den Zufall,“ sagte der Doctor, „oder vielmehr die Wunder der Poesie, der Sie Ihr Leben schulden. Ohne das Gedicht und seine Wirkung hätten Sie wahrscheinlich sterben müssen. Jetzt aber stehe ich dafür, daß Sie schon in wenig Wochen wieder ausgehen und den Arm gebrauchen werden. Auch der Blutverlust ist mir nur willkommen, da dadurch die Heftigkeit des Fiebers gemildert und die Heilung der entzündeten Wunde nur beschleunigt wird.“

„Gott Lob!“ rief der erschrockene Candidat, der sich noch immer nicht von seinem Entsetzen erholen konnte und sich laut als die unschuldige Ursache des traurigen Ereignisses angeklagt hatte. „Ich hätte auch niemals mehr ein Lied dichten können, wenn meine Verse den Tod eines so trefflichen Mannes veranlaßt hätten.“

„Beruhigen Sie sich!“ lächelte der Kranke. „Ich preise Sie als meinen Wohlthäter; denn der Dichtkunst und Ihnen verdanke ich meine Genesung. Die Poesie wird fortan meine Geliebte, und ihr Jünger Gleim mein Freund sein.“

Der wiedergenesene Kleist hielt Wort und wurde der Freund des liebenswürdigen Gleim und der Sänger des Frühlings, der Dichter so manches schönen deutschen Liedes. Seine Muse war ein liebenswürdiges Mädchen, Wilhelmine von Golz, die er bei einem Besuche in Ostpreußen kennen gelernt hatte. Leider war dieses Verhältniß kein glückliches und steigerte nur die dem Dichter angeborene Schwermuth. Von einem Verwandten erhielt Kleist die Nachricht, daß seine Geliebte von ihrer Mutter zu einer ihr widerlichen, aber sehr vortheilhaften Verbindung gezwungen sei. Briefe, die er deshalb an Wilhelmine richtete, wurden von ihren wachsamen Angehörigen unterschlagen, so daß sie sich von Kleist verrathen glaubte und schließlich ihre Einwilligung zu der verhaßten Heirath gab. In seiner Verzweiflung war ihm der Wiederausbruch des Krieges jetzt doppelt willkommen, aber auch hier verfolgte ihn das Mißgeschick. In den Jahren 1744 und 45 machte Kleist den Feldzug in Böhmen mit; zu seinem größten Leidwesen sah er sich jedoch zu einer ihm unwillkommenen Unthätigkeit verdammt, indem er nach der Uebergabe von Prag bei der Besatzung dieser festen Stadt bleiben mußte. Bei dem unglücklichen Rückzuge der Preußen aus Böhmen wurde auch Kleist von manchem schweren Unfall getroffen. Fünf Tage und fünf Nächte sah sich das kleine Corps, zu dem er gehörte, von einer sechsfachen Uebermacht des Feindes bedrängt und schwebte in fortdauernder Gefahr, auf gefährlichen Gebirgswegen und in kaum zugänglichen Defiléen aufgerieben zu werden. Dennoch schlug sich das tapfere Häuflein seitswärts durch das Riesengebirge glücklich nach Schlesien durch, nur daß es in den engen Pässen seine Bagage gänzlich einbüßte. Kleist selbst mußte, von den übergroßen Anstrengungen angegriffen, schwer krank in Hirschberg zurückbleiben, wo ihn wieder ein ungeschickter Feldscheer durch einen unzweckmäßigen Aderlaß hart an den Rand des Grabes brachte. Sobald er genesen, folgte er seinem Regimente nach Brieg, wo er sich nach und nach wieder erholte und ein Jahr verweilte, ehe er nach Potsdam zurückkehrte.

Mitten im Getümmel des rauhen Krieges war er der Poesie treu geblieben, hatte er manches schöne Lied gedichtet, das er seinem Gleim mittheilte. Durch ihn war er mit anderen und bereits berühmten Dichtern, wie Ramler, Uz und vor Allen mit Lessing bekannt geworden, die den poetischen Officier in seinem Streben aufmunterten. Von ihnen angeregt schrieb er sein „Landleben“, das er aus Gleim’s Rath umtaufte und unter dem Namen „der Frühling“ veröffentlichte. Nicht leicht machte ein deutsches Gedicht, und noch dazu von einem unbekannten Verfasser, ein so großes Aufsehen. Ursprünglich nur für seine Freunde gedruckt, erlebte es in kurzer Zeit vier Auflagen, die es hauptsächlich der Reinheit seiner Sprache, dem natürlichen Gefühl und den glücklichen Bildern des Dichters verdankte. Von allen Seiten erhielt Kleist Zeichen des Beifalls und der Anerkennung; selbst der Präsident der Akademie, Herr von Maupertuis, erkundigte sich nach dem poetischen Officier, in der Absicht, ihn zum Mitgliede derselben vorzuschlagen.

Trotz dieses schnell erworbenen Dichterruhms fühlte sich Kleist nicht glücklich: wiederholte Kränklichkeit verstimmte ihn, das müßige Garnisonleben sagte ihm nicht zu, das Avancement ging nur langsam von Statten, und er sah sich vielfach zurückgesetzt, so daß er ernstlich daran dachte, seinen Abschied zu nehmen und um die Stelle eines Forstmeisters sich zu bewerben, wobei er seine Liebe zur Natur, die wie ein rother Faden durch sein ganzes Leben läuft, zu befriedigen hoffte. Waren ihm doch die liebsten Stunden in Potsdam die, welche er auf einsamen Spaziergängen zu seiner „poetischen Bilderjagd“ benutzen durfte. Aber der Dichter mußte vor dem Soldaten zurückstehen, sobald die Trommel schallte und der große König rief. Kleist folgte diesem in das Lager bei Pirna, wo die sächsische Armee vor der preußischen Tapferkeit und dem Genie Friedrich’s die Waffen strecken mußte. Sein kriegerischer Ehrgeiz war erwacht, und er brannte vor Begierde sich auszuzeichnen; er wünschte sich nichts mehr, als „nur einmal mit zweihundert Mann commandirt zu sein, und dann von zweitausend Oesterreichern angegriffen zu werden.“ – „Wenn ich mich ergäbe,“ fügte er hinzu, „möchte mich der König immer zum Schelme machen lassen. – Aber zu etwas Großem werd’ ich nie kommen; es sind nur Wenige, denen so etwas aufgehoben ist.“

Ein andermal schreibt er seinem Gleim: „Sie schreiben mir, daß es Ihnen graut, Nachricht zu erhalten, daß ich im Kriege getödtet ober verwundet worden. Sie müssen sich gewöhnen, diese Nachricht einmal mit kaltem Blute zu lesen, oder zu hören. Wenn es geschehen sollte – woran ich aber sehr zweifle, denn ich hab’ in gewissen Stücken gutes Glück – oder Unglück, ich weiß nicht, wie ich es nennen soll – so sollen Sie es lesen, und ich will Ihnen meinen Tod selber ankündigen. Ich will, wenn ich eine Action vermuthe, vorher an Sie schreiben und meinem Kerl befehlen, daß er den Brief, im Fall ich bleiben sollte, sogleich auf die Post bringe, sonst aber nicht. Der Brief wird anfangen: „Im Fall Sie dies Schreiben erhalten, so bin ich todt etc.“ Der Einfall ist doch lustig, daß man seinen Tod selber meldet; aber ich glaube, es wird nichts daraus, und Sie werden den Brief nicht bekommen. Geschieht es aber, so bin ich wohl daran. Ich bin so viel glücklicher, als wenn ich Sie überlebte. Ich freue mich auf den Tod, wie ein Schiffer nach Sturm und Ungewitter auf den Hafen.“

Im Verlaufe des Krieges kam Kleist nach Leipzig, wo er mit seinem Freunde Lessing zusammentraf. Von diesem aufgemuntert, faßte er daselbst den Plan zu einem Trauerspiele „Seneca“, von dem er nur einige Scenen schrieb. Die Nachrichten vom Kriegsschauplatze regten ihn indeß immer von Neuem wieder auf und erfüllten sein muthiges Herz mit Sehnsucht, an den Gefahren seiner Waffenbrüder Theil zu nehmen. „Während die ganze Armee in beständiger Gefahr ist,“ klagt er ärgerlich, „bin ich ruhig und mache Verse. Dabei schlaf’ ich doch nur alle Sonntage einmal aus, sonst exercire ich immer von Morgens vier Uhr bis gegen Abend; ich möchte statt dessen zehnmal lieber Gefahr haben.“ – Unter solchen Verhältnissen mußte es ihm doppelt unangenehm sein, daß ihm auf besonderen Befehl des Königs die Direction des Feldlazareths übertragen wurde, ein ehrenvolles Amt, das er als Beweis des ihm geschenkten Vertrauens nicht zurückweisen konnte. „Ich bin untröstlich,“ ruft er bei neuen Siegesnachrichten, „daß ich

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 807. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_807.jpg&oldid=- (Version vom 20.12.2022)