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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

seiner kopflosen Angst war schon der Gedanke der Kapitulation in ihm aufgetaucht, dennoch schämte er sich ihn auszusprechen und erklärte: „Ich werde die Stadt nicht eher übergeben, als bis mir das Schnupftuch in der Tasche brennt.“

In der Stadt wurde die Antwort des Gouverneurs bekannt, und Bürger und Soldaten wurden von neuem Muthe beseelt. Sahen die ersteren auch nicht ohne Bangen den Schrecknissen einer ernstlichen Belagerung entgegen, so hatten sie eine Eroberung der Stadt doch nicht zu befürchten, und die Mehrzahl war fest entschlossen, tapfer auszuhalten, zumal der Feind seine eigene Schwäche nicht zu verbergen vermochte. Die Soldaten hofften noch immer das Beste, sie hatten Muth und Lust zum Kampfe, es fehlte ihnen nur an Leitung und Einheit.

Die kostbare Buhne am rothen Horne, welche bestimmt war, den Hauptstrom der Elbe längs der Quaimauer der Stadt hinzuleiten, wurde durchstochen, die schönsten Gärten um die Stadt, auch der zu Kloster Bergen wurden demolirt, die naheliegenden Windmühlen in Brand gesteckt, viele Land- und Gartenhäuser wurden abgebrochen – Kleist ließ Alles ruhig geschehen, auch nicht durch einen einzigen Schuß wurden die Belagerer in ihrem Vorhaben gestört. Von der Magdeburger Kriegs- und Domänen-Kammer wurden drei Räthe als Deputirte zu Ney nach Schönebeck gesandt, um ihn zur Milde zu bewegen, und dieser, über die Furcht vor seinem schwachen Corps lächelnd, zwang sich zum Ernste und drohte, er werde, ein zweiter Tilly, die Stadt mit Sturm einnehmen und das Gradirwerk zu Salza zerstören lassen, wenn sich Magdeburg nicht bald ergebe. Und die Räthe ließen sich einschüchtern, des Gouverneurs Verzagtheit vergrößerte ihre Angst, und die Kammer in Magdeburg zahlte 33,000 Thaler an Ney, damit er seine Drohung nicht verwirkliche.

Napoleon war am 24. October in Berlin eingezogen. Ihm konnte es nicht lieb sein, eine so bedeutende Festung wie Magdeburg mit über 20,000 Mann Besatzung in seinem Rücken zu lassen, es war deshalb an Ney der Befehl ergangen, die Belagerung möglichst zu forciren. Dieser vermochte mit seinen 7000 Mann nichts zu unternehmen, rückte indeß so nahe als möglich an die Stadt heran, und am Abend des 1. November sah man von den Wällen der Festung aus die nahen Elbdörfer Krakau und Prester, von den Franzosen angezündet, in hellen Flammen auflodern, ohne irgend etwas dagegen zu thun.

Die Truppen in der Stadt waren immer besser geordnet, und ohne daß der Gouverneur es befohlen hatte, war von den Befehlshabern die Vorkehrung getroffen, daß ein Drittel der dienstthuenden Garnison, welche sich auf ungefähr 16,000 Mann belief, jede Nacht in den Quartieren angezogen und ausgerüstet blieb, um bei einem etwaigen Ueberfall sofort zur Hand zu sein. Ihre Ruhe wurde nicht gestört, weil Ney die Unmöglichkeit einsah, mit seinen 7000 Mann, welche nur durch zwei Haubitzen unterstützt wurden, gegen die festen Wälle einer Festung anzustürmen, welche von mehr als 800 Feuerschlünden und mehr als 20,000 Mann vertheidigt wurde.

Der Gedanke des Verraths und der Capitulation waren währenddem bei dem greisen Gouverneur immer mächtiger angewachsen. Die Generäle und selbst einige Bürger drängten ihn, energische Maßregeln zur Vertheidigung und gegen das weitere Vordringen des Feindes zu ergreifen. Er bebte davor zurück, weil er dadurch den Feind zu erzürnen fürchtete.

Am späten Abend des 1. November, während die Dörfer Krakau und Prester als Kriegsfackeln leuchteten, verließ ein Officier das Sudenburger Thor. Als der wachthabende Officier ihn anhielt, zeigte er ein Schreiben des Gouverneurs vor und passirte ungehindert. Langsam ritt er auf der nach Schönebeck führenden Straße, bis er in die Nähe der feindlichen Vorposten gelangte und angerufen wurde. Auch hier zeigte er ein Schreiben des Gouverneurs von Magdeburg vor und verlangte zum Marschall Ney geführt zu werden. Seine Forderung wurde erfüllt, sobald die Ablösung des Vorpostens erschien.

Der Morgen war bereits hereingebrochen, als er im Hauptquartier in Schönebeck ankam. Er wurde zu Ney geführt. Dieser empfing ihn kalt, weil er seine Botschaft nicht kannte. Bald klärte sich indeß sein Gesicht auf, als der Officier den Auftrag des Gouverneurs meldete. Kleist erklärte sich bereit, die Festung zu übergeben, verlangte aber Geheimhaltung seiner Absicht und Verzögerung um einige Tage, bis Ney durch einige Scheinangriffe auf die Festung die Capitulation einigermaßen motivirt habe und diese öffentlich abgeschlossen werden könne. Für seine Person verlangte Kleist nach der Uebergabe französischen Schutz, der ihm bereitwillig zugesagt wurde.

In der Stadt hatte Niemand eine Ahnung von dem Verrathe des Gouverneurs, selbst seine nächste Umgebung nicht. Ney ließ die Meldung desselben sofort durch eine Estafette an den Kaiser nach Berlin gelangen, und sowohl in seinem Hauptquartier, wie auch zwei Tage später schon in Braunschweig, sprach man mit Bestimmtheit davon, daß Magdeburg in wenigen Tagen capituliren werde.

Zum zweiten Male sandte Ney, der Verabredung gemäß, einen Parlamentair in die Stadt, um sie zur Uebergabe aufzufordern – der Gouverneur wies die Forderung zurück. Gegen Abend dieses Tages suchte der Feind von der Neustadt her, welche der Major von Hollwede mit dem dritten Bataillon des Regiments von Kleist besetzt hielt, sich der Stadt zu nähern, setzte sich in einem großen, verlassenen massiven Cichoriengebäude fest, wurde indeß durch Hollwede durch einen entschlossenen Angriff sofort wieder daraus vertrieben. Hollwede erhielt am folgenden Morgen den Befehl des Gouverneurs, sich zurück zu ziehen. Hollwede’s entschlossener Sinn paßte nicht zu einem Scheingefechte.

Am Abend des dritten November versuchte der Feind zwischen dem Sudenburger und Ulrichs-Thor in Schußweite Wallaufwürfe zu machen, zog sich indeß nach einigen Schüssen von den Wällen zurück. In der Nacht vom 4. auf den 5. November schlich sich der Feind in der Nähe des Kröckenthores an die Stadt heran und warf einige Granaten in dieselbe, von denen indeß nur drei trafen und nur eine einzige Schaden anrichtete, indem sie in das Wohnzimmer des Regierungsraths Guischard in der braunen Hirschstraße flog und diesen an der Schulter verletzte. Sofort wurde die Lärmtrommel gerührt, und die ganze Stadt gerieth in Unruhe. Die Soldaten versammelten sich auf den Alarmplätzen. Der Gouverneur war erschrocken aus dem Bett gesprungen, er fürchtete, daß der Feind wider die geheime Verabredung einen wirklichen Angriff im Sinne habe. Er versammelte die ersten Generale um sich. Einige derselben verlangten, daß eine Abtheilung Soldaten aus der Stadt gesandt werde, um den Feind zu vertreiben; Kleist war dagegen. Die Ruhe wurde ohnehin nicht weiter gestört.

Wieder kamen am folgenden Tage zwei französische Parlamentäre in die Stadt. Die Unterhandlungen mit ihnen wurden geheim gehalten, und der Hauptmann Le Blanc wurde gegen Abend als preußischer Parlamentair zu Ney gesandt, dessen Stab schon bis Buckau vorgeschoben war.

Schon am 7. November verbreitete sich in der Stadt das Gerücht, daß Kleist wegen Uebergabe mir Ney unterhandle. Bürger und Soldaten waren gleich erbittert darüber. Die Soldaten sammelten sich auf der Straße, zogen drohend vor des Gouverneurs Haus, der sich durch starke Wache geschützt hatte, und drohten, die ganze Stadt anzuzünden. Immer weiter wuchs der Aufruhr. Die Polizei erließ den Befehl, daß jeder Hauswirth auf die Treppen gefüllte Wassereimer setzen solle. Gegen die Soldalen selbst, welche nichts von Uebergabe wissen wollten, welche drohend verlangten, zum Ausfall und Kampfe geführt zu werden, wagte Niemand einzuschreiten. Der Gouverneur befand sich in der verzweifeltsten Stimmung und auf’s Neue sandte er einen Vertrauten an Ney, um die Verhandlung zu beschleunigen.

Am 8. November wurden die Verhandlungen beendet, der Capitain Regnard brachte die ausgefertigten und von französischer Seite von dem Brigadegeneral Du Taillis, dem Adjutant Liger-Belair und ihm selbst unterzeichneten Capitulations-Bedingungen, um sie dem Gouverneur vorzulegen. Regnard las sie vor. Mehrere anwesende Generäle waren dagegen, ihr Muth reichte indeß nicht so weit, daß sie entschieden ihre Pflicht und Ehre vertheidigt hätten – sie gaben nach, und eine Stunde später war die Capitulation abgeschlossen und im Auftrage „Sr. Excellenz des Generals der Infanterie von Kleist, Ritter des königlich preußischen schwarzen und rothen Adlerordens und des kaiserlich russischen heiligen Alexander-Newskyordens, Militärgouverneur der Stadt und Festung Magdeburg“, von dem Generalmajor v. Renouard, dem Oberst und Commandant Du Trossel und dem Hauptmann Le Blanc unterzeichnet.

Preußen verlor in dieser Stunde seine stärkste Festung, ein

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 810. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_810.jpg&oldid=- (Version vom 20.12.2022)