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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

ein schwer zu lüftender Schleier. Es muß hier zunächst die durch einzelne notorische Fälle gerechtfertigte Muthmaßung genügen, daß auch schon Tausende angesichts der deutschen Küsten einem Tode erlegen sind, der heutzutage in jedem einzelnen Falle gewiß nicht zur Ehre Deutschlands gereichen kann, nachdem andere Nationen seit 37 Jahren leuchtende Beispiele gegeben haben, wie dem tödtenden Elemente wenigstens der herbste Stachel zu brechen sei.

Wir geben den Lesern zunächst eine Anschauung der Art solcher Rettungen, die wir durch zwei Illustrationen erleichtern. Die eine zeigt, wie mittelst des Raketenschusses eine Verbindung durch eine Leine mit dem bedrohten Schiff hergestellt wird, und die andere stellt die Beförderung der Personen an das Land dar, und zwar mittels der „Schlinge“ oder „Länge“ (s. unten 4).

Den Raketenapparat zu beschreiben, ist unnöthig; wir gehen gleich zum Boote über. Ein gewöhnliches Rettungsboot, wie sie am

Beförderung an das Land mittels der „Schlinge“.

häufigsten und namentlich an Ufern, welche denen unserer Nordsee ihrer natürlichen Beschaffenheit nach am nächsten kommen, gebraucht werden, ist 26 Fuß lang, 61/2 Fuß breit, 21/2 Fuß tief, aus tadellosem Holzmaterial und durchweg solide gebaut. Inwendig befinden sich sowohl am Boden, wie unter den Sitzbänken Reihen luftdicht verschlossener, kupferner Kasten. Dabei hat das Boot einen flachen eisernen Kiel von solcher Schwere, daß dasselbe, falls es umschlägt, sich von selbst wieder emporrichtet, vermittelst der luftdichten Kasten sich hebt und aus einem am Boden angebrachten Auslauferohre (Ventil) das ausgeschöpfte Wasser in sehr kurzer Frist wieder abgiebt. Unter Wasser ist der Bau schärfer als vorn, denn dies fördert die Leichtigkeit des Ganges. Das Gewicht des Bootes beträgt ungefähr 2000 Zollpfund, der Tiefgang 81/2 Zoll.

Die Bemannung eines englischen Rettungsbootes besteht aus einem Bootsmann, dessen Stellvertreter, einem Bugmanne und so viel Ruderern, als das Boot Riemen führt. Die Bemannung bilden Matrosen und Fischer, die in der Regel am Strande sind. Die Boote dienen nur zur Rettung von Menschenleben; Güter dürfen darin nicht geborgen werden. – Für gewöhnlich steht das Boot völlig ausgerüstet in seinem Schuppen auf einem mit mechanischem Apparate versehenen Fuhrwerke. Ereignet sich ein Schiffbruch in einiger Entfernung von der Station, so wird das Boot mit der Mannschaft auf dem Fuhrwerk durch Pferde längs der Küste so weit nöthig und möglich transportirt. Durch Herausziehen eines eisernen Bolzens klappt der obere Theil des Wagens nach der See zu nieder, und das Boot mit der Mannschaft rutscht von selbst in’s Wasser. In jedem Bootshause befinden sich Instructionen über die Behandlung anscheinend Ertrunkener, nebst allen erforderlichen Medicamenten und Apparaten. – Der Bootsmann auf jeder Station führt ein Journal über alle Dienste des Boots, über die Namen der Schiffe und der geretteten Personen und muß nach jedem Vorfall sofort an das Centralgouvernement in London Bericht abstatten.

Wir müssen die specielle Aufzählung der vielen Bestandtheile und Bedürfnisse eines solchen Rettungsbootes hier unterlassen. Außer dem Rettungsboote und dem Raketenapparate oder Mörser ist (nach Giersberg’s Instruction) zur Lebensrettung bei einem Schiffbruch an Werkzeugen Folgendes unentbehrlich: 1) Eine dünne Leine (Wurfleine, Raketleine), die an einem Ende an ein Kabeltau befestigt und von der Rakete (oder dem Mörser) geschleudert wird. 2) Ein Tau (Kabeltau) von 3 bis 31/2 Zoll Stärke und 40 bis 120 Faden Länge, je nach der Steilheit oder Flachheit des Ufers. 3) Eine dünne Leine von Manilahanf, ungefähr 11/2 Zoll dick, durch einen einzigen Schwanzblock gezogen und wenigstens zweimal so lang, als die Entfernung vom Ufer zum Wrack beträgt: sie wird durch Aneinandersplitzen ihrer Enden in ein endloses Tau verwandelt. 4) Eine Schlinge („Länge“), Floß, Korb oder sonst ein Gefäß zur Aufnahme der zu rettenden Personen. 5) Ein sogenannter „Reisender“ („Kinnbackblock“), der, an der Schlinge befestigt, auf dem Spanntaue hin und her läuft. 6) Ein Doppelblock, um das Tau straff zu spannen. 7) Ein Anker mit einem Spaten, um ihn in die Erde oder den Sand senken zu können und das Spanntau mittels des Doppelblocks an denselben zu befestigen. Ist das Ufer nicht für den Anker geeignet, so nimmt man als Ersatz desselben eine 5 bis 6 Fuß lange Planke, welche man 4–5 Fuß tief eingräbt und an die man das Tau in ähnlicher Weise mittels des Doppelblocks befestigt. 8) Eine rothe Flagge für den Tag, eine farbige Laterne für die Nacht, als Signale. 9) Einige Spaten, eine Handkarre, eine Rettungsboye, einige Extrastücke Tauwerk für Nothfälle, einige Räder oder Sparren, letztere, um an flachen Ufern als Triangel benutzt zu werden, damit das Tau darüber höher läuft und dadurch über der Wasserfläche erhalten werden kann.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 813. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_813.jpg&oldid=- (Version vom 20.12.2022)