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mahnte ihn von seiner übertriebenen Arbeitsamkeit ab und schickte ihm zur Arznei Wein aus seinem Weinkeller, ihn dabei auf I. Tim. 5, 23 verweisend: „Trinke nicht mehr Wasser, sondern brauche ein wenig Wein, um Deines Magens willen, und daß Du oft krank bist.“ Luther aber kam auf ein besseres Heilmittel: die Liebe. Er macht daher Melanchthon den Vorschlag, zu heirathen; darin glaubt er zugleich auch das geeignetste Mittel gefunden zu haben, seinen Philipp in Wittenberg zu halten. Dieser aber will durchaus von Vermählung nichts wissen, da er durch die neuen Vetterschaften und die Kinderstube in seinen Studien gestört zu werden fürchtet. Nach vielem Sträuben und Gegenreden willigt er endlich in das über ihm schwebende Verhängniß. Luther sucht ihm nun eine Braut aus und macht den Freiwerber. Von ihm hatte Melanchthon nichts zu fürchten, da er als Mönch das Gelübde der Ehelosigkeit abgelegt hatte. Das auserkorene Mägdlein war Katharina Krapp, des Bürgermeisters Hieronymus Krapp zu Wittenberg Tochter, in gleichem Alter mit dem Herrn Bräutigam, 23 Jahre alt. Melanchthon spielt zwar keinen zärtlichen Geliebten, da er mit seinen Gedanken nicht in der irdischen Welt, sondern im kalten Reiche der Wissenschaft lebt; aber er erhält doch das Jawort und wird ein glücklicher Bräutigam, da seine Braut ein stilles, sanftes, frommes Täubchen ist. Am 28. August 1520 verlobt er sich mit ihr, und am 26. November desselben Jahres findet die Vermählung statt, wobei er seinem Käthchen ein neues Kleid schenkt. Als fröhlicher Hochzeitsgast darf natürlich der heitere Martin Luther nicht fehlen. An seinem Hochzeitstage liest Melanchthon kein Colleg, sondern schlägt an’s schwarze Bret: A studiis hodie facit etc. d. h. auf Deutsch: Von den Studien läßt heute Philippus eine angenehme Erholung eintreten und wird Euch nicht des Paulus heilige Lehren verkünden.

Melanchthon’s Gemahlin war eine brave Frau, allein sehr verzagten, ängstlichen Gemüthes, das leicht in weinerliche Klagen ausbrach, wodurch sie, statt den furchtsamen Gemahl aufzumuntern und zu erheben, ihm sein Herz oft noch mehr belastete. Auch war sie mitunter etwas kränklich, und um Küche und Schränke bekümmerte sie sich leider auch nicht übermäßig viel. Uebrigens ging es auch in Melanchthon’s Hause nicht hoch her; man befleißigte sich eines einfachen Lebens, was schon durch die geringen Einnahmen bei der Theuerung der Nahrungsmittel geboten war. Die öffentlichen Vorlesungen hielt Melanchthon meist umsonst, unterstützte viele arme Studenten, die, oft in mißbräuchlicher Weise, ihn bestürmten. Melanchthon’s Zimmer waren nicht mit kostbaren Möbeln geziert, statt des Sophas diente damals eine Art Lotterbett und Ruhebank, Stühle etc. von Holz und massiv und dauerhaft gebaut. – An seinem Tische nahmen einige Zöglinge seiner Privatschule Theil, die seine Hausgenossen waren, mitunter auch Freunde und Gäste. Bei Tische liebte er heitere Gespräche und Scherze. „Wie findest Du den Wein?“ hören wir ihn jetzt einen seiner Gäste fragen, als er guten Wein, den er geschenkt erhalten, präsentirte. Trocken antwortete der Gefragte: „Er ist nicht schlecht!“ „Ei,“ erwiderte der empfindliche Hauswirth, „so muß man guten Wein nicht loben!“ Wieder finden wir den Reformator bei einem Bekannten zum Besuche. Als dieser sich lange beklagt und entschuldigt, daß er in der Eile den Tisch nicht besser habe besetzen können, entgegnete Melanchthon heiter: „Eure Entschuldigung ist wahrlich größer, als mein Magen. Wäre der Appetit überall so groß, wie Ihr zu meinen scheint, so müßte der liebe Gott in dieser Welt sehr viel anschaffen.“

Wenn Melanchthon mit Luther auf der Straße dahinwandelte, so sah es aus, als ging ein Vater mit seinem Sohne, denn Melanchthon reichte seinem kräftigen Freunde nur bis an die Achseln. Melanchton hatte ein hageres Gesicht, das von einem starken Barte und lockigem Haupthaar umwallt war. Die eine Schulter ließ er etwas sinken, was ihm viele seiner Jünger nachahmten. Er ging im bloßen Halse, den nur eine Krause schmückte, und trug einen langen blauen, aus gemeinem Tuch gefertigten Rock mit weiten Aermeln. In seinem Hause fand man ihn oft im langen Hausrock und mit einer Schlafmütze. Von dem berühmten Dr. Reuchlin hatte er die Gewohnheit gelernt, drei leinene Hemden zur Erwärmung seines Leibes über einander zu tragen.

Mitunter treffen wir unsern Philippus zu Mittag in seiner Behausung nicht an; er sitzt in der befreundeten Lutherischen Familie, neben Frau Käthchen und einem Gaste. Wenn bei Luthers ein Geburtstag gefeiert wird, so darf Nachmittags und Abends Meister Philipp natürlich nicht fehlen. Da geht es nicht immer gelehrt, sondern öfter noch humoristisch her; die werthe Hausfrau giebt nicht selten, wenn sie vor der männlichen Gelehrsamkeit aufkommen kann, auch ihr Wort mit dazu. An Doctor Luther’s Tische hätte es uns übrigens auch gefallen können. Die Frau Doctorin war eine recht solide Köchin, der Herr Doctor liebte und hatte ein recht trinkbares Glas Wein; Geist und Witz umsprudelten den Rebensaft – was begehrt ein Gast mehr? –

Welche herrliche Stunden verlebten die Wittenberger auch zusammen bei Bier und Kegelspiel im Gasthaus zum schwarzen Bären! Dort kam man oft Nachmittags zusammen. Aus dicken steinernen Krügen trank man das damals berühmte Eimbecker Bier, mit dem auch Luther 1521 nach seiner kräftigen Rede auf dem Wormser Reichstage vom Herzog von Lüneburg erquickt wurde. War gutes Wetter, so ging man auf die Kegelbahn im Garten, zog die Röcke aus und kegelte; bei Regenwetter und Abends begab man sich hinein in die Wirthsstube. Dabei ist Dr. Martin immer der heitere Mann, der Andere anregt, neckt und schraubt, auch unsern guten M. Philipp mit; dieser ergötzt sich zwar an der munteren Geselligkeit höchlich, spielt aber immer den stillen Schüchternen und Feinen, der jedoch mitunter auch mit einem geistreichen Gedankenblitz, einem treffenden Witzfunken plötzlich zündend in die Gesellschaft einschlägt, daß allgemeine Heiterkeit entsteht.

Rührend ist das erste Wiedersehen zwischen Mutter und Sohn nach sechsjähriger Trennung, als Melanchthon 1524 von Wittenberg aus zum ersten Mal wieder in seine Heimath reist. Auf die Erholungsreise begleiten ihn der Professor Nesen von Wittenberg, ferner Joachim Camerarius, sein treuester und bester Freund, den er wie seinen Bruder liebte, und zwei seiner Zöglinge, Franz Burchard von Weimar und Johannes Silberborner von Worms. Sie reisten zu Pferde, und da dieselben nicht zu den besten gehörten, die gelehrten Herren aber auch nicht die besten Reiter waren, so ging der Spazierritt langsam, und es gab viel zu lachen. In Frankfurt, wo Nesen zurückblieb, hielten sie sich nur kurze Zeit auf. Nun ging es weiter, dem hochgeliebten Schwabenlande zu. Je näher Melanchthon demselben kam, desto freudiger klopfte sein Herz, und als er endlich die Thürme und Giebel seiner theueren Vaterstadt Bretten wiedersah, stieg er vom Pferde, fiel voll Rührung auf seine Kniee und rief, seine Hände faltend: „O heimathlicher Boden! Wie danke ich Gott dem Herrn, daß ich Dich wiedersehen durfte!“

Jetzt endlich sieht er das alte liebe Haus wieder, in dem er auf des Vaters Schooße gesessen und an dem Herzen der liebreichen Mutter gelegen hatte! Aber ach, der gute Vater ist nicht mehr! Da erblickt er seine Mutter, sie stürzen einander in die Arme, vor Schmerzen und Freude weinend, drücken sich fest und innig und wollten nicht von einander lassen. Mit Wonne blickte die Mutter ihren Sohn an, aber nun nicht mehr auf ihn herab, sondern zu ihm hinauf; sie war eine schlichte Meistersfrau geblieben, er aber ein gelehrter Professor und berühmter Mann geworden. Als unvollendeten Jüngling hatte sie ihren Philipp verlassen und als vollendeten Mann sah sie ihn wieder. In ihrem kindlichen Gemüth und Verstand war sie eine gute Katholikin geblieben und sie schüttelte gar bedenklich ihr Haupt, daß ihr Sohn der neuen Lehre zugethan war und sie gar noch verbreitete; er suchte zwar seine Mutter über das Evangelium aufzuklären, aber sie verharrte beim Alten. – Während nun Philipp’s Gefährten weiterzogen, blieb er bei seiner Mutter. Wie staunte diese, wenn vornehmer Besuch, wie mehrmals geschah, zum Herrn Sohn kam! So erschien ein Schriftführer des päpstlichen Gesandten, Compegius, um Melanchthon von der evangelischen Sache abwendig zu machen, aber Melanchthon war kein schwankes Rohr, er erklärte: „Was ich als Wahrheit einmal erkannt habe, das behaupte ich ohne alle Rücksicht unter allen Umständen.“ So überbrachten ihm drei Professoren von der Universität Heidelberg als Ehrengeschenk einen schön gearbeiteten silbernen Becher. – Nur mit schwerem Herzen riß der Magister sich von der Heimath wieder los.

So viel Ansehen und Ehre Melanchthon auch genoß, so war doch keineswegs sein Lebensbild aus lauter Licht gemalt. Im Jahre 1540 auf einer Reise zu einer kirchlichen Versammlung in Weimar überfiel ihn plötzlich eine heftige Krankheit und brachte ihn dem Tode nahe. Der kurfürstliche Hof schickte ärztliche Hülfe und ließ Luther von Wittenberg holen. Melanchthon aß und trank nicht und war ganz verfallen. Erschrocken von diesem Anblick ruft

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_006.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)