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darunter die gemalte See auf der Landkarte. Da seine Kräfte mehr und mehr schwanden, ließ er sich am 18. April auf seiner Studirstube ein Reisebett aufschlagen. Im Hineinlegen sagte er: „Das heißt ein Reisebett, wie, wenn ich darin abreisen müßte?“ – Er segnete darauf seine Enkel und seine Tochter, bestellte sein Haus und befahl Gott seine Seele. Am 19. brach sein Todestag an. Seine letzte Sorge war nur noch die Eintracht der Kirche. Auf die Frage Dr. Peucer’s, ob er noch etwas verlange, erwiderte er: „Nichts, als den Himmel!“ – Als Melanchthon im Todeskampfe lag, beteten Professoren und Studenten, und alle Bürger Wittenbergs trauerten.


Abends kurz vor 7 Uhr hatte er geendet und gesiegt. Noch im Tode küßten und liebkosten viele Bewohner Wittenbergs das theure Haupt, und bei seinem Begräbniß, am 21. April, sah man kein Auge thränenleer.




Kleine amerikanische Sittenbilder.

2.0 Ein amerikanischer Wahltag.

Es war ein dunkeler, milder Abend, und im Herzen der Stadt M. wogte es durch die erleuchteten Straßen wie in einem Bienenstock, der schwärmen will. Vor dem Courthause (Gerichtshause) hat sich eine unruhige Menge gesammelt und horcht theilweise den Worten eines schon heiser geschrienen Redners auf den Stufen des Gebäudes, während ein anderer Theil sich mit Privat-Discussionen beschäftigt, bis deren anschwellende Laute des Redners Worte zu verschlingen drohen, ein hundertstimmiges brüllendes „Ruhe!“ eine nur noch stärkere Opposition schafft und die Versammlung in’s Chaos überzugehen droht.

Aus einer einmündenden Straße klingt Musik; heller, strahlender Lichtschein, die Gaslaternen verdunkelnd, bricht mit den Tönen um die Ecke; ein Fackelzug naht, Raketen steigen und das Hurrah der begleitenden Menge füllt die Luft; in der Versammlung am Courthause aber scheint plötzlich jeder Zwist erloschen, und wie auf Commando erklingt beim Sichtbarwerden der Nahenden ein ohrzerreißendes Gemisch von Grunzen, Bellen, Pfeifen und Zischen – nur noch stärker antwortet das Hurrah; aber der Weg scheint sich den Herankommenden zu versperren, die Fackeln gerathen aus ihrer Linie, werden hier auf Trupps zusammengedrängt und verlieren sich dort einzeln unter der Menge; die Musik schweigt, scharfe, böse Worte durchgingen den Tumult und finden eine noch schärfere Entgegnung, ein Kampf bereitet sich vor, und die friedlichen, parteilosen Spaziergänger brechen sich Bahn nach geschützten Orten. Da erhebt sich auf den Schultern der ihn Umstehenden eine schlanke, gelenkige Gestalt, schwingt seine Fackel über der erregten Menge, daß sie einen feurigen Kreis um ihn beschreibt, und ruft, die momentan eintretende Stille benutzend: „Frieden, Bürger! Meinungsfreiheit! und wer ein ehrenhafter Amerikaner ist, der schändet nicht als Raufbold die Rechte, die er für sich selbst beansprucht! Morgen am Wahlkasten ist es die Zeit sich zu messen!“

„Frieden, Frieden!“ klingt es unter der Menge, während der Sprecher verschwindet.

„Und Hurrah für einen freien Schluck Whiskey!“ ruft eine schnapsselige Stimme dazwischen; ein jolendes Gelächter bricht los und der Friede ist gesichert, die Fackeln ordnen sich, und unter der wiederbeginnenden Musik setzt sich der Zug von Neuem in Bewegung.

Es ist ein tiefeingreifendes Interesse, was heute, am Abend vor der Wahl, die Bürger in die Straßen treibt und zu gegenseitigen Demonstrationen veranlaßt. Die städtischen Abgaben sind hoch und doch die öffentlichen Zustände nichts weniger als befriedigend; die Gelder verschwinden, ohne daß ihr Verbleib sich recht begreifen, oder daß sich ein Blick in den städtischen Haushalt erlangen ließe. Jahr für Jahr schon hat eine Oppositionspartei gearbeitet, um die Männer der bisherigen Regierung bei einer Neuwahl zu stürzen, aber in genauer Kenntniß der Mittel, welche bei Abstimmungen die große Masse des Volks zu leiten im Stande ist, haben diese mit einer kleinen Zahl ergebener Anhänger Jahr für Jahr allen Angriffen siegreich Trotz geboten, und erst jetzt sind die Freunde der Reform, durch ihre Niederlagen klüger geworden, in einer Masse und Organisation zusammengetreten, die auf einen bessern Erfolg für morgen hoffen lassen. Auf der Seite der Reform steht die ganze junge intelligente Bürgerschaft; sie hat die gewöhnlichen politischen Parteiunterschiede bei Seite geworfen und auf ihre Fahne nur „Sturz der Corruptions-Verwaltung!“ geschrieben. Auf Seite der herrschenden Partei stehen alle die Männer, welche seit langen Jahren aus der Politik eine Profession gemacht und von den erlangten Aemtern gelebt haben, stehen die Lieferanten und Contractoren, die, mit der bisherigen Regierungspartei unter einer Decke, sich Reichthümer erworben, steht die irländische Bevölkerung, die blind nach dem Commando ihrer geistlichen und politischen Führer stimmt. Die Reform vertraut auf ihre gute Sache und eine ehrlich zu erringende Mehrheit am Stimmkasten; die Partei des bisherigen Systems auf ihre Schlauheit und Erfahrung, auf die Macht des Geldes und den Einfluß ihrer Mitglieder auf die abhängigere Arbeiterbevölkerung. Die Reform hat Namen für die zu besetzenden Aemter aufgestellt, welche bis jetzt nur im bürgerlichen Geschäftsleben einen guten Klang haben; die alte Partei bringt Männer, welche die Bevölkerung noch nie anders, als in Verbindung mit einer amtlichen Stellung gekannt. –

In einem geräumigen Zimmer des im Mittelpunkte der Stadt gelegenen Hotels schreitet ein Mann mit raschen Schritten auf und ab, dem das Wohlleben aus den rosigen Hängebacken und dem wohlgerundeten Bauche redet. Auf dem Sopha lehnt eine zweite Gestalt, einen Fuß auf dem Tische vor sich, den zweiten auf einem Stuhle zur Seite ruhen lassend, rauchend und der Cognac-Mischung vor sich zusprechend.

„Ich wollte, Sir, ich hätte ein Bein gebrochen, als ich zum ersten Male für ein Amt lief!“ beginnt der Erstere plötzlich stehen bleibend. „Wenn morgen die Geschichte schief geht, bin ich ein zu Boden geschlagener Mann, der kaum wieder an’s Aufstehen zu denken braucht!“

„Aber wenn Sie durchkommen, haben Sie auch binnen zwei Jahren Ihr Schäfchen im Trocknen! “ erwidert der Andere phlegmatisch.

„Ja, wenn –! ich glaube dieses Mal nicht daran. Ich habe bei meinen kleinen Aemtern nicht einsacken können wie die Uebrigen, und was sich hat machen lassen, ist für die Kosten zu der neuen Wahl wieder drauf gegangen. Aus dem regelmäßigen Geschäfte ist man heraus, wäre auch kaum mehr im Stande, selbst anzufassen wie früher, dazu habe ich sechs Kinder, und wenn morgen –“ er hält inne und stampft mit dem Fuße auf den Boden.

„Mit dergleichen Jammer gewinnt sich keine Wahl, Sir!“ wirft der Andere hin, gleichmüthig sein Glas leerend.

„Richtig, und ich denke, es ist gethan worden, was sich nur thun läßt – wenn man sich aber eine Schuldenlast aufgeladen hat, wie ich, um den ersten großen Schlag zu wagen, wenn man sieht, daß die Gegner arbeiten wie die Teufel, daß man von dem alten bekannten Boden kaum mehr weiß, worauf zu rechnen, so überläuft den Menschen wohl einmal ein Gedanke –“

Das geräuschvolle Oeffnen der Thür unterbricht den Sprechenden, dessen Mienen plötzlich den Ausdruck einer lächelnden Zuversichtlichkeit annehmen. „Nun, Bonner, wie steht’s?“ ruft er dem Eintretenden, einem Manne in Arbeitstracht, entgegen.

„Ich denke, die erste Ward[1] steht fest, Sir!“ erwidert dieser, ein verschmitztes Auge hebend, „wir brauchen aber noch etwas Whiskey-Zuschuß, die Irländer scheinen alle doppelte Löcher im Magen zu haben, und die Wirthe fangen an, etwas schwierig zu werden – es wird hart von der anderen Seite gearbeitet –!“

Nur ein kaum merkliches Zucken geht über des Gesicht, als er das mit Papiergeld gefüllte Portemonnaie zieht. „Zehn Dollars genug?“ fragt er sich halb wegwendend.

„Ein paar Dollars mehr wären besser – aber wie Sie wollen!“ ist die Antwort, bei welcher sich von Neuem die Thür öffnet und einen sichtlich erregten jungen Mann einläßt.

„Aber, Liebster, das ist doch ein unverzeihlicher Bock, der da

  1. Stadtviertel
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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_008.jpg&oldid=- (Version vom 29.4.2020)