Seite:Die Gartenlaube (1862) 009.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

begangen worden,“ ruft er, kaum in’s Zimmer gelangt; „der Schuhmacher Price ist einer der einflußreichsten Männer in der fünften Ward, und Niemand hat an ihn gedacht. Er ist im Stande, uns noch heute den Rücken zu kehren und seinen ganzen Anhang umzustimmen, wenn er nicht sofort engagirt wird, für uns am Wahlkasten zu arbeiten.“

Ein neues Klappen der Thür, welchem der Eintritt zweier anderen Persönlichkeiten folgt, läßt den Angeredeten seine Antwort verschieben. „Ah, Gentlemen!“ ruft er mit einem Lächeln des Willkommens, „nur einen Augenblick Entschuldigung, hier sind Brandy und Cigarren, bedienen Sie sich!“ und zieht sodann den früher Eingetretenen hinter die Vorhänge des Fensters. „Die 5. Ward kostet mich schon mehr für einflußreiche Männer, als ich allein fast ermöglichen kann,“ sagt er hier, seine Stimme zum halben Flüstern dämpfend, „mögen die Anderen auch etwas Uebriges thun, ich kann nicht mehr!“

„Aber die Anderen sind zerstreut in allen Wards, und Sie sind hier, um das Hauptquartier zu halten,“ klingt die ebenfalls halblaute Antwort; „berechnen Sie sich nach der Wahl mit den Uebrigen, aber wenn nicht sofort das Nöthige geschieht, so stehe ich morgen für nichts!“

Noch folgt ein leiseres gegenseitiges Flüstern; dann treten Beide hinter der Umhüllung vor; der junge Mann einige Banknoten in der Hand zerknitternd, der Andere einen Schatten bleicher geworden.

„Ich habe Ihnen nur eine kurze Meldung zu machen!“ beginnt jetzt Einer der letzt Angekommenen, den Empfangenden wieder in die Fenstervertiefung führend. „Sie können,“ fährt er hier murmelnd fort, „auf 400 Eisenbahnarbeiter, die ich morgen selbst nach der Stadt bringen werde, rechnen; Mayor Reynolds hat mir die nöthigen Fonds dafür angewiesen, er überläßt aber Ihnen die passendste Verwendung, da ihre Stimmen wahrscheinlich in der deutschen Ward am nöthigsten gebraucht werden mögen. Wollen Sie mir morgen früh ein Wort im Gasthaus „zur Sonne“ gleich am westlichen Ende der Stadt hinterlassen, so werde ich rechtzeitig auf dem Platze sein können.“

„Soll bestens geschehen, dank’ Ihnen, Sir!“ erwidert Jener, mit einem Athemzuge der Erleichterung den sich Entfernenden nach der Thür geleitend. „Und Sie kommen aus der deutschen Ward?“ wendet er sich dann an den letzten der Fremden.

„Mr. Cox läßt Ihnen sagen,“ meldet dieser, „daß kaum viel zu hoffen sein würde, wenn nicht noch ein eindringlicher Schlag geschähe. Ihr Gegencandidat von der Reform, Mr. Simmers, arbeitet dort selbst und hat den größten Theil der Stimmberechtigten am Faden. Mr. Cox läßt fragen, wie es mit dem morgenden Maueranschlag stände.“

„Es würde Alles besorgt werden,“ ist die Antwort, aus der es wie eine Art Grimm klingt, „und wir wollten die deutsche Ward gewinnen, wenn auch noch zehn solche Menschen sich gegen mich zusammenthäten!“ Und als Jener das Zimmer verlassen, verschließt er die Thür und wendet sich an den Mann im Sopha. „Dieser Reformcandidat ist derselbe Mensch, der meiner Aeltesten auf Tritt und Schritt nachging, den ich aber gründlich heimschickte. Er ist ein Deutscher so gut als ich, hat aber nichts und stand immer in der Politik auf der andern Seite. Jetzt meint er mich stürzen zu können, und möglicherweise bin ich morgen Abend ärmer, als er es gewesen; aber umsonst soll er nicht gegen mich aufgetreten sein! Hier ist noch etwas zu thun für Sie, das ich nicht gut Jedermann anvertrauen kann!“ fährt er fort, ein zusammengelegtes Papier aus der Brusttasche ziehend, „es ist deutsch und englisch, und ich denke, es soll ziehen. Es muß diese Nacht noch gesetzt und gedruckt, morgen vor Tagesgrauen aber an allen Ecken angeschlagen sein. Lassen Sie in die Druckerei ein Faß Bier bringen und sorgen Sie, daß die deutsche Ward mit dem Anschlag reichlich bedacht wird. Ich will gehen und nach anderen Dingen sehen, sonst wird mir hier, ehe eine Stunde vergeht, noch der letzte Dollar abgenommen!“

Das war Capt. Bitter, welchen die Regierungspartei in diesem Jahre zum Candidaten des Schatzmeisteramtes aufgestellt – mit seinem derzeitigen Adjutanten Jim Sullivan, der das ganze Jahr nur von dem lebte, was er sich bei den einzelnen Wahlen durch seine Local- und Personalkenntniß heraus zu schlagen wußte.[WS 1]

Die Führer der Reformpartei aber durchwandern währenddem die einzelnen Wards. Gerüchte von einem Verzweiflungsschlag, welchen die Partei der alten Verwaltung zu führen beabsichtige, sind im Umlaufe. Die Irländer, heißt es, sollen gegen die Deutschen gehetzt werden, um deren Stimmabgabe möglichst zu verhindern, an anderen Orten aber jeder Reformmann eine gewaltsame Zurückhaltung vom Wahlkasten erleiden. In allen Wards finden noch Versammlungen voll enthusiastischer Reden statt. Vigilance-Committees, welche vom Tagesgrauen an ihren Stimmplatz besetzen, unrechtmäßiges Stimmen verhindern und für den Schutz des Reform-Stimmzettels sorgen sollen, werden ernannt und Verabredungen für alle sonst möglichen Fälle getroffen; noch spät nach Mitternacht findet sich Simmers, der junge Schatzmeister-Candidat der Reform, auf der Straße, aus der letzten entfernten Ward nach seiner Wohnung heimkehrend. Er ist überall mit Jubel empfangen worden, denn von seiner bekannten strengen Geschäftsrechtlichkeit hofft die jüngere Bürgerschaft eine Aenderung der bisherigen schreienden Mißbrauche. Noch liegt er indessen keine Stunde auf seinem Lager und hat soeben erst die Augen geschlossen, als ihn ein heftiges Pochen an seiner Hausthür wieder auffahren läßt. „Auf, Simmers, es giebt Arbeit!“ hört er, und bald tritt schweißtriefend ein junger Handwerker ein, breitet ein Papier vor das schnell entzündete Licht und sagt: „Hier, lesen Sie, dies wird soeben an allen Ecken angeschlagen!“ In des jungen Kaufmanns Augen starrt eine Schmähschrift, die ihn beschuldigt, mit unterschlagenem Gelde nach Amerika gekommen zu sein und damit sein kleines Geschäft begründet zu haben; die Beweise werden versprochen, sobald sie verlangt werden; die Bürger werden gewarnt, den Stadtschatz nicht einem Manne anzuvertrauen, der, im Kleinen nicht getreu, es um so weniger im Großen sein könne. – Allerdings ist keine Unterschrift vorhanden; der Eindruck aber, den eine so bestimmte Beschuldigung am Morgen der Wahl hervorrufen muß, ist kaum zu berechnen. Simmers erbleicht leicht beim ersten Durchblicken der Zeilen – dann beginnt er schärfer jeden einzelnen Satz zu prüfen. „Capitain Bitter hat das nicht geschrieben,“ sagt er endlich, wie in Beantwortung eines eigenen Gedankens; „aber er mag seine Hände im Spiele gehabt haben. – Nun, wir wollen dem vorbeugen, und ich danke Euch, Freunde, für Euere Wachsamkeit,“ wendet er sich an den Ueberbringer, „heute Abend sprechen wir weiter zusammen.“ Dann nimmt er einen Streifen Papier von seinem Schreibtische, schreibt darauf: „Neue Lüge der Corruptions-Partei!“ und klebt dies über den Kopf des Maueranschlags. Aus einem verschlossenen Kasten aber zieht er ein anderes, wohlverwahrtes Papier, fügt es an das Ende des Schmähschrift, und der Handwerker liest mit leuchtenden Augen:

„Mr. Henry Simmers ist sieben Jahr, zuletzt als Disponent, in unserm Geschäfte thätig gewesen und obgleich er uns nur mit so viel Mitteln verläßt, als ihm Sparsamkeit und streng geregelte Lebensweise zu erübrigen erlaubten, so hat er doch jeden zu gewährenden Credit bei uns, und wir sind gern bereit, bei unseren Geschäftsfreunden für ihn einzustehen.“ Eine wohlbekannte New-Yorker Firma bildet die Unterschrift, und mit einem: „Hurrah, mir jetzt um Gotteswillen rasch!“ erhebt der Lesende den Kopf.

„Ich gehe nach unserer Druckerei, es wird dort die Nacht durch gearbeitet,“ erwidert Simmers, „sorgen Sie nur binnen einer Stunde für eine Anzahl treuer Leute, die jeden Maueranschlag mit dem rechten Kopfe und Schwanze versehen, und der Spieß ist umgedreht.“ –

Es ist kaum sieben Uhr früh, aber Capitain Bitter ist bereits auf den Beinen, um sich nach dem Hauptquartiere zu begeben und dann, zur Ueberwachung der getroffenen Maßregeln, wie zur Ermuthigung seiner Partei, die Runde bei den Stimmkasten in den verschiedenen Wards zu beginnen; kaum betritt er aber die Straße, als ihm auch der nächtlich angeheftete Maueranschlag mit einem dreifachen „Lüge“ versehen entgegenstarrt, eine gedruckte Riesenhand auf die Widerlegung der Beschuldigung deutet und ihm eine plötzliche Schwäche in die Beine kommt. Er sieht, wie die Vorüberpassirenden zu kurzem Lesen stehen bleiben, sich dann aber lachend entfernen, und er dreht den Kopf weg, um nicht erkannt zu werden.

Im „Hauptquartier“ sind bereits alle die Führer der alten Partei versammelt, aber eine gedrückte Stimmung liegt sichtlich auf den Anwesenden. Nur hier und da fällt eine kurze Bemerkung und wird ebenso beantwortet. „Die Kerls müssen es mit dem Teufel halten!“ ruft Bitter, kaum eingetreten, als sei er froh, den innern Grimm herauslassen zu können, und damit scheint sich

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Unleserliche Stellen korrigiert nach MDZ München
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_009.jpg&oldid=- (Version vom 18.5.2021)