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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Langsam, den Kopf gesenkt, wandert er nach Hause und zieht die Glocke. Ein bleiches, schönes Mädchengesicht mit dunklem Haar und tiefen, großen Augen blickt ihm beim Oeffnen entgegen. „Wie steht’s, Vater?“ fragt sie, in seltsamer Spannung zu ihm aufsehend. Er wendet sich halb nach ihr, als wolle er antworten, schüttelt aber dann den Kopf und geht schweigend in sein Zimmer.

Am andern Mittag liegt Capitain Bitter noch in seinem Bett. Er hat sich früh nur die Zeitung bringen lassen, die Wahlberichte durchgesehen und dann sich wieder herumgedreht, jeden Zuspruch von sich weisend. Er fühlt, daß er am liebsten gar nicht mehr aufstehen möchte – eine Frau, sechs Kinder, einen Berg von Wahlschulden und keine Aussicht, einen Cent zu verdienen, das ist seine nächste Zukunft.

Da bringt seine Frau einen Brief und legt ihn auf sein Bett. „Vater, Du müßtest dies lesen,“ sagt sie, ihn ängstlich betrachtend.

„Von wem ist es?“ fragt er barsch, ohne aufzublicken.

„Von Mr. Simmers!“

„Er soll zur Hölle gehen!“

„Aber Du müßtest es schon Deinethalber lesen, läßt er Dir sagen!“

Zweimal bewegt er den Kopf, wie zum Aufblicken, und legt ihn wieder zurück. Endlich schiebt er die Nachtmütze von der Stirn, reißt das Couvert auf und liest:

„Sir! Ich bin überzeugt, daß Sie die verbreitete Schmähschrift gegen mich nicht verfaßt haben, und um Weiteres kümmere ich mich vorläufig nicht. Die Stimme des Volks hat zwischen uns entschieden, aber den Vater einer Tochter, welche mit Recht als der Stolz unserer deutschen Bevölkerung gilt, werde ich nicht fallen lassen und ich biete Ihnen von Herzen den Posten des mir nöthigen Stellvertreters mit 1000 Dollars Fixum an, wenn Ihr Haß gegen mich es erlaubt, Ihr Interesse mit dem meinigen zu vereinen. Lassen Sie mich ein Wort wissen, ob ich Sie heute Abend besuchen darf.“

Es währt eine lange Weile, ehe Bitter den Blick von den Zeilen hebt, während seltsam in seinem Gesichte die Farbe kommt und geht.

„Der Teufel mag sich weigern, wenn es an den Hals geht!“ Damit zieht er wieder die Decke über den Kopf, seiner Frau den Brief und die Antwort überlassend.

Zwei Tage darauf ist die Partei der Reform in neuer Aufregung, daß der gewählte Schatzmeister seinen geschlagenen Rivalen, den Mann der Corruptions-Partei, zu seinem Stellvertreter ernannt, während doch schon so Viele, die sich zu Jenes persönlichen Freunden gerechnet, auf Uebertragung des Postens gehofft; Simmers aber begegnet allen Vorwürfen mit der Entgegnung, daß er für den Mann verantwortlich sei, und erst als acht Tage später die neue Mähr die Stadt durchläuft, daß Simmers die Tochter des Capitain Bitter heirathe, löst sich das bisherige Räthsel. Bitter aber erklärt seinen Freunden, daß er nur, um sich an die Arbeit zu gewöhnen, die Stellung angenommen habe, im Uebrigen indessen sich nie wieder um ein politisches Amt bekümmern werde.

O. R.     




Aus der Fremde.

Die letzten Menschenfresser.

Es dürfte unsern Lesern allgemein bekannt sein, daß es in unseren Tagen noch Völker giebt, welche das Fleisch erschlagener Feinde oder Gefangener verzehren, ja dies sogar unter großen Festlichkeiten und mit roh pomphaften Ceremonien thun. Diese schauerliche Sitte bestand namentlich auf den Fidschi-Inseln in der Südsee bis in die neueste Zeit. Jetzt ist sie auch dort abgeschafft und zwar dadurch, daß England jene ansehnliche Gruppe herrlicher Inseln, welche die Natur mit allen Schätzen freigebig ausgestattet, in Besitz genommen hat. Die Umstände, welche England veranlaßten, jene Inseln der bereits so großen Anzahl seiner Besitzungen in Oceanien hinzuzufügen, verdienen vor Allem erzählt zu werden.

Großbritannien hielt seit mehreren Jahren einen Consul in jenem Archipel, wo sich seit längerer Zeit schon Methodisten-Missionäre niedergelassen hatten, um die wilden Bewohner für das Christenthum zu gewinnen, und es nannte einen der mächtigsten Häuptlinge, Takombo mit Namen, Tui, d. h. König. Dies schmeichelte dem Stolze und Ehrgeize desselben, wurde aber bald genug sein Verderben. Amerikaner hatten durch einige Fidschi-Insulaner Verluste erlitten, und ihre Regierung verlangte von dem Häuptlinge, der sich König nannte, Entschädigung. Dieser versicherte nun zwar der Wahrheit gemäß, daß seine Macht bei weitem nicht die ganze Inselgruppe umfasse; die Amerikaner aber ließen dies nicht gelten, lockten den Häuptling auf eines ihrer Schiffe, und hier blieb ihm keine andere Wahl, als entweder die Schuld anzuerkennen oder – gehangen zu werden. Selbstverständlich zog er das Erstere vor, aber die Summe, die er zahlen sollte, belief sich auf beinahe 100,000 Thaler, die er unmöglich aufbringen konnte. In dieser peinlichen Verlegenheit nahm er den Rath seines Freundes, des englischen Consuls, in Anspruch, der ihm denn vorschlug, sich mit allen seinen Inseln unter den Schutz Englands zu stellen, wenn dieses die Schuld für ihn tilge, auch sich erbot, die Sache zu vermitteln. Der Consul reiste 1859 nach England und nahm wohlweislich Proben von Baumwolle mit, die man auf der größten Insel der Gruppe gebaut. Diese Proben fand man vortrefflich, trotzdem ging die Regierung nicht sofort auf den Antrag ein, weil sie meinte, der eine Häuptling habe nicht das Recht, die ganze Inselgruppe abzutreten, und weil sie überdies die neue Colonie vorher genauer kennen zu lernen wünschte. Der Consul kehrte demnach nach den Fidschi-Inseln zurück, um mit einem zweiten mächtigen Häuptling, Kuruduadua, zu verhandeln. Ihn begleitete der Oberst Smyth und unser Landsmann, der Botaniker Berthold Seemann, und in Folge des günstigen Berichts dieser Beiden hat England im Laufe des Jahres 1861 die ihm von den Häuptlingen abgetretenen sämmtlichen Fidschi- oder Viti-Inseln förmlich übernommen.

Leider bestand bisher auf diesen schönen Inseln noch immer die schreckliche Sitte, Menschenfleisch zu essen, in voller Kraft trotz der Bemühungen der Missionäre, sie abzuschaffen. In allen Dörfern gab es besondere Oefen zum Braten der Opfer, und um zu wissen, wie viele verzehrt worden, hatte man die Gewohnheit, für jeden Gegessenen einen Schnitt in die Rinde eines bestimmten Baumes zu machen oder einen Stein an eine Stelle zu legen. Seemann zählte an einer einzigen vierhundert solcher Denksteine. An andern Orten pflegte man die Knochen der Geschlachteten an den Aesten der Bäume aufzuhängen und sich an den schauerlichen Tönen zu erfreuen, welche diese Gebeine gaben, wenn der Wind sie aneinander schlug. Merkwürdig ist dabei, daß die Frauen nie Menschenfleisch aßen und daß man dasselbe mit besondern Gabeln zum Munde führte, während man alle anderen Speisen mit den Fingern anfaßte. Jene Gabeln werden mit besonderer Sorgsamkeit aufbewahrt und vererben sich von Generation zu Generation.

So lange man diese Insulaner kennt (seit 1643), waren sie wegen ihrer Feindseligkeit und Grausamkeit gegen die Fremden gefürchtet, die an ihren Küsten erschienen, denn einen Jeden, den sie überwältigen konnten, pflegten sie zu tödten und zu verzehren. Ein derartiges Beispiel kennt man noch aus dem Jahre 1849. Ein Boot zerschellte an den Korallenriffen einer der Inseln, und die vierzehn Mann in dem Fahrzeuge wurden sofort als gute Beute ergriffen. Es geschah dies an einem Punkte der Küste, an welchem sich eine Missionärstation befand. Die Missionäre selbst waren nicht daheim, nur die Frauen derselben. Zwei der Schiffbrüchigen erschlug man so nahe bei dem Hause, daß ihr Angstschrei gehört werden konnte. Die Frauen eilten hinaus, und sobald sie die blutige Metzelei gesehen hatten, begaben sie sich zu dem Häuptling und baten um die Rettung der Unglücklichen. Zwar ließ er sich bewegen, die Bitte zu bewilligen, aber ehe dies geschah, waren zehn der Verunglückten bereits erschlagen.

Vor einem gleichen Schicksal rettete sich ein englischer Jude, Danford mit Namen, den seine abenteuerlichen Schicksale nach dem Fidschi-Archipel brachten, wo er noch lebt. Er hatte das Glück, zu dem Häuptlinge Kuruduadua zu gelangen, dessen hohe Gunst er sich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_011.jpg&oldid=- (Version vom 29.4.2020)