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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)


„Nun war das Personal vorhanden,“ fuhr er in seiner Schilderung fort, „die gefügigen Werkzeuge waren da, die Danisirung begann. Die Direction decretirte, daß die Correspondenz der Aerzte über Kranke aus dem dänischen Theil des Herzogthums ausschließlich dänisch, über solche aus den gemischten Districten, wenn die Vorfragen in dänischer Sprache geschehen seien, ebenfalls in dänischer Sprache stattfinden solle. Bis dahin war die ganze Correspondenz natürlicherweise deutsch geführt worden. Die beiden deutschen Aerzte, welche nach der von Hauschultz vorgenommenen Purificirung noch übrig geblieben waren, besaßen gar nicht die Fertigkeit, dänische Episteln oder gar wissenschaftliche Gutachten in dänischer Sprache zu schreiben. Ueber Nacht konnten sie das auch nicht lernen – und sie wollten es auch gar nicht lernen. Aber der dänische Director einer Anstalt, welche danisirt werden soll, weiß sich zu helfen. Er beauftragte den dritten, neu angestellten dänischen Arzt, die Berichte des ersten und zweiten Arztes zu übersetzen, oder auch, wenn er damit nicht fertig werden könne, dieselben in deren Namen selbstständig nach einem mündlichen Referat abzufassen.“

„Erlauben Sie,“ unterbrach ich unwillkürlich wieder den Erzähler, „das ist widersinnig! Von einer Glaubwürdigkeit eines wissenschaftlichen und gerichtsärztlichen Gutachtens kann doch da gar keine Rede sein. Auch kann ja ein Arzt unmöglich die Verantwortung für eine von einem Dritten verfertigte Uebersetzung in einer Sprache, welche er selbst gar nicht versteht, übernehmen.“

„Darauf kommt es ja auch gar nicht an,“ erwiderte er. „Die beiden an der Anstalt noch übrig gebliebenen deutschen Aerzte sind aber durch diese Maßregel in ein höchst drückendes Abhängigkeitsverhältniß zu dem dritten dänischen Arzt gebracht; darauf kommt es an. Das dänische Element soll im Irrenhause gehoben und das deutsche Element soll unterdrückt werden. Genug, seit zwei Jahren ist die Verwirrung im Irrenhause maßlos. In die Krankenjournale schreiben die dänischen Aerzte dänisch, die deutschen deutsch, und wenn der ehemalige Unterarzt der Armee, jetziger Director des Irrenhauses, die beiden deutschen Aerzte amtlich anredet, so geschieht dies immer in dänischer Sprache.“

„Aber Dr. Rüppell und Dr. Gaye verstehen doch kein Dänisch?“

„Das thut ja nichts, sie antworten in deutscher Sprache, natürlich falls sie die Frage überhaupt verstanden haben. Aber ihres Bleibens ist nicht mehr lange. Dr. Rüppell hat schon seit 30 Jahren mit großer Auszeichnung in der Anstalt gewirkt und ist ein vortrefflicher Irrenarzt. Das thut zur Sache nichts. Der dänische Medicinal-Director in Flensburg hat ihm bereits seine Erwartung ausgesprochen, daß er binnen zwei Jahren fertig dänisch sprechen und schreiben müsse, widrigenfalls er gehen könne.“

„Und nun studiren Dr. Gaye und Dr. Rüppell wahrscheinlich fleißig dänisch, überhören sich die Declinationen und lesen zusammen in dem famosen Buch für höhere Schulen von Lorenzen?“ fragte ich lachend.

„Nein, das thun sie nicht. Beide sind Männer von Ehre und Charakter. Sie haben dem ehemaligen Unterarzt in der dänischen Armee bereits erklärt, daß sie die Danisirung der Anstalt mit Rücksicht auf das Interesse der unglücklichen Kranken vor ihrem Gewissen nicht mehr verantworten können und, falls nicht bald eine Aenderung eintrete, selbst ihre Entlassung fordern würden.“[1]

„Aber kann denn dieser Medicinal-Director in Flensburg mit dem Medicinalarzte umspringen, wie er will? Das ist doch unerhört. Giebt es denn in Schleswig kein Sanitätscollegium?“

„Er macht mit dem ganzen Medicinalwesen, was er will. Sie wissen ja, wie den deutschen Apothekern in Husum, Quere und Apenrade ihre Apotheken weggenommen wurden. Das war sein Werk. Daß die Aerzte, welche als Physici im Herzogthum angestellt sind, ganz nach seiner Pfeife tanzen müssen, versteht sich von selbst; sonst werden sie fortgejagt. Ein Einwohner in Schleswig, der mehrere unheilbare Schwachsinnige verpflegt und einen deutschen Arzt als Hausarzt angenommen hatte, wurde vor den Physikus citirt und ihm bedeutet, statt seiner einen dänischen Arzt aus der Garnison zu engagiren. Der Mann mußte seiner Existenz wegen natürlich gehorchen. Das Sanitäts-Collegium sagt zu dem Allen nichts; es ist dem dänischen Medicinal-Director untergeordnet und ist künstlich aus dänischen Elementen zusammengesetzt. Um die deutschen Aerzte in ihrem Erwerb zu beeinträchtigen, darf eine Commune nicht einmal einen Armenarzt engagiren, den er nicht bestätigt hat. Natürlicherweise bestätigt er niemals deutsche, sondern nur dänische Aerzte. Neulich wollte er einen deutschen Arzt in Schleswig nur deshalb nicht als Armenarzt bestellen, weil er eine Adresse an die Ständeversammlung unterzeichnet habe.“

„Aber unter solchen Umständen darf man ja in Schleswig gar nicht mehr krank werden!“

„Gewiß nicht, wenigstens nicht, wenn man sich nicht der Gefahr aussetzen will, von einem unwissenden dänischen Arzte behandelt zu werden; denn die ehrenwerthen und wirklich wissenschaftlich gebildeten dänischen Aerzte gehen nicht nach Schleswig. Aber wundert Sie das? Man kann in Schleswig ja auch nicht mehr die Kirche besuchen. Es wird ja dänisch gepredigt. Wir können unsere Kinder ja auch nicht mehr in die Schule schicken. Sie werden ja dänisch unterrichtet. Warum sollen wir denn nicht an dänischen Aerzten sterben?“

Es war zehn Uhr geworden. Ich ging durch die stillen Straßen nach Hause und dachte auf dem Rückwege wieder an den Arzt in San Servolo, der keine Ketzer und keine politischen Feinde kannte – und an Deutschland, wo man über das Schicksal der Madiai’s und des Judenknaben Mortara weinte, wo der fingirte Schmerz einer Negermutter Tausenden von schönen Augen Thränen entlockte, und wo man für das Dulden des verlassenen Bruderstammes kaum noch eine Minute der Erinnerung übrig hat! Gustav Rasch.     


  1. So wörtlich in der preußischen ministeriellen Denkschrift.




Persische Schauspiele.

Eben vergoldete die untergehende Sonne mit purpurrothem Strahle die steilen, nackten Gipfel der riesigen Kette des Elburs- Gebirges, als wir in unserem Sommerquartier zu Rustemabad, am Fuße des Elburs, den Garten durchschritten, dessen Bäume mit den herrlichsten Früchten beladen waren. In Heimatherinnerungen vertieft, hatten wir fast vergessen, daß wir uns inmitten des persischen Reiches und in der Nähe Teheran’s, der Residenz des Schah, „des erhabenen Mittelpunktes des Weltalls“, befanden, als wir uns dem Ausgange nach der Hauptstraße des Dorfes zu näherten. Der schlafende persische Wachtposten sprang eilig auf, von unserem Geräusch erweckt, um nach der verrosteten Flinte zu greifen, die an der Mauer lehnte.

Bald standen wir mitten auf dem Hauptplatze des Dorfes, in der Nähe der sehr ärmlich und einfach construirten Moschee. Während wir uns hier an den verschiedenartigsten Scenen des persischen Volkslebens ergötzten und scheinbar mit ernster Miene hin und her spazierten, wurde unsere Aufmerksamkeit plötzlich durch ein lautes Geräusch wach gerufen, das von einer Menge in regelmäßigem Takt geschlagener Klapperinstrumente herzurühren schien. Wir wendeten uns nach der Richtung hin, von wo uns, aus einer engen Gasse des Dorfes her, die seltsame Musik entgegentönte.

Ein wunderlicher Anblick überraschte uns da. Eine lange Reihe von Knaben im Alter von acht bis zu vierzehn Jahren sprangen, je zwei nebeneinander gehend, auf einem Fuße in die Höhe, den Körper bald nach rechts, bald nach links drehend, und die Worte: „O Hassan! O Hussein!“ ausstoßend. Bei jedem Sprunge schlugen sie mit beiden Händen zwei Hölzer zusammen, bald vorwärts, bald hinterwärts, nach dem Rücken zu, die Arme haltend. Dieser sonderbare Zug, der bisweilen klagende Töne ausstieß, näherte sich uns, tanzte, wie es schien, mit erhöhter Lebhaftigkeit und forderte uns dann das unvermeidliche Enam oder Geschenk ab. Nothgedrungen mußten wir die Börse ziehen und den Tänzern ein angemessenes Geldgeschenk auszahlen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_027.jpg&oldid=- (Version vom 29.4.2020)