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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Deutsche Frauen.

Deutschland kann stolz sein auf seine Frauen, denn in seinen schwersten und trübsten Tagen haben viele von ihnen ein so muthiges, von edelster Vaterlandsliebe erfülltes Herz gezeigt, wie es manchem Manne zu wünschen gewesen wäre. Eine deutsche Frau war es, die 1806 ihrem Gatten, dem Commandanten von Küstrin, dem Oberst von Ingersleben, zu Füßen fiel und auf den Knieen ihn beschwor, seine und des deutschen Namens Ehre zu retten und die Festung nicht zu übergeben. Eine deutsche Frau war es, welche das Geschick damals an die Spitze eines großen Staates gestellt hatte, die, von echtem deutschem Sinne belebt, fast allein nicht Herz und Muth verlor, als Alles verloren zu sein schien – Louise, die Königin von Preußen. Deutsche Frauen sind, als der Freiheitskampf entbrannte, aus edelster Begeisterung hinausgetreten aus des Weibes Kreise, haben mitgekämpft für Deutschlands Recht und Ehre und sind mit freudigem Herzen für ihr Vaterland gestorben. Wir wollen hier nur an jene einundzwanzigjährige Eleonore Prohaska erinnern, welche unter den Lützowern mitkämpfte und in dem Gefecht an der Göhrde fiel.

Und wie viele andere Namen, die dem weiblichen Geschlechte zur Ehre gereichen, könnten wir nennen, wenn wir von den Blättern der Geschichte absehen und in die Privatkreise blicken wollten. Doch das ist nicht unser Zweck. Wir wollen den Blick unserer Leser auf mehrere deutsche Frauen richten, deren Namen nur Wenigen bekannt sind und die doch vor Allen verdienen, als Vorbilder hingestellt zu werden für künftige Tage und Zeiten. –

Am Morgen des 22. April 1809 herrschte in dem hessischen Städtchen Homberg – 9 Stunden von Cassel entfernt und ebensoweit von Marburg – welches damals zum Werra-Departement (Präfectur Marburg) gehörte, ein aufgeregtes, fast stürmisches Leben. Auf den nahen Dörfern tönten die Sturmglocken und aus der ganzen Umgegend strömten Landleute und ehemalige Soldaten, mit Gewehren, Säbeln, Heugabeln. Sensen und zum Theil auch nur mit Knütteln bewaffnet, dem Städtchen zu und wurden dort mit Jubel empfangen.

Auf dem Marktplatze waren zwei Schwadronen des ersten Cürassier Regiments, von dem Rittmeister von Weißen und dem Lieutenant Giesewald commandirt, aufmarschirt und wurden mit lautem Hurrah von den Landleuten begrüßt. Bürger mischten sich unter sie, Krüge mit Bier und Flaschen mit Branntwein in den Händen, um die weither Gekommenen zu stärken und die Begeisterung in den Köpfen frisch zu erhalten. Der greise Metropolitan der Stadt, Martin, wendete sich auf erhöhtem Standpunkte an die einige Tausend Köpfe zählenden Versammelten, um ihnen mit begeisterten Worten darzulegen, daß es ein rechtmäßiges, ehrenvolles Werk sei, welches sie vorhätten, und eine Proclamation vorzulesen. Mit klaren Worten sprach dieselbe aus, daß der Aufstand, an dessen Spitze der Oberst von Dörnberg stehe, keinen andern Zweck habe, als „Kurhessen, ganz Westphalen, ja wo möglich ganz Deutschland vom Joche der Fremden zu befreien und zu ehrenvoller Selbstständigkeit zurück zu führen.“ Der angestammte Landesherr solle wieder auf seinen rechtmäßigen Thron gesetzt werden.

Das erfaßte die Herzen der Bauern. Ein Lebehoch um das andere wurde dem Kurfürsten gebracht und noch lauter allen Franzosen Tod und Verderben geschworen.

Die Begeisterung ließ nicht nach, obschon der Tag weiter vorrückte. Der Sohn des greisen Metropolitan, der Friedensrichter Martin, suchte, mit einer bunten Uniform angethan, in den wirren Haufen Ordnung zu bringen und die Landleute nach Gemeinden abzutheilen, damit sie in Ordnung gegen Cassel ziehen könnten. Die Bauern aus den nächstliegenden Ortschaften wurden an die Spitze gestellt, dann kamen alte Soldaten, Jäger und Forstleute, fast die Einzigen, welche mit Schießwaffen versahen waren.

Während die aufgeregte Volksmasse in den Straßen der Stadt hin und herwogte und Manche sich auch wieder heimlich entfernten, waren die Anführer des Aufstandes in der Neustadt Homberg in dem Gebäude des Fräulein Stiftes von Wallenstein versammelt. Dort waren der Rittmeister von Weißen, der Lieutenant von Giesewald, der Metropolitan und Friedensrichter Martin, der Provisor Rommel und einige andere Männer, und mitten unter ihnen saßen fünf Frauen und nahmen an den ernsten Berathungen mit Theil.

Es waren die Aebtissin des Stiftes von Gilsa, die Dechantin Marie Anna von Stein, die Kanonissin von Metzsch und Sophie von Baumbach nebst deren Nichte Caroline von Baumbach.

Ein Theil der Männer war für das Aufgeben des ganzen Unternehmens, weil die Begeisterung der Bauern im Laufe des Tages schon sichtbar abgenommen hatte und nur mit einer tapfern, entschlossenen Schaar das gewagte Unternehmen auszuführen war. Da erhob sich Marianne von Stein, eine Frau von einigen sechzig Jahren und einer unscheinbaren Gestalt, aber aus ihren blauen klaren Augen, aus den bewegten geistvollen Zügen, aus der hohen Stirn, welche eine auffallende Aehnlichkeit mit der ihres Bruders Karl, des Retters von Preußen und Deutschland, zeigte, sprach ein überlegener Geist.

Mit bestimmten, klaren Worten wies sie darauf hin, daß das einmal begonnene Werk nicht aufgegeben werden dürfe. „Dörnberg erwartet Euch in Cassel,“ sprach sie, „gebt ihn und all die Männer, welche ihm zur Seite stehen, nicht preis. Die Saaten sind längst reif zum Schneiden. Tausende werden zu Euch strömen, sobald Ihr entschlossen vordringt, denn in hunderttausend Herzen lebt das Verlangen nach der Freiheit. Dem Muthigen gehört die Welt! Ich selbst würde mich nicht scheuen, mit Euch zu ziehen, wenn mein schwacher Arm nützen könnte. Steht nicht zurück, nun dieser lang ersehnte Tag endlich gekommen, bedenkt Eure – unsere Brüder an der Weser, an der Werra, der Saale und der Elbe, auf dem Harze – soweit der Druck der verhaßten Fremden reicht und die Freiheit darnieder liegt – sie Alle, Alle blicken auf Euch und erwarten von Euch, daß Ihr Männer seid, bereit, für des Volkes Höchstes Euer Höchstes – das Leben zu wagen!“ Diese Worte verfehlten ihre Wirkung nicht und weckten auf’s Neue die wankenden Hoffnungen. Da stürmte Dörnberg in’s Zimmer, der, das Unternehmen verrathen glaubend, von Cassel entflohen und, von dem scharfen Ritte in Schweiß gebadet, Nachmittags 5 Uhr in Homberg angekommen war.

Sein Erscheinen rief Freude und Erstaunen zugleich hervor. Mit wenigen Worten erzählte er den Grund seiner Flucht. „Noch ist nichts verloren,“ rief er, „wenn wir schnell zu handeln verstehen. Heute noch müssen wir aufbrechen, morgen früh vor Cassel stehen, wo Alles bereit ist; wir wollen den Feind aufrütteln, ehe er von selbst erwacht. König Jerôme ist nicht gewöhnt, früh aufzustehen. Ich habe Nachricht aus Berlin von Schill; er erwartet nur das Zeichen durch unser Losbrechen – noch ist Alles zu retten! – Können wir uns auf die Landleute mit Zuversicht verlassen?“ wandte er sich fragend an den Friedensrichter Martin.

„Ich stehe für sie ein, Herr General,“ entgegnete Martin. „Einige Tausend sind in der Stadt, ich habe sie organisirt, und unterwegs dürfen wir noch auf einen starken Zuzug rechnen.“

„General?“ wiederholte Dörnberg lächelnd und nicht ohne einiges Erstaunen auf die Uniform des Friedensrichter blickend.

„Gewiß,“ rief Martin. „Sie sind unser General, und ich habe mich Ihnen freiwillig als Ihr Oberst untergeordnet. Etwas müssen wir doch auch für unsere Mühen haben.“

„Gott ist mein Zeuge,“ unterbrach ihn Dörnberg, „daß ich an mein Interesse noch nicht gedacht habe. Der Freiheit und dem Vaterlande! ist mein Wahlspruch, ihm will ich getreu bleiben! – doch wir müssen aufbrechen, die Zeit drängt.“

„Noch einen Augenblick,“ sprach Marianne von Stein vortretend. „Von dem ersten Entstehen dieses Unternehmens an haben wir daran Theil genommen, unter unsern Augen ist es herangewachsen, und nun es endlich in’s Leben tritt, muß unser schwacher Arm zurückstehen. Aber im Geiste werden wir bei Ihnen bleiben, und ich bitte Sie, dies Zeichen von meiner Hand anzunehmen und zu tragen!“

Sie überreichte ihm eine geschmackvoll gestickte Schärpe, welche Dörnberg, ihr die Hand küssend, in Empfang nahm und ausrief: „In Ihrem Geiste will ich sie tragen.“ Auch die Aebtissin von Gilsa, die Kanonissin von Metzsch und Sophie von Baumbach überreichten den Anführern selbstgestickte Schärpen. Nur die jugendliche Caroline von Baumbach blieb ruhig, sinnend am Fenster stehen und blickte hinab auf die Straße. Die Anführer des Unternehmens verließen das Stift und brachen auf. Es war Abends gegen sieben Uhr. Auf dem Marktplatze waren die gesammten Streitkräfte aufmarschirt. Der Oberst von Dörnberg mit den übrigen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_030.jpg&oldid=- (Version vom 29.4.2020)