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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Officieren erschien vor der Fronte. Die tiefste Stille trat ein. Rings hatte sich ein großer, dichtgeschlossener Kreis von Neugierigen und Zuschauern gebildet.

Eben war Dörnberg im Begriff, an die versammelte Mannschaft eine kurze Anrede zu halten, da öffnete sich der Kreis der Zuschauer und eine jugendlich schöne Frauengestalt drängte sich hindurch. Aus ihren Augen leuchtete eine schwärmerische Begeisterung, ihre Wangen glühten, und die letzten Strahlen der scheidenden Sonne, welche mit röthlichem Schimmer auf sie fielen und ihre ganze Gestalt umglühten, ließen sie in diesem Augenblicke fast wie eine Heilige erscheinen. Diesen Eindruck machte sie auch auf all die Versammelten. Fast Niemandes Brust wagte auszuathmen, und doch schlugen die Herzen darin lauter und schneller. Diese Frauengestalt war Caroline von Baumbach. In ihrer Rechten trug sie ein roth-weißes Banner mit der von ihrer Hand hineingestickten goldenen Devise: „Sieg oder Tod, im Kampfe für das Vaterland!“

Wie die Jungfrau von Orleans stand sie da, wahrhaftig erhaben und groß, als sie das Banner entfaltete und Dörnberg überreichte. Mit entblößtem Haupte empfing dieser die Fahne und rief mit lauter Stimme die Worte nach: „Ja, Sieg oder Tod!“

Eine lautlose Stille hatte bis dahin geherrscht, jetzt brach sich die Erregung der Menge durch den von tausend Lippen wiederholten Ruf „Sieg oder Tod!“ Raum. Ja, es loderte eine wahre und edle Begeisterung in diesem Augenblicke in Aller Herzen, und wären sie jetzt sogleich dem Feinde entgegengeführt worden, sie würden die schwachen Stützen, auf denen König Jerôme’s Thron aufgebaut war, zertrümmert haben, und einige Jahre früher würde die Sonne der Freiheit über Deutschland aufgestiegen und von deutschem Boden der Feind verjagt worden sein, den jedes deutsche Herz jetzt wie damals hassen und verachten muß, weil er das nicht achtet, was des Deutschen Stolz und Größe ist: die Ehre seines Namens und seines Hauses!

Gegen acht Uhr brachen die versammelten Streitkräfte von Homberg auf gen Cassel. Das Ende dieses Zuges und des ganzen Unternehmens ist bekannt. Es mißglückte, und mit ihm sanken all die Hoffnungen in den Staub, die darauf gebaut waren. Unsere Absicht ist nur, den Blick auf die Frauen zurückzulenken, die so eng damit verknüpft waren. Das Fräulein-Stift zu Homberg kann man mit Recht den geistigen Heerd dieses ganzen Unternehmens nennen. Dort trafen sich die Vertrauten und Verbündeten, dorthin konnten sie unbeachtet unter dem Namen von Eltern und Verwandten der Stiftsdamen kommen, und dort wurden all die einzelnen Flammen angezündet, welche einst zusammenschlagen und den schmachvollen Thron der Tyrannei in Asche legen sollten.

Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts hatte eine Erbtochter des 1745 im Mannsstamm erloschenen Geschlechtes der Freiherren von Wallenstein das Fräulein-Stift in Homberg gegründet, in welches nur Töchter des ältesten Adels, welche mindestens sechzehn Ahnen ausweisen konnten, aufgenommen wurden. 1809 zählte die Anstalt dreizehn Pfründnerinnen, allein nur drei derselben, die Aebtissin von Gilsa, die Dechantin Maria Anna von Stein, welche später Aebtissin dieses Stiftes wurde, und die Kanonissin von Metzsch, waren damals im Stifte selbst wohnhaft.

Marianne von Stein, die jüngste Schwester des Ministers von Stein, welche ihm in geistiger Beziehung am nächsten stand und bis zu seinem Tode seine Vertraute und Lieblingsschwester blieb, war gleichsam die Anführerin des Unternehmens unter den Frauen. Ihr schlossen sich noch an: die in Homberg wohnende Schwester des 1808 verstorbenen kurhessischen Ministers von Baumbach, Sophie, und deren Nichte Caroline von Baumbach, dann die gleichfalls in Homberg wohnende Schwester Georg von Dalwigk’s, Frau Wolff von Gudenberg, geborene von Dalwigk, und einige andere Damen vom Adel.

Marianne von Stein, welche mit ihrem Bruder, dem Minister, und dem Grafen Münster in fortwährender Correspondenz stand und von ihnen Rathschläge empfing, war durch Dörnberg von Anfang an in das Unternehmen eingeweiht. Durch ihre klare, scharfe Auffassung, ihren hellen Verstand, ihre begeisterte Vaterlands- und Freiheitsliebe war sie würdig und fähig dazu, wie kaum eine zweite Frau, und sie hat ein Wesentliches dazu beigetragen, daß das Unternehmen zur Ausführung kam. An dem Mißlingen desselben trug sie keine Schuld, ebenso wenig wie irgend einer der Anführer. Marianne von Stein war in Eugen von Hirschfeld’s Plan, in Katte’s und Schill’s Unternehmen gleichfalls eingeweiht, und sie vermittelte die einzelnen Beziehungen und Nachrichten zwischen den verschiedenen Anführern. In dem Stifte zu Homberg trafen sich die einzelnen Vertrauten aus der ganzen Umgegend, denn soweit reichte der Scharfblick der französisch-westphälischen Polizei nicht, um zu errathen, daß dort unter den Augen und zum Theil mit von der Hand einer deutschen Frau Fäden gesponnen wurden, welche das ganze schmachvolle westphälische Königthum zusammenreißen sollten. Und wie klug diese Frauen an dem Werke mitgearbeitet haben, zeigte sich an den Folgen und den Verfolgungen, denen sie nach dem Scheitern ausgesetzt wurden.

Der westphälische „Moniteur“, ein ebenso serviles, erbärmliches Blatt wie der französische Moniteur, brach erst am 25. April über den ganzen Vorfall sein Schweigen, indem er nun in echt französischer Weise mit napoleonischen Rodomontaden die Posaunen des Triumphs ertönen ließ und des Königs Sieg verkündete über „einige Landleute, welche sich von Feinden des Vaterlandes hätten verleiten lassen.“ An demselben Tage erschien der General-Commissär der Polizei, von Wolff, mit dem Gensd’armerie-Capitain Dudon d’Envals in Homberg zur Untersuchung. Er kehrte schon am folgenden Tage zurück, ohne Etwas entdeckt zu haben, denn er berichtete nach Cassel, daß nur „Anscheinspuren einer Theilnahme in Homberg vorfindlich gewesen“. Für ihn erschien schon am Abend des 26. April ein besser unterrichteter Polizeibeamter, von einem Militair-Detachement begleitet. Er verhaftete sofort außer verschiedenen anderen Personen die Stiftsdamen von Gilsa, von Stein und von Metzsch, die Gattin des Escadronschefs Wolff von Gudenberg, Sophie und Caroline von Baumbach und führte sie nach Cassel, wo die Frauen wegen Ueberfüllung des Castells einstweilen im Gefangenhause untergebracht wurden.

Am 4. Mai erschien endlich in Nr. 53 des „Moniteur“ ein Decret vom 30. April: „In Erwägung, daß die Aebtissin und die Kanonissinnen des Stifts Wallenstein zu Homberg nicht allein die Absichten der Empörer in unserem Königreiche begünstigt, sondern sogar die Schärpen der Aufrührer gestickt und ihnen noch 3000 Thaler zur Unterstützung in diesem Aufruhr gegeben, verordnen wir: Art. 1. Der Aebtissin und den anwesenden Kanonissinnen des Stifts Wallenstein zu Homberg sind ihre Pfründen genommen. Art. 2. Beschlagnahme und Sequestration der in unseren und anderen Landen gelegenen Güter und Einkünfte genannten Stiftes etc.“

Daß von den dreizehn Stiftsdamen nur drei in dem Stift gewesen waren und an dem Unternehmen Theil genommen, machte nichts aus – französische Gerechtigkeit! Jerôme überwies später das auf 451,000 Thaler geschätzte Stiftsvermögen an den von ihm gestifteten Kronenorden. Dies Urtheil war gefällt und ausgeführt, ehe die Stiftsdamen überhaupt nur verhört waren. Das erste Verhör mit Marianne von Stein und der Kanonissin von Metzsch fand am 18. Mai statt. Es führte zu keinem Resultate, da ihnen namentlich ein Briefwechsel mit dem Freiherrn v. Stein während der letzten zwei Jahre nicht nachzuweisen war. Während die Aebtissin gar nicht verhört war, wurde allen drei Stiftsdamen am 20. Mai Abends 7 Uhr durch einen Gensd’arm angekündigt, daß sie sich zur Reise nach Mainz in Bereitschaft zu halten hätten. Es wurde ihnen freigestellt, ob sie zu Fuß oder durch Brigaden escortirt auf Leiterwagen oder mit der Post auf eigene Kosten reisen wollten. Sie wählten den letzten Weg, wozu ihnen der Bruder der Aebtissin das Geld verschaffte. Um 10 Uhr Abends bei Sturm und Regen reisten sie von zwei Gensd’armen begleitet ab und trafen am 23. in Mainz an, wo sie vorläufig in einem Privathause unter Bewachung untergebracht wurden.

Marianne von Stein, auf welche das Mißlingen des Unternehmens, auf das sie ihre schönsten Lebenshoffnungen, die Freiheit des Vaterlandes, so fest gebaut hatte, einen weit tieferen Eindruck hervorgerufen, als ihre eigene Verhaftung und unwürdige Behandlung, war leidend – krank. Trotzdem wurde sie schon am 25. Mai nach Paris geschleppt und dort in das Präfecturgefängniß gebracht. Hier schien sie gänzlich vergessen zu sein, da nicht einmal ein Verhör mit ihr angestellt wurde, bis es endlich den Bemühungen ihrer Nichte und deren Gemahls, des sächsischen Gesandten, Grafen Senfft-Pilsach, gelang, ihre Freiheit zu erwirken. Erst im Winter 1809–10 durfte sie indeß nach Deutschland zurückkehren.

Die Aebtissin von Gilsa und Fräulein von Metzsch blieben

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_031.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)