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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

No. 3.   1862.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Der Letzte seines Stammes.

Novelle von Fanny Lewald.
(Fortsetzung)


Kaum aber hatte sich die Thüre hinter dem Grafen geschlossen, als die Marquise den Kopf empor hob, wie Einer, der eine mühevolle Arbeit abgethan, und mit erleichtertem Herzen Athem schöpfend, sagte sie: „Wohl mir, er geht!“

Im Schloßhof schlug es die neunte Stunde. Die Marquise nahm den Leuchter vom Tische und trat an einen der Spiegel heran, ihre Frisur, ihren Anzug zu mustern. Mit eiliger Hand rückte sie das Brillantschloß an ihrem Perlenhalsbande zurecht und bog den Esprit von Diamanten, der die dunkelrothen Federn auf ihrem Toupet zusammenhielt, ein wenig tiefer nach der Stirne nieder. Ihr Gesicht strahlte ihr in aller seiner klaren, gebieterischen Schönheit aus dem Spiegel wieder. Und als das Rauschen ihres Schleppkleides nicht mehr in dem Pavillon zu hören war, als das Licht ihn nicht mehr erleuchtete, da schwebten nur die Geister des Schmerzes darin umher, den ein edles Männerherz jetzt eben in dem einsamen Raume erduldet hatte.

Als der Graf seine Wohnung erreichte, fand er in derselben seinen Neffen, den Junker Ulrich von Thuris, der ihn erwartete. Er fragte, ob der Onkel reisen werde; der Graf bejahte es. „Ich werde auf diese Weise endlich einmal in meine Heimath kommen!“ sagte er, gleichsam um sich eine angenehme Aussicht aus der Verdüsterung zu eröffnen, die ihn umfangen hielt, aber diese Aussicht hatte bis jetzt wenig Verlockendes für ihn, denn er kannte seine Heimath nicht.

Schon sein Vater hatte in Diensten der französischen Königsdynastie gestanden, war zum Range eines Generals emporgestiegen und hatte sich mit einer Deutschen verheirathet, deren Vater von einem der kleinen deutschen Höfe als Gesandter in Paris accreditirt war. Graf Joseph und dessen einzige bedeutend ältere Schwester waren Beide in Frankreich geboren und erzogen worden, und als der General mit Frau und Sohn einmal die Reise nach der Schweiz gemacht, um die eben vermählte Tochter auf ihrem Schlosse unfern der italienischen Grenze zu besuchen, war Graf Joseph noch ein Knabe gewesen. Dunkle Bilder von hohen, schneebedeckten Bergen, von rauschenden Wasserstürzen, von engen, schwindelnden Alpenpässen, von kleinen, freundlichen Städten, von lachenden Dörfern und von stolzen Burgen auf einsamen Höhen tauchten hie und da in seiner Erinnerung auf, aber er hatte bisher keine Sehnsucht danach getragen, diese bleichen Erinnerungen neu zu beleben.

Bald nach jener Schweizerreise war sein Vater gestorben, und da die Wohlgeneigtheit des Königs der Gräfin mannigfache Vortheile für die Zukunft ihres Sohnes versprach, so hatte die an das Hofleben gewöhnte Frau ohne Noth Paris nicht verlassen und noch weniger an einen dauernden Aufenthalt in den stillen Gebirgen von Graubünden denken mögen. Paris war für sie allmählich der Mittelpunkt der Welt geworden, und der Hof die Sonne, von welcher Licht und Leben für sie ausging.

In diesen Ueberzeugungen hatte sie ihren einzigen Sohn erzogen, aber mit ihrer Vorliebe für Frankreich, mit ihrer Hingebung für die herrschende Dynastie hatte sie ihm auch ihre feste Anhänglichkeit an den Protestantismus und den Ernst und die Sittenstrenge eingeflößt, welche seit den Tagen der Reformation das schöne Erbtheil ihrer im wahren Sinne adligen Familie gewesen waren.

Auch die Gräfin war nicht alt geworden, und mit achtzehn Jahren hatte Graf Joseph sich verwaist, im Besitze einer Officiersstelle in den Schweizergarden und als Herr eines bedeutenden Grundbesitzes sich selber überlassen gefunden. Der Name seines Vaters hatte ihm früh eine Geltung in dem Regimente verschafft, welches derselbe befehligt, seine Geburt verband ihn mit den ältesten Geschlechtern, und die Gunst, welcher seine Eltern sich von dem Königspaare zu erfreuen gehabt, hatte auch ihm einen gnädigen Empfang bei seiner ersten Erscheinung am Hofe gesichert. Seine Wohlgestalt und ein gewisser Zug von schwärmerischer Ritterlichkeit nahmen die Frauen für ihn ein, die Männer nannten ihn einen Mann von Muth und Ehre, einen vollkommenen Cavalier und gestanden ihm alle Vorzüge einer sorgfältig geleiteten Erziehung zu. Das Glück hatte Alles für ihn gethan, nur Eines hatte es ihm versagt: die Fähigkeit dasselbe zu genießen, oder vielmehr die innere Einheit des Wesens, ohne welche es dem Menschen nie gelingt, seines Lebens dauernd froh zu werden.

Der Graf wußte die Vorzüge, welche ihm zu Theil geworden waren, wohl zu schätzen, aber er hatte einen Ehrgeiz, der nach Befriedigung verlangte, und es eröffnete sich für denselben nicht das Feld. Er fühlte in sich Kräfte, die er auszubilden, die er zu gebrauchen wünschte, indeß die glorreichen Tage Frankreichs schienen damals vorüber zu sein. Die Regierung des sechzehnten Ludwig war keine kriegerische, es gab keine Lorbeeren mehr auf dem Schlachtfelde zu pflücken, die große Epoche der Literatur lag ebenfalls schon weit zurück, ja sogar die alte französische Fröhlichkeit belebte die Geister nicht mehr. Die besondere Gemüthsart des Königs, die Zerwürfnisse zwischen dem Volke und der Regierung, welche immer unverkennbarer hervortraten, übten, ohne daß man es sich eingestehen mochte, einen bedrückenden Einfluß auf die Stimmung des Hofes aus, und man hätte wohl sagen können, man amüsire sich aus Unbehagen, man sei so heiter, weil man anfange Sorgen zu haben. Das leichtsinnig verwegene Wort: nach


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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_033.jpg&oldid=- (Version vom 29.4.2020)