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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

uns die Sündfluth! war in der Erinnerung der Menschen unvergessen, wenn schon man es nicht mehr nachzusprechen wagte; denn selbst am Hofe gab es Personen genug, welche die Wetterwolken deutlich genug emporsteigen sahen, aus denen der vernichtende Blitz auf die Dynastie und ihre Anhänger hernieder fahren sollte.

Zu diesen Fernsehenden, Scharfblickenden hatte der jugendliche Graf allerdings nicht gehört, aber man hatte ihn zu jenen edlen Unzufriedenen rechnen können, die von dem Tage mehr verlangten, als daß er vorübergehe, und von dem Leben mehr als flüchtigen Genuß. Unruhig umhergetrieben von einer lebhaften und doch eigentlich unbestimmten Sehnsucht, Ideale im Herzen, wie der Dichter der Heloise sie in den Menschen wach gerufen, von der Herzensschwärmerei berührt, welche in der Gestalt des Goetheschen Werther ihren höchsten Ausdruck gefunden, so hatte Graf Joseph seit ein paar Jahren in der Gesellschaft des Hofes gelebt, als die siebzehnjährige Tochter der Familie de la Roche, zu einer der Hoffräulein der Königin ernannt, am Hofe erschien.

Franziska de la Roche war eine blendende Schönheit und ebenso klug als schön, ebenso kalt und berechnend als klug. Da sie die jüngste Tochter einer zahlreichen Familie war, hatte man sie von Jugend auf angehalten, ihre eigene Zukunft und die Förderung ihrer Familie im Auge zu haben. Ihre Schönheit war nach der Ansicht ihrer Eltern ein Theil des Familiencapitales, und früh gewiegt in Träumen von Reichthum und Pracht, die nur um so verlockender wirkten, je mehr sie von der ländlichen Zurückgezogenheit abstachen, in welcher die junge Franziska erwuchs, war sie bei dem Eintritt in ihren Hofdienst fest entschlossen gewesen, ihre persönlichen Vorzüge zu nutzen und den größtmöglichen Gewinn von ihnen zu ziehen. Heiter, zuversichtlich, beobachtend und achtsam wie ein junger Jäger auf dem Anstand, lebhaft genug, um schnell erregt zu werden, und doch nicht so phantasievoll und sinnlich, daß es leicht gewesen wäre, sie wider ihren Willen zu beschäftigen und hinzureißen, ohne Gemüth und ohne Grundsätze, welche ihrer Selbstsucht und ihrem Ehrgeize hätten Schranken setzen können, würde sie unschwer zu beurtheilen und nicht eben einnehmend gewesen sein, wenn nicht die ihr anerzogene äußere Zurückhaltung ihr den Anstrich von Jungfräulichkeit verliehen hätte, von der man sich keines Bösen und keiner Täuschung versah. Sie galt nach ihrer strengen häuslichen Erziehung für sittsam und religiös, und sie bewies gleich anfangs, wie klug sie sei, indem sie sich den Beichtvater der Herzogin zu ihrem Seelsorger erwählte. Der Beichtvater empfahl sie der Herzogin, und diese, welcher es wichtig war, in der Nähe der Königin nur Personen zu haben, auf welche die herrschsüchtige Familie der Polignac’s einen bestimmenden Einfluß ausübte, nahm das junge Hoffräulein in ihren besonderen Schutz.

Fräulein de la Roche war das sehr wohl zufrieden. Sie fand es bequem, eine Weile am Fuße der Leiter zu sitzen, auf welcher sie empor zu steigen dachte. Sie war ganz Ergebenheit, ganz kindliche Fügsamkeit gegen ihre Beschützerin, was sie jedoch gar nicht hinderte, ihr Auge offen zu behalten und sich nach einer guten Heirath für sich selber umzusehen.

Der schöne Graf von Rottenbuel dünkte sie dazu der rechte Mann. Sie sah, daß die Mütter heirathbarer Töchter ihn auszeichneten und daß er am Hofe wohl gelitten war. Das genügte ihr, ihn anzuziehen, und ihre Schönheit, ihre Jugend erleichterten ihr die Aufgabe um so mehr, als dem Grafen jener berechnende und selbstische Sinn, welcher Franziska eigen war, völlig fehlte. Er hatte sich, seinen Neigungen, seinen Träumen gelebt, er war ein glaubensvoller Schwärmer inmitten einer Gesellschaft, die nicht glaubte und schwärmte. Er hatte nur eine Befriedigung für sein Herz, nicht wie Fräulein de la Roche eine Stellung und eine gesicherte Zukunft für sich zu suchen. Er war Majoratsherr, sie die jüngste Tochter einer adelstolzen Familie, deren Grundbesitz gleichfalls ein Majorat war, und deren übriges Vermögen eben nur hinreichte, den jüngeren Söhnen ein standesgemäßes Auftreten und für die Töchter eine anständige Mitgift zu ermöglichen. Graf Joseph gab sich Franziska’s Bewerbung arglos hin, er fühlte sich von ihr gefesselt, und bald liebte er sie mit der vollen Hingebung, mit dem schrankenlosen Vertrauen der ersten Liebe. Aber gerade das idyllische, das romantische Element in seinem Herzen, die Pläne, welche er für seine Zukunft an der Seite eines geliebten Weibes entworfen hatten, trennten Franziska von ihm. Sie fand sich zu jung und zu schön, um ihr Leben in dem einsamen Schlosse eines unwirthlichen Gebirgslandes hinzubringen, und kaum eröffnete die Galanterie des Marquis von Vieillemarin ihr die Aussicht, als Cousine der Herzogin in ihrer eben angetretenen Stellung neben der Königin bleiben zu können, als sie ihre Absicht auf den Grafen aufgab und sich nur noch demüthiger und fester an die Herzogin anschloß.

Franziska de la Roche wurde Marquise von Vieillemarin. Sie hatte den Grafen getäuscht und ihn ihrem Ehrgeiz geopfert, sie täuschte auch ihren Gatten und die Herzogin, und wußte es doch allen Dreien unmöglich zu machen, daß man sie aufgeben, sich von ihr frei machen und sie bloßstellen konnte. Sie nannte sich gegen den Grafen ein Werkzeug in den Händen ihrer Familie, sie betheuerte ihm, daß seine Liebe ihr Glück gewesen wäre, daß seine Freundschaft ihr einziger Trost in dem Unglück ihrer Ehe, daß er ihr unentbehrlich sei. Sie reizte heute seine Liebe und morgen seine Eifersucht auf, sie nahm sein Mitleid, seine Großmuth, seinen männlichen Freundesschutz in Anspruch; sie wußte, um es mit einem Worte zu bezeichnen, Herr über seine Gedanken und Empfindungen zu bleiben, sie nahm ihm Ruhe, Frieden und Zukunft, sie gönnte ihm die Freiheit nicht, nach welcher sie ihn oft verlangen sah. Die Liebe, die ausdauernde Treue und Freundschaft eines Mannes von fleckenloser Ehre waren schon nach wenig Jahren für die Marquise ein fester Anhalt und ein schützendes Panier, die sie nicht entbehren wollte und nicht wohl entbehren konnte, da ihre Stellung am Hofe allmählich eine bedenkliche geworden war.

Die Herzogin haßte Franziska, denn sie hatte sich in allen den Voraussetzungen betrogen, unter denen sie dieselbe zur Gattin für ihren Vetter ausersehen. Sie war der Zuversicht gewesen, das kluge, einfach erzogene Fräulein werde den leichtsinnigen Marquis an Ordnung gewöhnen und ihn von seinen verschwenderischen Neigungen zurückzubringen verstehen. Sie hatte darauf gerechnet, in ihrer jungen Verwandten auch künftig die fügsame Ergebenheit wieder zu finden und von ihrer feinen Beobachtung nach wie vor Vortheil zu ziehen. Indeß die Marquise hatte nur eben erst den Boden unter ihren Füßen gewonnen, auf welchem sie stehen konnte, als sie auch bereits für eigene Rechnung zu arbeiten begann. Sie ließ ihren Gatten ruhig gewähren, denn die Freiheit, welche sie ihm zugestand, wünschte sie auch für sich selber in Anspruch zu nehmen, und statt ein Werkzeug der Herzogin zu werden, ward sie bald dreist genug, an eine Nebenbuhlerschaft mit ihrer hoch in Gunsten stehenden Verwandten zu denken.

Auf diese Weise war zwischen den beiden Frauen ein heimlicher Kampf entbrannt, dessen Erfolg nicht lange zweifelhaft geblieben sein würde, hätte die Herzogin nicht bei Allem, was sie gegen die Marquise unternahm, die Rücksicht auf ihres Neffen Ehre, auf die Ehre ihres eigenen Hauses zu nehmen gehabt. Indeß Franziska mißbrauchte mit der ihr eigenen Keckheit die Schonung, welche die Herzogin ihr angedeihen ließ, bis diese endlich, mehr und mehr gereizt, ein Ende zu machen beschloß, bei welchem Franziska eben der Familienehre geopfert werden sollte.

Wen man in eine Falle zu verlocken wünscht, den muß man vor allen Dingen den Weg verfolgen lassen, welcher ihn zu derselben führt, und die Schranken und Stützen forträumen, die ihn zurückhalten und an welche er sich lehnen könnte. So hatte denn auch die Herzogin bald leichthin ermahnend, bald entschuldigend der Verschwendung und den galanten Abenteuern ihrer jungen Cousine zugesehen, ja sie hatte derselben stets das Wort geredet, wenn hier und da eine mißbilligende Bemerkung gegen die schöne Marquise laut geworden war; denn wer konnte an Franziska glauben, wer konnte nach dieser von der Herzogin befolgten Vorsicht Franziska in Schutz zu nehmen denken, wenn die Frau, welche sich stets als ihre Freundin und Gönnerin gezeigt hatte, sich einst gegen sie erhob? Wer konnte sich der Marquise annehmen, als der Graf von Rottenbuel in seiner schwärmerischen Ritterlichkeit – und eben diese beschloß die Herzogin jetzt zu gebrauchen, um Franziska zu verderben, denn die verwegene Eitelkeit der jungen Frau war bereits zu einer für die Herzogin bedrohlichen Höhe emporgewachsen.

Die Herzogin genoß außer dem vollen Vertrauen der Königin auch die Freundschaft des Grafen von Artois. Sie hatte ihren Vetter, den Marquis von Vieillemarin, durch die Heirath mit Franziska an den Hofstaat der Königin attachirt, und ihren Neffen, den Chevalier von Lagnac, früh in die unmittelbare Nähe des Grafen von Artois gebracht, um ihres Einflusses und ihrer Herrschaft an beiden Hofstaaten sicher zu bleiben. Aber Franziska’s

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_034.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)