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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

wo der Mann des Volkes nach der Bedeutung solcher Ausdrücke im Wörterbuche suchen muß. Ein Staatsbürger darf kein Kind sein, und eine „verwaiste Nation“ ist ein Unding. –

Neben jenen selbstsüchtigen Motiven wandte aber ein wirklicher Herzenszug das Volk dem Fürstenhause zu: es war stolz auf dasselbe. Wie es dem Einzelnen nicht gleichgültig ist, ob der, von dem er in seinem Lebensberufe abhängt, als eine ansprechende und ehrenwerthe Persönlichkeit dasteht, oder ein mißrathenes Wesen ist, so geht es den Völkern mit ihren Herrschergeschlechtern. „Des Volkes Freude ist – ein Mann.“ Die Prinzen des Hauses Coburg. hatten sich in den Kämpfen gegen Frankreich als Männer bewährt, alle hatten persönliche Tapferkeit bewiesen, dazu zeigten sie sich dem Volke mit aufrichtiger Leutseligkeit, von gutem Gemüthe und waren leiblich gelungene prächtige Menschenbilder, deren Anblick dem Auge wohl that. – Je weniger Großartiges, durch geschichtliches Ansehen Erhebendes einem Völkchen sein Staatswesen bietet, um so mehr schrumpft der Ehrgeiz, der eine Nation für die Sache des Vaterlandes erfüllt, bei ihm zur Eitelkeit auf die Person des Fürsten zusammen. Das gehört auch zum patriarchalischen Staat des kleinen Formates.

Das an sich der Fröhlichkeit wohlgeneigte Coburger Völkchen war schon durch des Herzogs Vermählung selbst in eine Festtagstimmung versetzt, aber erst der Anblick der Jugend und Schönheit der Herzogin vollendete die allgemeine Glückseligkeit des Tags. Sie war mit ihrem ersten Gruß ein Liebling des Volks geworden.

Es ist bei dem engen Zusammenleben von Fürst und Volk im Kleinstaate eine fernere patriarchalische Eigenthümlichkeit, daß die fürstliche Familie gleichsam zu jeder einzelnen im ganzen Lande gehört, so genau kennt man sie, so viel und angelegentlich beschäftigt sich die öffentliche und häusliche Unterhaltung mit ihr. Je kleiner der Ort, desto mehr nennt man sich nur beim Vornamen. Beide Erscheinungen sind verwandt. Ebenso steht aber auch mit dieser Theilnahme des Volkes für den Hof der Einfluß des Hofes auf das Volk in Wechselwirkung. Ein edles Beispiel im Fürstenschlosse wirkt veredelnd auf das ganze Land, aber um so verderblicher kann sein Gegentheil wirken. Ist nun die Freude des Volkes am guten Beispiele gerechtfertigt, wer will ihm seinen Zorn über ein schlimmes als Schuld anrechnen?

Ein schöneres Bild von Familienglück, als von jenem 7. August an auf dem bekannten Lustschlosse Rosenau erblühte, ist kaum zu ersinnen. Da jagte eine Freude, eine Herrlichkeit die andere, nie und nirgends zeigte sich ein höfisches Absperren vom Volke. Wer’s kann, denkt heute noch gern zurück an den Landesjubel bei der Geburt des Erbprinzen Ernst und des Prinzen Albert; da brauchte nicht erst amtlich eine freiwillige Festbegehung angeordnet zu werden. Die harmlose Fröhlichkeit des Hofes theilte sich dem ganzen Lande mit. Wo etwas „los“ war, dahin kam man vom ganzen Lande, und man hatte nirgends sehr weit zu laufen, um hübsch beisammen zu sein. Wer denkt nicht noch an das glänzende Turnier auf dem grünen Plane vor der Rosenau, an die großen Jagden, maskirten Schlittenfahrten und gar die Rosenauer Kirmsen zur Heuernte, zu welchen aus allen Dörfern des Landes die schmucksten Paare von Burschen und Mädeln geladen waren? Da eröffnete den Tanz auf der Wiese die Herzogin mit einem Dorfburschen und der Herzog mit einem Bauermädel, und wer verargt’s den Alten, wenn sie seelenvergnügt zusahen, wie das junge Volk des Hofes und des Landes in herzhafter Lust durcheinander schwärmte? Es war, als hätten die jahrelangen Rosenauer Flitterwochen sich über das ganze Ländchen hingezogen.

Da kam der Frost in die Rosenblüthe. Zwischen die bis jetzt so einigen Herzen des jungen glücklichen Paares war ein Schatten gefallen, unter dem das schöne Bild des Rosenauer Glücks verkümmerte und endlich versank.

Es ist nicht immer gut, sich der Oeffentlichkeit gegenüber über gewisse Dinge unwissender zu stellen, als man ist, aber eben so wenig ist es nöthig, der Oeffentlichkeit noch einmal zu sagen, was sie schon weiß. – Der Wandel der Dinge war plötzlich und durchgreifend. War bisher, so lange die Eintracht waltete, das Leben am Hofe und im Volk und das Verhältniß zwischen beiden ehrlich und offen erschienen: so begann nun, unter dem Schatten, am Hof die Intrigue und im Volk das Gemunkel; es trafen sich gegenseitig scheue Blicke. Man flüsterte sich zu, daß die Herzogin am Gram über die Untreue ihres Gemahls leide, man sah sie oft einsam und weinend. Bald wurden Namen genannt, und das Volk vertheilte seinen Haß und seine Gunst. Ein Duell zwischen einem Oberst von Szymborsky und einem Kammerherrn von Thümmel (einem Sohn des einst berühmten Dichters, an dessen Grabsäule zu Neuseß bei Coburg schon Tausende vorübergefahren sind, ohne zu wissen, wer darunter liegt), den man als einen Anhänger der Herzogin schätzte, wurde mit diesem Zwiespalt in Verbindung gebracht. Endlich verlautete, daß die Herzogin unter Aufsicht stehe, weil ihr Gemahl sie in derselben Weise beargwohne, wie einst sein Vorfahr Johann Casimir seine unglückliche Gemahlin, die Herzogin Anna, deren tragisches Schicksal wir später erzählen. Im Herzen des Volkes war die Parallele fertig, und der Vergleich zwischen den Schicksalen der beiden Fürsten vergrößerte die Befürchtungen für den Ausgang des Unheils. Ein gesundes Volk wird nie die Schuld solcher Zwietracht auf das schwache Weib werfen; desto entschiedener warf es seinen Haß auf die Umgebung des Herzogs. Wie aber ehedem die Freude des Hofs über das ganze Land gegangen war, so war jetzt auch der Druck auf den Herzen ein allgemeiner.

Da traten plötzlich, am 28. August 1824, einem Sonnabend und Wochenmarkttag, verschiedene Gerüchte lauter hervor. Das eine lautete, die Herzogin solle nach Saalfeld gebracht und ihr das dortige Schloß zum Aufenthalt angewiesen werden, das andere, sie werde nach Gotha (zu ihren Eltern) gehen, weil man von einer zeitweiligen Trennung der Ehegatten das Beste für ihre Wiederversöhnung hoffe, ein drittes erklärte das Alles für erlogen und behauptete, es seien für die Herzogin Zimmer auf der Festung (Veste Coburg) hergerichtet, auf welcher auch die unglückliche Anna den größten Theil ihres Lebens in harter Gefangenschaft vertrauert hatte.

Der Sonnabend verging gleichwohl ruhig, das Landvolk zog am Nachmittag zu allen Thoren hinaus wieder heim. Desto lebendiger wurde es nun in der Stadt. Man hatte gegen Abend wirklich die Herzogin im Reisewagen und mit Gefolge aus dem Schlosse zu Coburg nach der Rosenau fahren sehen. Von Wirthshaus zu Wirthshaus, wo am Abend nach Landessitte jeder Mann zu finden ist, ging wie ein Flugfeuer diese Nachricht, von allen Gerüchten behauptete sich nun das Saalfelder am festesten, und zugleich wurde der Ruf laut: daß die Bürger es nicht so weit kommen lassen dürften, daß es ihre Pflicht sei, die Herzogin selbst in das Residenzschloß zurück zu bringen, und daß man damit am sichersten den Frieden im Fürstenhause wieder herbeiführe. Die Aufregung war groß, die Nacht dennoch ruhig.

Anders am Morgen des 29. August. Sicherlich trug die Macht des Sonntags auf die Gemüther dazu bei, daß der Tag so schön endete. – In aller Frühe traten in den Straßen erst einzelne, dann immer dichtere Gruppen zusammen und schlugen den Weg nach der Rosenau (eine Stunde von Coburg) ein, bis gegen Mittag der Bach zum Strome ward. Während es auch in den Hauptstraßen der Stadt unruhig auf und ab wogte, waren auf der Rosenau angesehene Bürger indeß zum Werke geschritten. Eine Deputation hatte, vom unablässigen Hochrufen der Menge vor dem Schlosse unterstützt, der Herzogin die Bitte um Rückkehr in die Stadt vorgetragen. Die tiefbewegte Fürstin konnte dem betäubenden Andrang der alten Herzlichkeit des Volks nicht widerstehen, sie ergab sich dem allgemeinen Willen, der Speisewagen fuhr vor, und begleitet vom Jubel der Bürger und der Bauern, die von den umliegenden Dörfern herbeigeeilt waren, begann die Heimkehr. Zwischen der Rosenau und Coburg liegt ein Dörfchen, Dörfles. Dort mußte die Herzogin es dulden, daß die Pferde abgespannt und große Seile an den Wagen befestigt wurden, nach welchen rasch Hunderte von Händen langten, um die Fürstin selbst in die Stadt zurückzuziehen.

Kaum war die Nachricht von diesen Vorgängen nach Coburg gelangt, so ging der Ruf: „Die Herzogin kommt!“ durch alle Straßen, und wer noch mit gesunden Beinen gezögert hatte, der eilte jetzt dem Zuge entgegen. Und nun erzähle ich aus eigener Erinnerung. Ich war damals ein elfjähriger Junge, also alt genug, um „auch dabei“ zu sein.

Ich erreichte den Zug auf der Straße beim „Neuen Bau“ (die jetzige Caserne), drängte mich durch die Menge und erhaschte das Seil; es überkam mich ein großes unbekanntes Gefühl, als ich daran fest hielt und zwischen den erwachsenen Leuten mit fort trollte. Noch mächtiger regte sich dies, als wir die Stadt erreichten und ich sah, was da in wenigen Augenblicken geschehen war. Alle Häuser der Straßen, durch die wir nun zogen, im Heiligkreuz, auf dem Steinweg, in der Spittelgasse, auf dem Markt, in der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_042.jpg&oldid=- (Version vom 22.7.2020)