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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Eile davon fuhr und so den Gegenstand der Rache der empörten Menge entzog. Das geschah gegen 4 Uhr des Nachmittags.

Mit der Entfernung des Obersten von Szymborsky endete diese Bewegung in der Stadt und im Lande Coburg. Es wäre kaum nöthig gewesen, die üblichen Maßregeln für unruhige Zeiten noch nachträglich anzuwenden, die Landleute verliefen sich gegen Abend nach allen Richtungen, und die Stadt bot schon am nächsten Tage keinen andern Anblick, als den gewöhnlichen ihres bürgerlichen Verkehrs. Die Ruhe ward auch nicht gestört, als einige Tage später, am 2. September, die Herzogin Louise die Stadt und das Land wirklich und für immer verließ. Und es ist wiederum ein echt patriarchalisches Zeichen des damaligen coburgischen Staatslebens, daß über diese drei Tage, deren Denkwürdigkeit für das Land insbesondere wie für das deutsche Kleinstaatsleben im Allgemeinen Niemand anzweifeln kann, keine Zeile Gedrucktes zu finden ist; keine der Chroniken berührt diese Begebenheit mit einem Worte. Nur in einer derselben stehen die zwei unschuldigen Zeilen: „Den 2. September ging Frau Herzogin Louise nach St. Wendel im Fürstenthume Lichtenberg ab,“ deren Bedeutung der auswärtige und in wenigen Jahren selbst der inländische Leser jener Chronik erst durch diese Mittheilung verstehen wird.

Die Herzogin Louise nahm ihren Wohnsitz in St. Wendel, dem Hauptorte des damals zu Coburg-Saalfeld gehörigen Fürstenthums Lichtenberg. Im Jahr 1826 erfolgte die Scheidung der fürstlichen Ehegatten. Die Herzogin vermählte sich hierauf mit einem Grafen Pölzig und starb auf einer Reise zu Paris am 30. August 1831. Der Herr von Szymborsky starb in dem Dörfchen Eckersdorf bei Baireuth, Moritz von Thümmel im Irrenhause zu Gotha. Das im Leben getrennte fürstliche Ehepaar ruht nun in der gemeinsamen Gruft, deren goldenes Kreuz in den Itzgrund leuchtet, und selbst von dem Knabenpaar, dem der bittere Harm jener Tage unvertilgbar in das Kindesherz fallen mußte, ist Prinz Albert bereits heimgegangen. So lebt als einzige öffentliche Person jener Begebenheit nur noch Herzog Ernst II. von Coburg, der deutsche Fürst, welcher Mann genug ist, um nicht dadurch verletzt zu sein, daß das patriarchalische Schweigen über diesen Theil der Vergangenheit seines Hauses hiermit gebrochen ist.

Inwiefern aber die Zusammenstellung des Herzogs Ernst I. mit dem Herzog Johann Casimir aus einer Schmeichelei zur glänzenden und zur bittern Wahrheit geworden, das soll ein zweiter Artikel darthun.




Das ungarische „Waisenmädchenhaar“.

Von Dr. A. Kerner.


Mit großem Eifer hat man in neuerer Zeit der culturhistorischen Bedeutung mancher Pflanzenarten nachgespürt und insbesondere die Beziehungen verfolgt, in welchen die künstlerischen Erzeugnisse bei verschiedenen Racen und Stämmen zur Vegetation des heimischen Bodens stehen. Die diesfälligen Untersuchungen sind auch nicht ohne Erfolg geblieben und es zeigte sich, daß durch den Einfluß localer Pflanzenformen die Werke künstlerischen Schaffens bei den in verschiedenen Himmelsstrichen, lebenden Menschen allerdings eigenthümliche locale Färbungen erhielten, und daß die Anklänge an die Pflanzenwelt, welche wir in den Kunstschöpfungen der verschiedenen Stämme wahrnehmen, fast eben so mannigfaltig sind, wie die unzähligen bunten Pflanzenarten, welche die Vegetationsdecke von der reich gegliederten tropischen Zone bis hinauf zum kalten Himmel des Nordens zusammensetzen.

Es ist wohl leicht erklärlich, daß sich die Gebilde der Phantasie ganz anders bei dem gestalten mußten, der in seinem Mutterlande fortwährend das Bild der schlanken Palme vor Augen halte, als bei jenem, dein ein mit düsteren Nadelwäldern erfülltes Land zur Heimath ward, und daß sich bei dem in jeder Menschenbrust liegenden Drange, das Empfundene auch wieder nach außen darzustellen, das Gepräge der heimischen Natur auch in die Poesien und Lieder, ebenso wie in die Bilder und Bauwerke aller Völker, aller Zonen und Zeiten fast unbewußt hineindrängte. – Zunächst waren es natürlich die durch ihre imposante Erscheinung mehr anregenden Baumformen, welche auf die schöpferische Thätigkeit des Menschen Einfluß gewannen, und unter ihnen unstreitig die edle Form der Palme, die am häufigsten als Motiv benutzt wurde. Allüberall, wo diese Baumform auf schlanken Stammessäulen ihre immergrünen riesigen Blätterkronen entfaltet, tritt sie uns in den Kunstschöpfungen der Menschen entgegen, und wir finden sie ebensowohl in die wunderbaren architektonischen Werke, wie in die bilderreichen Poesien längst verschollener und noch lebender Völkerschaften innigst verflochten. – Neben der Palme erkennen wir aber auch noch zahlreiche andere Baumformen, die zu verschiedenen Racen in unzweifelhafter. Beziehung stehen. Der Schauplatz der Sagen und Märchen ist bei den im östlichen Karpathenzuge lebenden Romanen gewöhnlich der schattige Grund unter dem Laubdache eines alten Ahornbaumes; der wandernde Zigeuner schlägt sein Zelt wenn möglich unter einem Weidenbaume auf; der Deutsche nennt mit Stolz die Eiche den deutschen Baum und verherrlicht ihn in seinen Liedern und Gesängen; der Slave hat sich die Linde zu seinem Liebling auserwählt, – und so hat fast jeder Stamm und jede Race einen Lieblingsbaum, den sie mit Vorliebe behandelt und welchem sie eine gewisse Verehrung zollt, die sie aus alter grauer Zeit von den Voreltern überkommen und die unstreitig mit den einstigen religiösen Anschauungen und dem Cultus des Volkes im innigsten Zusammenhange steht.

Auch aus der Reihe der niederen Gewächse sind seit uralter Zeit gewisse Formen zu Lieblingen der Menschen geworden und haben sich in die Werke der schaffenden Kunst hineingedrängt. So finden wir als Ornament an den Bauwerken der alten Aegypter die reizende Lotosblume, eine in den Gewässern des Nils heimische und unseren Seerosen ähnliche Wasserpflanze, in Anwendung gebracht, während der von angebornem Schönheitsgefühl durchdrungene Grieche das elegante Blatt des in seinem Vaterlande häufigen distelähnlichen Akanthus zu gleichem Zwecke sich auserwählte, – und so ändern sich die Motive je nach den verschiedenen Ländern und Völkern und je nach den auffallenden Pflanzenformen, welche die wechselnden Himmelsstriche erzeugen.

Bemerkenswerth ist, daß insbesondere in der gemäßigten Zone die immergrünen Gewächse sich als die verbreitetsten und häufigsten Motive in die Producte des dichterischen Schaffens hineinflechten. In dem Wechsel der Jahreszeiten liegt dort eben ein eigenthümlicher Reiz, und das Erwachen der Natur im Lenze, sowie das allmähliche Einwintern und scheinbare Absterben im Herbste sind Erscheinungen, welche die Gemüthsseite des Menschen auf das Gewaltigste zu bewegen und zu ergreifen im Stande sind. Nichts lag daher dort näher, als immergrüne Gewächse und Immortellen, welche dem langen, alles pflanzliche Leben erstarrenden Winter zu trotzen scheinen, als Symbol der Unvergänglichkeit und Beständigkeit zu benutzen und die düstere Herbststimmung durch das Bild unvergänglichen Hoffnungsgrüns zu beschwichtigen. Die mit immergrünen Blättern bekleideten Ranken des Epheus und Sinngrüns, mit denen wir die Gräber unserer Lieben schmücken, sowie die wintergrünen dunklen Cypressen, welche von den Griechen an die letzte Ruhestätte gepflanzt wurden, sind darum auch ebenso wie der ewig frische Lorbeer und Myrtenstrauch mit den Poesien aller jener Völker, deren Land dem Wechsel der Jahreszeiten unterliegt, auf das Innigste verwebt.

Welche Motive mochte aber die Pflanzenwelt in den ebenen östlichen Pußten und Steppen darbieten, denen immergrüne Gewächse eben so fremd sind wie stolz ragende Baumformen, in welchen uns nirgends das Bild eines wintergünen Nadelwaldes erfrischend entgegentritt, in welchen kein Haidekraut, keine Stechpalme, kein Ephen, kein Rhododendron unter der weißen Schneedecke sein grünes Laubwerk hervordrängt und wo selbst unser immergrünes Sinngrün nur durch ein sommergrünes Gewächs vertreten ist, dessen Blätter und Blüthen schon unter den Strahlen der Junisonne vergilben und verdorren? An welche Pflanzenformen mochte sich dort in den weiten ungarischen Pußten die Phantasie anklammern, wo nicht nur der Winter des frischen lebendigen Grüns

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_044.jpg&oldid=- (Version vom 29.4.2020)