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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

geboren zu Großkayna in Thüringen den 14. Februar 1773, gefallen hier auf diesem Felde am Tage der Schlacht von Jena, den 14. October 1806.“

„Dem Gefallenen,“ spricht die dritte Seite, „errichtete treue Gattenliebe dies Denkmal und fand auf wundersame Weise ihren Tod, nach 52jähriger einsamer Wanderschaft ausruhen zu können an der Seite des Frühgeschiedenen.“

Von dieser wundersamen Weise, von dem Tode des sächsischen Officiers und von der Wiedervereinigung mit seiner Gattin hier auf diesem Grabe des Schlachtfeldes, davon wollen wir Euch nun erzählen.

Das Terrain, auf welchem das Denkmal steht und der sächsische Officier fiel, bildet die äußerste östliche Grenze des Schlachtfeldes und gerade einen der wundesten Flecke im ganzen Kampfe. Einige hundert Schritte links von dem Denkmale zieht sich ein Gehölz, das den poetischen Namen „die Thalfrau“ führt, bis nach dem auf der äußersten Spitze östlich liegenden Dorfe Rödigen. Entlang dieses Holzes und dann weiter nach Dornburg zu stand beim Beginn der Schlacht der sächsische General Holzendorf, welcher von dem commandirenden General Hohenlohe am Tage vorher abgeordnet war, nach Dornburg zu marschiren, um die dasigen Höhen zu besetzen. Man hatte Napoleon nicht die Verwegenheit zugetraut, daß er die Höhen vor Jena erklimmen und hier auf der Hochebene die Schlacht entgegen nehmen würde. Es war daher keine geringe Bestürzung, als man sich endlich davon überzeugen mußte, daß er es doch that und, ehe nun die bis nach Weimar hin und weiter zerstreute Armee sich sammeln konnte, schon gethan hatte. Zum Unglück war an jenem Morgen einer jener dichten Herbstnebel, wie sie noch jetzt an jener Stelle des Saalthals oft sich zeigen, der namentlich das Thal drunten ganz den Blicken verbarg und den Heraufzug der Feinde nicht eher erkennen ließ, als bis die tönende Sprache des Erzes von seiner Anwesenheit Kunde gab. So erging’s namentlich den bei dem Dorfe Rödigen stehenden Sachsen. Lassen wir hierüber einen Augenzeugen reden. Es ist ein kleines gekrümmtes Männchen, das langsam an seinem Stabe heranhumpelt, es grüßt schon von Weitem mit seinem Tuchkäppelchen. Seine Hände zittern und können kaum den Stab halten. Die Augen sind, wie oft bei alten Leuten, geröthet und thränend, noch ist aber das Haar nur wenig grau, und munter die Zunge.

Das Denkmal bei Rödigen.

Es ist der alte Putsche von Rödigen, ein hoher Achtziger, er hat den Officier noch mit begraben. Er läßt sich auf eine der dort stehenden Ruhebänke nieder und erzählt, während drüben vom Dorfe lustige Musik zur Kirmeß aufspielt:

„Ich und mein Nachbar Christian Künzel wir waren am Morgen des vierzehnten allein noch im Dorfe, alle Anderen waren mit ihrer Habe hinunter nach der Neuengönne geflüchtet und hatten in den dortigen Schluchten sich verborgen. Da kam etliche Mannschaft in’s Dorf und begehrte sechs Mann aus dem Dorfe zu Führern. Da Niemand, wie gesagt, weiter im Dorfe war, so mußten sie sich mit uns Beiden begnügen, und wir wurden hierauf zu dem Regiment geführt. Der General breitete eine Karte aus und frug uns nach den naheliegenden Ortschaften. Dann hieß es plötzlich: „Boten vor!“ und nun sollten wir vorn an der Front in den Nebel hinein die Truppen dem Feinde entgegenführen. Aber die Franzosen waren uns ja schon ganz nah, und ehe wir nur ein paar Schritt in den Nebel thaten, kamen uns schon geschlagene Preußen entgegen. „Die grünen Husaren retiriren!“ erscholl’s plötzlich, und diese kamen nun auch schon gesprengt, und unsere Truppe machte Kehrt, warf die Gewehre zum Theil hin und schloß sich der Retirade an. Wir aber retirirten gleichfalls nach Hause. Da stürzte denn auch, das habe ich noch gesehen, der hier begrabene Cavallerieofficier, nachdem sein Pferd tödtlich getroffen, zu Boden, und über Roß und Reiter flog der Sturm der Flüchtigen. Das Regiment, dem ich vorausgehen sollte, hatte keinen Schuß gethan. Sie waren ja Alle verrathen und verkauft. Das französische Gold“ – und noch mehr murmelte der Alte vor sich hin, seine Hände zitterten heftiger, unwillig wandte er den Kopf hin und her. Es ist in der That ein in dasiger Gegend und unter den Veteranen jener Zeit verbreitetes Gerücht, daß Verrath und Spionage den Ausgang jener unglückseligen Schlacht herbeigeführt hätten. Nun war es dazumal allerdings eine Zeit, da die Tugend und das Ehrgefühl in vielen Herzen begraben war, indeß wollen wir zur Ehre der deutschen und preußischen Nation glauben, daß jenes Gerücht eben nur ein Gerücht war und ist. Und wenn auch jener Pfarrer in W., der den Marschall Soult durch’s Rauhthal führte und damit gerade den bei Rödigen stehenden Truppen die niederschlagende Ueberraschung bereitete, nicht die Kraft des Märtyrerthums in sich trug, wie jener schlichte Schäfer, von dem die Gartenlaube schon erzählt, so ward er wenigstens nicht freiwillig zum Verräther am Vaterlande. Immerhin aber erfüllt es das Herz mit heiligem Unwillen, erfahren zu müssen, daß durch größere Vorsicht und geringere Kopflosigkeit der einzelnen Heerführer jener Schlacht so leicht eine ganz andere Wendung hätte gegeben werden können. So flüchtete namentlich der bei Rödigen retirirende General Holzendorf eiligst über Stobra nach Apolda und verließ das Schlachtfeld ganz, anstatt sich nach dem bei Vierzehnheiligen stehenden Hauptheere zu wenden und den Feind in der Flanke anzugreifen, während nunmehr dieser die entblößte linke Flanke des Hauptheeres als eine höchst willkommene Gelegenheit, dasselbe zu umgehen, ergriff. Fast nur der geringste Vorwurf trifft dabei den vielgeschmähten Hauptcommandirenden, Fürst von Hohenlohe, der, wenn er auch von vornherein Zeit und Gelegenheit versäumt hatte, im Moment der Entscheidung durch höchste persönliche Bravour und Entschlossenheit sich auszeichnete und nur nicht das Glück hatte, wie neun Jahre später sein Camerad Wellington bei Belle-Alliance, einen wie der Blitz daherfahrenden Blücher, sondern nur einen General Rüchel zu besitzen, der trotzdem, daß ihm Bote auf Bote entgegengeschickt wurde, erst Nachmittags 3 Uhr und zu einer Zeit auf dem Schlachtfelde erschien, da schon Alles verloren und selbst die kühnste Tapferkeit ohnmächtig war.

Kehren wir indeß wieder zu unserm gefallenen Officier zurück. Auch ihm gebührt der Preis der Tapferkeit. Er hatte sich an die Spitze der grünen Husaren gesetzt, um eine vom Feinde

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_077.jpg&oldid=- (Version vom 12.1.2020)