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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

bereits genommene Batterie zurück zu erobern; der Versuch mißlang, und er büßte ihn obendrein mit dem Leben. „Am andern Morgen,“ fuhr der alte Putsche fort, „fanden wir, ich und der Nachbar Claus von Rödigen und der auch noch lebende alte Schorcht von Lehesten, ihn auf dem Felde an der Stelle, wo jetzt das Denkmal steht, liegen. Er war bis auf’s Aeußerste beraubt und geplündert. An den Strümpfen, die man ihm noch gelassen, fanden wir die Zeichen seines Namens, und dieselben führten dann zu seiner Entdeckung, den Leichnam selbst aber legten wir in einen tiefen Wasserriß, den daselbst die Erde gebildet hatte, und deckten ihn mit Erde und Steinen dürftig zu; wir hatten keine Zeit für ihn aufzuwenden, denn rings um uns her lag es voll Verwundeter, welche gräßlich stöhnten, und wir wurden aufgeboten, dieselben nach Jena in die Stadtkirche zu schaffen, die zu einem Lazareth umgestaltet war.“

Es fand sich nun, daß der Gefallene der obenerwähnte Freiherr von Bissing war. Derselbe war seit einigen Jahren verheirathet – und nun beginnt der andere Theil, die wahrhaft rührende Herzensgeschichte des Denkmals.

Die junge hinterlassene Wittwe des Officiers, Mariane Leopoldine Franziska geb. von Frankenberg-Ludwigsdorf, kam bereits im nächsten Jahre, um die Grabstätte ihres Gemahls zu besuchen. Sie veranlaßte die Gemeinde Rödigen, dahin sieben Linden zu setzen, und beauftragte den Einwohner Claus, gegen eine jährliche Gratifikation von drei Thaler die Pflege und den Schutz der Bäume zu besorgen. Die Linden wurden gepflanzt und wuchsen und gediehen über dem Grabe. Sie erzählten ihrem stillen, einsamen Schützling, wie die Schmach, die auf dem Schlachtfelde dort gesäet worden, noch größere Ernten im ganzen Vaterlande hielt, wie noch Mancher außer ihm ihr zum Opfer fiel, erzählten ihm aber auch, wie, da die Noth am größten, auch die Rettung am nächsten war, erzählten ihm von dem kalten, rauhen Winter, der am sechsten Jahrestage der Schlacht das Handwerk der Rache eröffnete, und als drüben auf der Straße gen Weimar zu ein einsamer Schlitten mit einem noch einsameren Manne im wohlbekannten schwarzen Hütchen vorüberjagte, da rauschte es wie das Brausen eines heiligen Zornes heiliger Rache durch ihre Aeste. Und als wieder ein Jahr um war, erzählten sie dem Schlummernden unter der Erde von der großen Retirade nach dem größten aller Siege. Dann aber waren sie lange Zeit stumm und still, denn es gab nicht viel zu erzählen in der stillen, traurigen Zeit, die nachher kam, da die Völker wieder heimgingen zu Pflug und Werkstatt und die Früchte ihrer Arbeit an die Fürsten und Herren abtraten, und diese dafür scheu und angstvoll ihre Regungen belauschten. Und wie da so Manches vergessen wurde, so wurden es auch die Linden. Der für ihre Unterhaltung ausgesetzte Lohn wurde schon nicht mehr gezahlt.

Da – nachdem ein halbes Jahrhundert über dem Haupte des Begrabenen vorübergerauscht war, sollte es anders werden. Noch lebte ja drinnen in Schlesien die Wittwe des Gefallenen. Sie hatte nach dem Tode des Erstgeliebten ihr Herz weiterem ehelichem Glücke verschlossen. Wie nun oft gerade im Alter sich ein Widerschein der Gefühle der Jugend zeigt, so war auch im Herzen der hochbetagten siebzigjährigen Frau mehr als je die Sehnsucht nach dem auf dem fernen einsamen Schlachtfelde Gebetteten wach gerufen worden und mit ihr auch wieder ein langgehegter Wunsch – dem im Dienste des Vaterlands und ihrer Liebe Gefallenen ein Denkmal zu setzen, und nicht minder der weitere Wunsch, einst im Tode an seiner Seite zu ruhen. Sie führte diesen Wünsch mit Hülfe eines befreundeten Officiers in Weimar aus. Das Denkmal steht errichtet. Es soll der Act der Enthüllung und Weihe vor sich gehen. Die hochbetagte Greisin drängt es, an der bedeutungsvollen Schlußhandlung ihres Lebens mit Theil zu nehmen. Der Gedanke belebt neu die müden Lebenskräfte; sie meint sich stark genug zu der weiten Reise an die Grabstätte des Gemahls. Kinder und Enkel begleiten sie. Schon hat sie das heimische Schlesien hinter sich und steigt in Dresden frischen Muthes in den Wagen, der sie dem Ziele ihrer Hoffnung näher bringen soll; als aber in Riesa der Bahnzug anhält – ist sie still und leis hinüber geschlummert in die Heimath des Geliebten, wo immer der Zug ihrer Gedanken geweilt. Man kehrte mit der Entseelten nicht zurück. Treu dem Wunsche fuhr man mit der Todten weiter, um sie an die Seite dessen zu betten, der sie mit stiller Macht zu sich gezogen.

Es war ein heller heiterer Herbstabend, voll und klar schauten die Sterne hernieder, mitten drunter die geheimnißvolle Lichtsäule eines Kometen – es war im Jahre 1858 – als von Apolda herüber der vierspännige Leichenwagen, gefolgt von einem langen Conduct, nach der Stätte sich hinbewegte, wo unter den ragenden Linden das verhüllte Denkmal stand. Ueberall, wo er das Weichbild eines Dorfes betrat, klangen vom Kirchlein hernieder die Glocken und mehrte sich der andachtsvolle Zug. Ein Musikchor schloß sich an, und voll Weh und Trost zugleich drang durch die nächtliche Stille die alte Melodie des Grabes: „Jesus meine Zuversicht“. Ein Sängerchor benachbarter Lehrer sang das Lied: „Vom Wiedersehn“. Weither von Jena und Apolda hatte sich eine große Menschenmenge versammelt, der Andacht geheimnisvollstes Schweigen lag auf derselben, als die schützende Hülle von dem Denkmale fiel, als dasselbe dastand in seiner blendenden Helle, beleuchtet vom gespenstischen Scheine der Fackeln, und es schien, als ob es sich geisterhaft aus demselben erhöbe, grüßend mit dem bleichen blutigen Haupte und mit den blassen welken Armen sich sehnend ausstreckend, die in Empfang zu nehmen, die sich ihm nahte, nicht in der Schönheit blühender Jugendfrische und wie am Tage des Scheidens vor zweiundfünfzig Jahren, nein, ebenso welk und todt und starr, bedeckt von der schwarzen Hülle des Todes. Und als nun unter der Rede und Einsegnung des Ortsgeistlichen die entseelte Frau des Kriegers gleich neben dem schlummernden Geliebten hinabgesenkt wurde, als sie sich vollendete, die Geisterumarmung, und es dahin rauschte durch die Nacht: „Auferstehn, ja auferstehn!“ da flossen die Wogen heilig schauernder Andacht hin über das steinige Blachfeld. Da oben aber am Himmel stand ruhig der räthselhafte, blinkende Verkünder des Krieges, als sei auch er aus unbekannter Ferne zu der Feier geladen, die im Kriege ihren Anfang und im Frieden ihr Ende gefunden.

Und so liegt sie zur Seite des ersehnten Freundes, und die Tragödie des Schlachtfeldes fand an der Stelle einen Abschluß rührendster Versöhnung.

Das ist die Geschichte des Denkmals von Rödigen: eine Geschichte deutscher Schmach, deutscher Liebe und deutscher Treue.

Fr Hbg.

Eine dunkle Geschichte.
Nach mündlicher Ueberlieferung.
Von I. E. Mand.
(Schluß.)


„Halloh!“ rief Graf Detlev und sprengte vollen Laufes davon; ihm folgte zunächst sein Bruder, der am obern Ende des Kreuzweges postirt war, und „Halloh“ rief vor ihnen Hans Björne. Die weit verstreuten Jäger folgten, so rasch sie konnten, und drangen von verschiedenen Seiten in den Wald. Mehrere Schüsse fielen fast zu gleicher Zeit; der Hirsch aber, nur leicht gestreift, brach plötzlich nach dem See zu hervor, und ihm folgte, einer der Ersten, Graf Adolph, und mehr seitwärts aus dem Dickicht kommend, Hans Björne, geisterbleichen Angesichts, aber weiterstürmend, der übrigen wilden Jagd nach.

Wo aber war Graf Detlev? Unter einer mächtigen Buche des Waldes, auf schwellendem Moose lag er in tiefer Todesohnmacht, indeß Welle auf Welle des purpurrothen Lebensstroms dem Herzen des edlen jungen Mannes entquoll.

„Das war Hans Björne’s Kugel! “ flüsterten die erblassenden Lippen. „O Clara – Clara!“ und damit schlossen sie sich auf ewig.

Der Morgenwind rauschte in den Zweigen, und die bunten Blätter fielen hernieder, leise, leise, und deckten ihn zu, indeß die Waldtaube ihr melancholisches Gurren zum Schlaflied anstimmte.

Durchbohrt von tödtlichen Kugeln hatte der schwimmende Hirsch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_078.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)