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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Straße davon, seinen Schritt bald in einen scharfen Trab verwandelnd, bis der ihn umgebende Wald ein Ende nahm, die Gegend sich frei vor seinen Augen ausbreitete und er mit keuchendem Athem stehen blieb. Gerade vor sich konnte er in die auflodernden Flammen hineinsehen; es waren nur drei oder vier Häuser, welche brannten, und deutlich ließ sich bemerken, daß der nächste Umkreis keine weitere Nahrung für das Feuer bot; aber es schienen dem immer neu erfolgenden Auflohen nach massenhaft aufgespeicherte Vorräthe zu sein, welche der Vernichtung geweiht wurden. Der Ausdruck einer fast wilden Erbitterung breitete sich indem Gesichte des Knaben aus, und die kräftigen, hartgearbeiteten Hände ballten sich. „O, wenn ich älter wäre –!“ murmelte er, „sie haben alle kein rechtes Herz in der Stadt und lassen sich von einer Handvoll amerikanischer Rowdies in Schrecken halten – Fred Minner ist noch der Einzige unter den Deutschen, an den sich Keins von dem Räubergesindel wagt, aber er kann es allein nicht zwingen –“

Mit einer Miene voll Bitterkeit, die fast über sein Alter ging, verfolgte er die Straße, welche sich jetzt in leichter Biegung von der Brandstätte hinwegzog, scharfen Schrittes weiter, bis die von dem Feuer matt gerötheten Außengebände der „Stadt,“ – eine Bezeichnung, die für eine ungepflasterte Straße von vierzig oder fünfzig Holzhäusern eben nur in Amerika möglich ist – vor ihm auftauchten.

Es war die Zeit, als mehrere Monate vorher der größere Theil der Sclavenstaaten Nordamerika’s sich von der Union losgesagt, Jefferson Davis zum Präsidenten der neuen Conföderation gewählt worden, war und der Gouverneur Jackson von Missouri vergebens alle Minen hatte springen lassen, um auch seinen Staat zum Anschluß an die neugebildete südliche Bundesrepublik zu vermögen. Die einberufene Staats-Convention von Missouri hatte sich gegen jeden Treubruch an der Union erklärt, und Gouverneur Jackson war zur Einsicht gelangt, daß die „Secession“ oder Abtrennung Missouri’s von dem bisherigen Verbände mit dem Norden nur durch offen erklärten Krieg gegen alle unionstreuen Bürger im Staale möglich gemacht werden könne. Auf den Raufboldgeist, der einen Grundzug im gesammten Amerikanerthum bildet, auf das specifisch südliche Gefühl der Sclavenhalter und deren Anhänger, wie auf den instinctmäßigen Haß gegen die zahlreichen deutschen Eingewanderten, welche eifrige Verfechter der „freien Arbeit“ und jetzt enthusiastische Anhänger der gefährdeten Union waren, sich stützend, hatte er die gesammte amerikanische Bevölkerung des Staates zu den Waffen gerufen, um Missouri von der „Oberherrschaft des Nordens“ zu befreien – er selbst war nach diesem Acte aus dem Regierungssitze, Jefferson-City, in das Innere des Landes zurückgewichen, die Stadt vorläufig der Unionsstreitmacht preisgebend, welche sich in St. Louis fast ausschließlich aus Deutschen gebildet hatte, und in den südlich und westlich gelegenen ungeschützten Theilen des Staats begannen jetzt, dem Aufrufe des Gouverneurs gemäß, sich Banden auf Banden von „Secessionisten“ zusammenzurotten, alles herren-, geschäfts- und gesetzlose Gesindel an sich ziehend und bald in größeren Massen unter einem Führer vereinigt, die Städte besetzend, alles der Unionsgesinnung Verdächtige brandschatzend und dann von Haus und Hof treibend, bald in kleineren Rotten das flache Land durchstreifend, sengend und brennend, raubend und mordend. Noch waren bis dahin in der Nähe der Eisenbahnlinie von St. Louis nach Jefferson City, also fast unter dem Auge der zusammengetretenen Unionsstreitmacht, wenig wirkliche Gewaltthaten geschehen; nur die aus den rückwärts liegenden Gegenden nach St. Louis eilenden Flüchtigen und Vertriebenen, wie die mit jedem Tage sich steigernde Anmaßung und Unverschämtheit der „secessionistisch“ gesinnten Amerikaner, von denen oft zwanzig anrüchige, verwegene Charaktere eine ganze Bevölkerung ruhiger Deutschen im Schach zu halten vermochten, gaben hier eine Ahnung von dem allgemeinen Stande der Dinge. Und so war auch der kleine Ort Pleasant-Grove, wie er im amerikanischen Volksmunde hieß, noch ohne größere Beunruhigung geblieben, wenn sich auch seit mehreren Tagen bereits wiederholte Gerüchte über die Bildung räuberischer Secessionshorden in der Nähe verbreitet hatten, und das plötzliche Verschwinden einer Anzahl gefährlicher amerikanischer Charaktere den Nachrichten eine Art von Bestätigung lieh.

Als Bill in die Hauptstraße des Städtchens einbog, sah er, daß die ganze Bewohnerschaft sich in voller Aufregung befand. Vor den Thüren standen die Weiber und Kinder, mit ängstlichen Augen in das Feuer starrend, während die Mitte der Straße von starken Gruppen eifrig sprechender und debattirender Männer eingenommen ward. Der Bursche wand sich zwischen den einzelnen Haufen hindurch, bald einen Augenblick den fallenden Worten horchend, bald mit den Augen nach bekannten Zügen untersuchend, bis er endlich von einer Art Rede, welche in einer der lebendigsten Gruppen laut wurde, festgehalten zu werden schien.

„Ist Alles recht, daß wir für die Union einstehen sollen, und ich bin ein Unionsmann so gut als Einer; aber ich habe Frau und Kinder, an die ein rechtschaffener Familienvater denkt, ehe er sein Leben unnütz auf’s Spiel setzt, und was von Secessionisten hinterm Mühlberge und im Busche steckt, ist uns dreifach überlegen. Hätten sie uns übrigens zu Leibe gewollt, so würden unsere Häuser gerade so brennen wie die Mühle, und ich sehe nicht ein, warum wir die Menschen jetzt noch reizen sollen. Riese, der Müller, hat letzte Woche den Streit mit dem rothen Mulligan gehabt, den er wegen seiner Redensarten über die Deutschen niedergeschlagen hat – jetzt sieht er die Folgen. Es ist noch immer besser gewesen, derart Menschen aus dem Wege zu gehen!“

„Und so hat sich eine ganze Stadt voll deutscher Männer immer von zehn amerikanischen Rowdies geduldig in’s Gesicht schlagen lassen!“ ward Bill’s Stimme hörbar, der mit zuckenden Lippen die Friedensrede angehört. Alle Köpfe drehten sich nach dem Burschen, der Sprecher aber maß ihn einen Moment mit den Augen und sagte dann, sich geringschätzig wegwendend: „Jungen haben hier nicht mitzureden!“ Eine glühende Röthe schoß in Bill’s Gesicht; einen Augenblick schien er zu zaudern, seine Empfindung durchbrechen zu lassen; dann aber war er mit einem Schritte dicht vor des Sprechers Gesichte. „Jawohl, Jungen sollten auch nicht mitzusprechen haben,“ rief er, während die volle Erregung aus seinen Augen blitzte; „aber wenn Männer so feig reden, daß die Jungen sich schämen müssen, deutsch zu heißen, so lassen sie sich’s nicht wehren! Kommen Sie nur heran!“ fuhr er fort, beide Hände langsam ballend, als der Andere eine drohende Bewegung machte, „ich sage Ihnen doch die richtige Wahrheit in’s Gesicht. Wenn die Deutschen nicht vor jedem Schlage zurückwichen und den Rowdies Stand hielten, wenn sie jeden, der die Faust hebt oder das Messer zieht, bedienten, wie es der Müller Riese mit dem rothen Mulligan gethan, so gäb’s bald einen andern Respect vor den Deutschen –“

„Laß es gut sein, Bill!“ unterbrach ihn eine sonore Stimme, und eine Hand legte sich leicht auf seine Schulter, „Du hast Recht, aber damit ist jetzt nichts geholfen, und Du sollst nützlichere Arbeit haben!“ Und aufblickend sah Bill in das erhitzte Gesicht eines hochgewachsenen jungen Mannes, welches sich von ihm der umstehenden Menge zuwandte. Erst jetzt bemerkte der Bursche, wie rasch sich während seiner Worte der Kreis seiner Zuhörer erweitert hatte, sah, daß die Augen der halben Bewohnerschaft auf ihm ruhten, und seine Keckheit wich einer leichten Befangenheit, die indessen rasch schwand, als der so eben hinzugetretene Freund seine Hand kräftig faßte, um ihn an seiner Seite zu halten. „Ich bin eben so wenig als Andere dafür, Nachbarn,“ fuhr der Letztere gegen die Umstehenden gewandt fort, „daß wir jetzt an einen Angriff auf die Secessionisten denken, so zweckmäßig es auch wäre, dem Gesindel gleich eine tüchtige Lehre zu geben; aber wem Hab und Gut lieb ist, der denke an eine kräftige Vertheidigung. Der Rowdy ist feig, wo er auf rechten Muth trifft, und daß unsere Häuser nicht bereits ebenso brennen wie die Mühle, liegt nur darin, daß diese Räuberbande nicht sicher über den Empfang ist, den wir ihr bereiten könnten. Laßt das geringste Zeichen von Verzagtheit blicken, und sie werden über uns sein schlimmer als ein Heerde hungriger Wölfe. Wer mit mir die rasche Organisirung eines Widerstandes versuchen will, so lange es noch Zeit ist, der sei mit seinem Gewehre so schnell als möglich bei meinem Hause. Morgen früh, denke ich, werden wir Verstärkung haben, und so heißt es: während der Nacht tapfer auf dem Posten sein, damit die Hülfe nicht für uns zu spät komme!“

Der Sprecher schritt, den Burschen mit sich führend, rasch aus dem Haufen, in welchem sich jetzt ein wirres Durcheinander von Stimmen erhob, und wandte sich nach dem untern Theile der Straße. „Wirst Du wohl einen Auftrag von mir ausführen, Bill, wenn Du auch die Nacht über nicht schlafen kannst?“ fragte er.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_082.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)