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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

„Ich thue Alles für Sie, Fred!“ erwiderte der Angeredete, fast zärtlich zu dem jungen Manne aufblickend.

„Aber es könnte im schlimmen Falle Gefahr dabei sein!“

„Sie haben für meine Mutter gethan, was ich nicht konnte, Fred, und ich habe mich noch vor keiner Gefahr recht gefürchtet.“

„Gut, Bill, es handelt sich um uns Alle, und ich wüßte kaum, wem außer Dir den Auftrag anzuvertrauen. Wir müssen morgen früh eine Abtheilung Unions-Militair von Jefferson-City hier haben, oder können nur unserer gesammten Habe den Rücken kehren. Ich habe Nachricht, wie es andern deutschen Orten ergangen ist, und jedenfalls wartet die Bande, die hier in der Nähe liegt, nur darauf, sich beim Morgenlichte von unserer Stärke und Haltung zu überzeugen. Ich habe Bekannte in der Nähe des Commandirenden in Jefferson, und an einen derselben wirst Du einen Brief überbringen. Fällst Du aber unterwegs den Secessionisten in die Hände und sie entdecken das Schreiben bei Dir, so hängen sie Dich möglicherweise auf, Bill – ich muß Dir die Lage der Dinge in ihrem vollen Lichte zeigen. Kommst Du indessen glücklich durch, so kannst Du Dir sagen, daß Du unser Städtchen gerettet hast, und was von der Bewohnerschaft für Dich und Deine Mutter gethan werden kann, das wird geschehen. Zu Deinem Troste magst Du übrigens annehmen, daß ein kleiner Kerl wie Du nicht die halbe Gefahr läuft, die jeder Erwachsene zu bestehen hätte.“

Der Bursche nickte überlegend. „Ich kann mich nicht viel mit Umwegen abgeben, um Jemand auszuweichen, wenn ich zu rechter Zeit eintreffen soll,“ sagte er; „höchstens daß ich mich nach der Eisenbahn hinüberschlage. Aber sie werden mich nicht hängen, wenn ich auch wirklich unter sie gerathen sollte. Für alle Fälle versprechen Sie mir, Fred, daß Sie für meine Mutter sorgen wollen, und ich will die Sache unternehmen.“

„So lange ich noch etwas zu essen habe, soll’s ihr auch nicht fehlen, darauf nimm mein Wort!“ erwiderte der junge Mann, des Knaben Hand kräftig drückend, und Beide gingen raschern Schrittes schweigend weiter. Erst als Fred in den Hof neben einem neuen, freundlichen Hause einbog, fragte er: „Du kommst von Anderson’s Farm?“

„Yes, Sir! und es ist Alles recht wegen Miß Alice, so viel auch der Alte auf die deutschen Mistkäfer schimpft!“ war die Antwort. „Wenn ich nicht gehängt werde und Sie wollen einmal die junge Lady dem Alten vor der Nase wegholen, so rechnen Sie nur auf mich!“

„Still jetzt davon,“ erwiderte der junge Mann mit einem Blicke nach der Straße, wo bereits einzelne Männer mit Gewehren sich zu sammeln begannen, „wollte nur Gott, der morgende Tag wäre schon glücklich vorüber!“ Er öffnete rasch die Hinterthür des Hauses und schritt, von dem Knaben gefolgt, in das dunkele Innere.

Fünf Minuten darauf wanderte Bill schon mit schnellen Schritten wieder durch die belebte Straße nach dem entgegengesetzten Ende der Stadt, öffnete dort die Thür zu einem niedrigen Häuschen und stürmte in die sich unmittelbar nach der Straße öffnende Wohnstube. Am Fenster saß eine ältliche, gebeugte Frau, den Feuerschein beobachtend, und mit einem „Nur einen Augenblick, Mutter!“ schlang der Knabe seine Arme um ihren Hals.

„Was ist es, Willy?“ fragte sie, sich seiner stürmischen Liebkosung halb entziehend und seinen Kopf in beide Hände nehmend, während die mattbrennende Lampe eine deutlich ausgeprägte Sorge in ihrem weißen leidenden Gesichte beschien, „hast Du wieder Thorheiten mit Deiner Wildheit begangen?“

„Nichts, Mutter, und ich begehe überhaupt keine Thorheiten!“ erwiderte er, ihre Hände fassend. „Fred Minner sagt, ich heiße nicht umsonst „Hammer“, und so lasse ich mich nur nicht von Jedem zum Ambos machen. Jetzt aber habe ich einen Auftrag für den Fred zu besorgen und komme ich nicht sogleich wieder, so wird er immer nach Dir sehen – das war’s, was ich Dir sagen wollte!“ Damit hatte er von Neuem ihren Hals umschlungen, drückte zwei ungestüme Küsse auf ihren Mund und war im nächsten Momente bereits wieder zum Zimmer hinausgeeilt. Zehn Schritte vom Hause entfernt, wandte er noch einmal den Kopf zurück und sah die Frau durch das geöffnete Fenster wie in ängstlicher Sorge ihm nachblicken; er winkte ihr einen lustigen, beruhigenden Abschiedsgruß zu und bog dann in die letzte kurze Seitengasse, welche in der Richtung des Feuers in’s Freie führte, ein.

Vor ihm schlängelte sich, sobald er das letzte Haus erreicht, ein breiter Pfad nach der unglücklichen Mühle; rechts hinüber lag eine langgestreckte Anhöhe, dieselbe, welche er auf seinem Wege nach der Stadt passirt, und hierhin nahm er raschen Schritts seinen Weg über den unebenen Grasboden. Als er indessen auf die Fahrstraße traf, überschritt er diese und verfolgte seine bisherige Richtung, immer rechts hinüber, wo ihm eine weit hervortretende Waldecke in dem ungewissen Mondlichte dunkel entgegen blickte. Eine Zeitlang wanderte er, während seine Augen stets beobachtend die Gegend überliefen, rüstig vorwärts, bis die einzelnen Waldpartien sich deutlich vor seinen Augen abzuzeichnen begannen. Da kniete er nieder und legte eine kurze Weile das Ohr auf den Boden. Mit einem Nicken der Befriedigung erhob er sich wieder. „Hier herum sind sie nicht,“ murmelte er weiterschreitend, „und habe ich erst die Eisenbahn, so ist kaum noch Gefahr, auf sie zu treffen!“ Er verfolgte den Saum des Waldes, bis sich ihm eine schmale Oeffnung in den Gebüschen zeigte. Vorsichtig lauschend blieb er hier einige Secunden lang stehen, aber nicht ein fallendes Blatt störte die Todtenstille, welche über seiner Umgebung lag, und ohne weiteres Zögern schlug er den Waldpfad ein, welcher sich vor ihm öffnete.

Es war so dunkel hinter dem dichten Laubdache, daß nur die völligste Bekanntschaft mit dem Terrain ein rasches, ungehindertes Vorwärtsgehen ermöglichen konnte, aber Bill’s vorsichtig auftretender Fuß stockte nur, sobald irgend ein Geräusch zu seinem Ohre drang. Stets war es indessen nur ein fallender dürrer Ast, das Bersten der Rinde eines alten Stammes gewesen, das ihn erschreckt, und mit jeder Minute, die ihn mehr an das eigenthümliche nächtliche Leben des Waldes gewöhnte, schritt er zuversichtlicher vorwärts; demohngeachtet aber hob sich seine Brust mit einem tiefen, erleichternden Athemzuge, als er nach fast halbstündigem Marsche plötzlich das Mondlicht durch die Walddunkelheit dringen und gleich darauf eine freie, tiefe Schlucht seinen Weg unterbrechen sah. „Die Eisenbahn, Gottlob!“ murmelte er und klomm den Einschnitt nach den Schienen hinab. Ein vielbetretener Fußpfad lief hier neben dem Geleise hin, und rascheren Schritts nahm der Bursche die neue Richtung auf. Rechts und links begleitete ein dunkeler Wald die Bahn, aber das Mondviertel stand noch hoch genug, um Licht auf den Weg des Dahineilenden zu streuen; freundliche Gedanken traten in sein Gesicht, als er vor sich in den erhellten Streifen des Nachthimmels blickte, und bald begann er mit einer leise gesummten Melodie seine Schritte taktmäßig zu begleiten. Es schien auch seine Stimmung nicht zu trüben, als die Bahn eine Biegung machte und der über den Weg fallende Schatten der Bäume ihm jede Fernsicht benahm; seinen Gedanken hingegeben und in augenscheinlichem Sicherheitsgefühle wanderte er vorwärts, bis nach geraumer Weile ein plötzlicher Zuruf von der Höhe der Böschung ihn aufschreckte und seinen Schritt anhalten ließ.

„Steh ruhig da unten, wenn ich Dir nicht eine Ladung in die Beine schicken soll!“ klang es, als Bill bei dem Erblicken einer dunkeln Figur eine unwillkürliche Bewegung zur Umkehr machte, und die Erhöhung vom Walde herab stieg eine breitschultrige Männergestalt.

„Halloh, was giebt’s denn?“ erwiderte der Bursche, keck den Kopf hebend.

„Wirst’s gleich hören, mein Kerlchen!“ gab der Herannahende zurück und faßte Bill’s Schulter, diesen nach der Mondseite kehrend und scharf in sein Gesicht blickend, „willst Du mir wohl sagen, wo Du herkommst?“

„Von Mr. Anderson’s Farm,“ entgegnete der Befragte trotzig und machte zugleich einen kräftigen Versuch, seine Schulter dem Griffe des Andern zu entwinden; „ich lasse mich nicht so anfassen, Sir, ich brauche vor Niemand davonzulaufen!“

„Ruhig, mein Schäfchen, scheinst aus der richtigen Schule zu sein, mußt’s aber doch einmal leiden!“ lachte der Examinirende und grub mit eisernem Drucke seine Finger in Bill’s Fleisch.

„Und wo soll die Reise hingehen?“

„Sie werden mir den Knochen zerbrechen!“ rief Bill, die Zähne aufeinander beißend, aber ohne Zucken den Druck aushaltend.

„So, dann sträube Dich nicht, mein Herzblatt, und nun rede!“

Eine Secunde lang war der Knabe ungewiß, was zu antworten, eine Secunde, deren Pein sich nur in dem Zucken seiner Mundwinkel ausdrückte, aber sein Auge blieb fest auf das Gesicht des vor ihm Stehenden gerichtet. Sein Stolz hatte ihn noch niemals

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_083.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)