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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

eine Lüge sagen lassen, und auch jetzt fühlte er, daß jede Unwahrheit in seinen Mienen zu lesen sein würde. „Ich habe einen Auftrag zu besorgen,“ sagte er in seiner frühern trotzigen Weise, „und ich denke nicht, daß Jeder das Recht hat, mich auf der Straße anzuhalten und auszufragen!“

„Sprichst Dein Englisch recht gut, Kindchen, hast auch eine Manier, die mir ganz gefällt,“ entgegnete der Andere mit einem häßlichen Lächeln, „sehe Dir aber doch an, daß Du zu dem deutschen Sauerkraut gehörst. Wollen Dir einmal die Zunge lockermachen, und Du thust gut, wenn Du nicht zu starrköpfig bist. Es sind Kriegszeiten, mein kleines Füllen, wo nicht viel Umstände gemacht werden!“ Er setzte den Finger an den Mund und ließ einen scharfen Pfiff ertönen, der nach wenigen Secunden zwei andere rauhe Männergestalten aus den Büschen brachte.

„Ich denke, hier ist etwas nicht ganz richtig,“ rief diesen der Erstere zu, „das Kerlchen wollte gerade nach Jefferson-City hinauf, und ein Bischen eindringliches Befragen kann nicht schaden!“

Bill glaubte in diesem Augenblick sein Herz sich krampfhaft zusammenziehen zu fühlen. Sein Blick flog in Gedankenschnelle über die ganze Umgebung, um indessen nur die Unmöglichkeit einer Flucht zu erkennen. Die einzige Rettung hätte ihm der Wald gewähren können, ehe er aber eine der steilen Böschungen an beiden Seiten der Eisenbahn zu erklimmen vermocht, mußten ihn längst die nachgesandten Kugeln erreicht haben. Er fühlte sich an beiden Armen gefaßt, hörte den kurzen Wortaustausch zwischen seinen Feinden und sah sich dann rauh die Erhöhung nach dem Walde hinaufgeführt, ohne noch im Stande zu sein, einen Plan für sein Verhalten zu entwerfen; er erkannte die dringendste Nothwendigkeit, sich des ihm anvertrauten Briefs zu entledigen, aber seine beiden Arme waren festgehalten, und jede verdächtige Bewegung seinerseits konnte nur zu schnellerer Entdeckung seines Geheimnisses führen. Er war unsanft durch das Strauchwerk am Rande der Böschung gestoßen worden und ward jetzt zwischen hochstämmigen, spärlich stehenden Bäumen fortgeführt; schon nach fünfzig Schritten aber sah er hinter einer Gebüschpartie helles Feuer blitzen, hörte Stimmen und rohes Lachen, und kaum zwei Minuten nachher begann der eine seiner Führer die Zweige zu theilen und voran tretend den Gefangenen nach sich zu ziehen. Da stolperte dieser und wäre zu Boden gestürzt, wenn nicht der Vorangehende ihn mit einem Fluche wieder aufgerissen hätte, aber das Gebüsch hatte dem Burschen den Hut vom Kopfe gestreift und in die Dunkelheit seiner Blätter aufgenommen; Niemand als Bill selbst war es gewahr worden, und als dieser jetzt zwischen seinen Wächtern auf den freien, grasigen Platz, in dessen Mitte das Feuer brannte, heraustrat, glänzte es auf seinem Gesichte wie der Triumph über einen gelungenen Streich.

Es war ein wunderliches Bild, was sich in dem grellen Scheine des hell lodernden Feuers dem Auge bot. Wohl an fünfzig Männer mochten auf dem Boden umher lagern, aber ein eigenthümlicher Contrast zeigte sich zwischen den verschiedenen Gruppen. Während nahe dem Feuer ein Haufen wilder Gestalten lag, in deren Mitte ein spannendes Kartenspiel seinen Gang zu nehmen schien, und jede Wendung desselben von den Zuschauern mit Flüchen oder tollem Gelächter begleitet ward, während an einer andern Stelle eine kleinere Gruppe zwischen ausgestreckten Schläfern saß und in eifrigem Gespräche die Flasche kreisen ließ, hatte sich, mehr zur Seite, wo zwei Pferde zusammengekoppelt standen, eine Anzahl Männer auf untergelegten Decken niedergelassen, die ihrem Aeußern nach zur bessern Gesellschaft gehörten. Dort wurden Cigarren geraucht, und die Worte fielen in kaum anderer Weise, als es in jedem Besuchszimmer zulässig erschienen wäre. Nachlässig an einen Baumstamm gelehnt, in einer mit goldenen Tressen besetzten Uniform, eine Art grauer Militairmütze auf dem Kopfe und einen langen Cavalleriesäbel über die Kniee gelegt, saß dort ein gebräunter, bärtiger Mann, wie es schien, in einer Auseinandersetzung, der er mit kurzen, energischen Handbewegungen Nachdruck verlieh, gegen seine noch unmilitairisch bekleidete Umgebung begriffen, und dorthin ward jetzt Bill von seinen Begleitern geführt.

„Ein aufgefangener Vogel, Cornel[1], dem einmal unter die Flügel geschaut werden soll!“ rief einer der letzteren, den Gefangenen vorführend; „er war auf dem Wege nach Jefferson-City und scheint von Pleasant-Grove zu kommen!“

Der Mann in Uniform sah rasch auf, und die noch eben im Gespräche so gefällige Miene verwandelte sich in einen eigenthümlichen Zug des Hasses. Sein Blick überflog die kleine Gestalt und blieb zuletzt in den dunkeln Augen, des Vorgeführten hängen, die fest und furchtlos auf seinem Gesichte hafteten. „Du gehörst zu dem deutschen Ungeziefer und bist nach Jefferfon-City geschickt?“ fragte er in einem Tone, der jeden Widerspruch abschneiden zu wollen schien.

„Ich bin ein geborner Missourier und habe nichts mit Ungeziefer zu thun, Sir,“ war die kecke Antwort, „die Männer haben mich von der Eisenbahn hierher geschleppt, und ich weiß jetzt noch nicht weßhalb!“

„Und was hattest Du auf der Eisenbahn zu thun?“

„Ich habe einen Auftrag zu besorgen, den ich verschweigen soll,“ erwiderte der Bursche ohne Zögern, „und wenn ich hier mit Gentlemen zu thun habe, so werde ich nicht weiter darum gepeinigt; ich könnte ganz leicht zehn Lügen vorbringen, aber ich mag nicht!“

Der Officier sah dem Knaben mit einem finstern, durchdringenden Blicke, in welchem dennoch ein gewisses Behagen an seinen Worten durchschimmerte, in’s Gesicht und hob dann den Kopf nach der Menge rauher Gestalten, welche beim Beginn des Verhörs ihre Plätze verlassen und sich herbeigedrängt hatten. „Ist Einer von den Leuten von Pleasant-Grove hier?“ fragte er.

„O, wir kennen das Kind!“ wurde die höhnende Stimme eines sich vordrängenden Menschen laut, als habe dieser nur darauf gewartet, sein Wort anbringen zu können, „’s ist der Bill Hammer, und wenn das deutsche Volk in Pleasant-Grove einen Schlag beabsichtigt, so ist er gerade der Rechte, um mit Hand und Mund vorweg zu gehen.“

(Fortsetzung folgt.)
  1. corrumpirter Ausdruck für Colonel, Oberst.


Bilder aus dem Kaukasus.
Nr. 3.
In einem armenischen Hause in Bajazid.

Wir wandeln auf biblischem Boden. Als Noah nach dem Verrinnen der großen Fluth mit seinem zoologischen Cabinet auf dem Ararat, dem Archen-Berge, sitzen blieb, stiegen mit ihm aus Sem, Ham und Japhet, und Noah erfand den Wein, und seine Söhne bevölkerten von Neuem die Erde.

Der vierte Nachkomme Japhet’s, Haik, wohnte dem Thurmbau zu Babel bei, und als die große Verwirrung der Zungen begann, zog er mit dreihundert Getreuen seines Geschlechts in das Land zwischen dem Wansee und dem Ararat, und ward der Stammvater der Armenier, die sich auch nach ihm das Volk des Haik nannten.

Von diesem Mittelpunkte am Ararat erstreckten die Armenier ihre Herrschaft nach den drei großen Wassern hin, nach dem Schwarzen Meere, dem Kaspischen See und dem Mittelländischen Meere, und so bildet ihr Land noch heute ein Dreieck, von welchem ein Winkel an der Mündung des Kur, der andere an der Mündung des Rion und der dritte im Busen von Skanderun zu suchen ist. Dieses Dreieck mag wohl eine Größe von 5000 Quadratmeilen haben.

Armenien ist im Innern Hochland, im Ganzen Staffel- und Tafelland. Von allen Himmelsrichtungen betritt man dasselbe in Thallandschaften, hinter welchen die Höhen sich aufgipfeln, und zwar von den Thälern aus fast allenthalben mit einem steilen Rand. Von diesem Rand umzogen, breitet das Hochland sich aus; es wechselt von einer Höhe von 2600 bis zu 6000 Fuß (über dem Meere) und bildet wiederum die Basis für zweierlei neue Erhebungen: die Kegelberge und die sogenannten Plateauketten. Von letzteren ist ist die des Ala-Dagh die wichtigste, denn sie theilt dadurch, daß


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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_084.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)