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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

des Geistes und der Bildung ausgestatteten Mann, der in wünschenswertester Unabhängigkeit wissenschaftlichen und dichterischen Studien lebte, an der Seite seiner ebenfalls durch Geist und Schönheit ausgezeichneten jungen Gattin, in deren Besitz er nach viele Jahre langen Hindernissen, welche die vornehme Familie der Geliebten ihm entgegensetzte, erst vor Kurzem gelangt war. Man kannte kaum ein glücklicheres und schöneres Paar sehen. Ein schönes Kind auf den Armen der jugendlichen Mutter vollendete ihr Glück. Da brach das Jahr 1859 herein. Die Freunde des jungen Mannes eilten zu den Waffen, die meisten heimlich in’s sardinische Lager, denn noch erfüllten und beherrschten Oesterreichs Schaaren die Lombardei. Er wollte nicht zurückbleiben, obschon seine schwächliche Gesundheit ihn kaum zur Ertragung der Strapazen des Krieges befähigte. Die Verzweiflung seines jungen Weibes, deren schwärmerische Liebe zu dem geliebten Gatten ihren Patriotismus überwog, wandte Alles an, ihn zurück zu halten. Es gelang ihr. Er schrieb einem Freunde, daß er seinen Landaufenthalt verlassen und auf Bitten seiner Frau nach Mailand gehen werde. „Erhebt sich Mailand,“ schloß er seinen Brief, „so wird sich das Weitere von selbst finden, und meine geliebte V… wird dann selber einsehen, daß ich dann nicht mehr zurückbleiben darf!“

Es sollte anders kommen! Die Liebe, die ihn sich bewahren wollte, sollte ihn in den Tod stürzen. Die Schlacht von Magenta war geschlagen, die Oesterreicher retirirten nach Mailand. Um das alte Castell der Schanze lagen ihre Heerestrümmer zu kurzer Rast, umstanden von Neugierigen aller Art, von den Unterdrückten, die sich an der Noth und dem Unglück ihrer Dränger weideten. Ginarni war unter ihnen, der Weg zu seinem Hause, zu Weib und Kind hatte ihn über den Platz geführt. An einer Stelle, wo es ihm unmöglich war, durch die dichten Haufen der zuschauenden Massen zu dringen, wollte er seinen Weg quer über einen von Schildwachen besetzten Raum nehmen. Er hatte kaum die ersten Schritte gemacht, als der Anruf des wachestehenden Kroaten sein Ohr traf, dem im nächsten Augenblicke auf zehn Schritte die sichere Kugel folgte, die sein Herz durchbohrte und ihn entseelt zu Boden streckte. So brachte man ihn seiner angstvoll harrenden Gattin! – Wenige Tage darauf kam dieselbe mit ihrem Kinde zur Signora Benini. Zwischen Wahnsinn und Selbstmord gestellt, hatte sie ihren Entschluß gefaßt; sie übergab das Kind der Sorge der Verwandten und – begab sich als dienende Pflegerin in die Spitäler, um in der Pflege für die verwundeten und sterbenden Tausende der Krieger ihres Landes ihr Leben dem Dienste des Vaterlandes zu weihen!

Signora Benini führte uns hinab zu der ersten Terrasse des Gartens, wo in einer lichten, freundlichen, von Lorbeer und Myrthen umgebenen, kapellähnlichen Halle neben mehreren andern ähnlichen Denkmälern der Liebe auch sein Monument sich befand. Es zeigte in einem Marmorrelief die edlen, schönen, geistdurchleuchteten Züge des hingemordeten jungen Mannes, dessen Namen und Schicksal eine einfache Marmortafel berichtet und dessen Leib hier ruht an demselben Platze, wo er so oft und gern geweilt, und wo wir ihn noch vor drei Jahren glücklich und hoffnungsreich verließen. „Sie werden kaum eine Familie unseres Kreises in Mailand finden,“ sagte Signora Luisa, „die nicht mehr oder minder hart von den Ereignissen jener beiden Jahre getroffen wäre und die nicht mit irgend einem herben Verluste ihren Antheil an den Opfern für unseres Vaterlandes Erlösung dargebracht hätte.“ – Ihre beiden eignen Söhne, von denen der ältere jetzt sich zur Universität, der jüngere zum Militärstande vorbereitete, waren noch Knaben von fünfzehn und dreizehn Jahren, als der Kampf des Jahres 1859 begann. Eines Morgens war der jüngere mit einem wenig älteren Cameraden aus dem elterlichen Hause verschwunden. Er hatte sich Nachts in der elterlichen Barke mit seinem Cameraden ein paar Stunden weit den See hinauf gerudert und dort das Dampfschiff bestiegen, das ihn nach Como führte. Von da verlor sich seine Spur. Der geängsteten Mutter gelang es endlich, dieselbe aufzufinden. Sie traf den Flüchtling bereits eingekleidet im Feldlager Garibaldi’s. Der Chef des Stabes, an den sie sich wandte, beeilte sich, ihr den Flüchtling zuzuführen, der nur nach hartem Widerstreben und mit heißen Thränen der Mutter und nur unter der Bedingung zurückfolgte, daß man ihn nicht ferner abhalte, die militärische Laufbahn einzuschlagen. „Sie thun uns einen Dienst damit,“ sagte der Garibaldische Hauptmann zu der Mutter, die auch den Begleiter ihres Sohnes zurückzuholen beauftragt war, „daß Sie uns die Kinder abnehmen. Der General (Garibaldi),“ setzte er hinzu, „will zwar, daß man, um nicht die Begeisterung niederzuschlagen, keinen, der sich zum Kampfe meldet, abweise, sondern selbst Knaben einkleide. Aber nach einigen Märschen haben wir ein Spital voll kranker Kinder! Denn sie sind bei allem feurigen Enthusiasmus doch nicht fähig, die Anstrengungen unserer Züge auszuhalten, und hier der Camerad Ihres Sohnes wird schwerlich jemals dazu im Stande sein!“ – „Nun denn!“ rief der Knabe in zornige Thränen ausbrechend, „so laden Sie mich in ein Geschütz und schießen mich gegen die Oesterreicher, damit ich doch etwas dazu diene, ihnen Schaden zu thun!“ So lächerlich diese Worte ! klangen, so war doch der Schmerz und der flammende Patriotismus des Knaben von der Art, daß der alte Krieger demselben gerührt die Hand reichte, und ihn und seinen Cameraden mit einem: a rivederci fra due o tre anni! (Auf Wiedersehen in zwei oder drei Jahren!) entließ.





Carl Maria von Weber und sein Denkmal.

Eine Skizze von M. M. von Weber.[1]

Vor allen anderen Künstlern war Ernst Rietschel dazu berufen, das Standbild Carl Maria von Weber’s zu gestalten, denn die wenigen Saiten, die der Genius des Schönen gleichmäßig in der Brust des Bildhauers und des Musikers berührt, erklangen gewiß niemals harmonischer, als in den Werken Weber’s und Rietschel’s. Wie nie weiter zwischen einem Tonkünstler und Bildhauer begegnete sich ihr Streben in der Verlebendigung der Melodie der Bewegung, und während der eine in Tönen Menschengestalten unter uns wandeln ließ, gebot der andere seinen Menschengestalten mit allem Zauber der Formenbewegung zu tönen. Kein anderer Bildhauer wäre daher im Stande gewesen, dem Musiker das sehnsuchtsvolle Emporlauschen nach der Harmonie des Weltalls nachzufühlen, das Rietschel in der Weberstatue verkörpert hat, keiner wäre fähig gewesen, wie er, den romantischen Musiker so unverkennbar durch zwei kleine statuarische Accorde, eine leise Neigung des Hauptes, eine leichte Hebung der Hand, zu charakterisiren. Mag auch durch diese tiefe und feine Charakteristik, gerade weil sie so musikalisch bedeutsam ist, dem Standbilde Weber’s von Rietschel (das wir auf dem angefügten Blatte geben) etwas an statuarischem Werthe genommen worden sein, das Herz ergreift das Bild aber als der Weber, der er war, wie wir ihn kennen und lieb haben, und welchen ein Leben voll Künstlerlust und Qual bildete, dessen Austönen wir fast alle noch mit erlebten und auf das wir einen flüchtigen Blick werfen wollen.

Weber stammt aus einem süddeutschen Geschlecht, dessen Aeltervater, Johann Baptist Weber, 1622 in den Adelstand versetzt worden war. Reiche geistige Begabung, verknüpft mit einer gewissen Rastlosigkeit, war in der Familie erblich, deren Mitglieder sich sämmtlich in Feld, Rath, Kunst und Wissenschaft auszeichneten. In ausgeprägtester Form sammelten sich die Erbtalente und Fehler auf dem Haupte Franz Anton’s, des Vaters von Carl Maria von Weber. Geistvoll und gelehrt, originell durch und durch, die hergebrachten Formen stets vernachlässigend, unruhig von einem zum andern tastend, ergriff er sehr Vieles mit Eifer, fast Alles mit Talent, um es in Nichts zu Eminentem zu bringen, wozu er bei Concentration seiner Gaben unbedingt befähigt gewesen wäre. Wir sehen ihn bald als Militär, Musiker, Hofmann fungiren, sich in der Umgebung verschiedener Fürsten bewegen, wobei er, als ausgesprochener Epikuräer, entschiedene Vorliebe für geistliche Höfe zeigte, bald in der Schlacht bei Roßbach als kurtrier’schen Major eine Rolle spielen, bald als eifrigen und virtuosen Contrabaßspieler mit einem Contrabaß von Stradivarius auf dem Reisewagen Deutschland durchziehen, bald, als Stadtmusikus zu Eutin, mit Studien über die Musik der Hebräer und

  1. Sohn des großen Componisten, Verfasser des im Jahre 1852 erschienenen Epos: „Roland’s Graalfahrt“.
    D. Red.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_091.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)