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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

und in das Mitleid über seinen Tod mischte sich ein rechter Zorn gegen seine Lotte. Es muß sicherlich ein großes Unglück sein, keine Gegenliebe zu erhalten, wo man sein Herz hingegeben hat; ich meine aber, Liebe zu erregen, wo man sie nicht empfindet, und Unglück über einen guten Menschen zu verhängen, müsse die Seele zuletzt ebenfalls mit sich selbst in Unfrieden bringen, und ich weiß nicht, wie man mit seinem Gewissen fertig werden kann, wenn man sich eingestehen muß, daß man, wie Lotte, durch Nachgiebigkeit gegen sich selbst oder durch Unaufrichtigkeit gegen einen Andern das Unglück eines liebevollen Herzens verschuldet hat. Wollte ich doch lieber mein eignes Leben in dem fernsten Winkel der Erde still für mich tragen gehen, als eine Seele betrüben, die von mir ihr Glück erwartet. Ich liebe diese Lotte nicht, wie schön Herr Goethe sie auch ausgestattet hat.

Und nun verzeihen Sie mir, Herr Graf, wenn ich es wagte, Ihnen so unumwunden meine Meinung zu sagen, und Ihre Ansichten in diesem Punkte nicht zu theilen. Damit ich Ihnen aber doch meinen Dank ausdrücke, lege ich Ihnen ein Paar Gedichte des Herrn Gaudenz[WS 1] von Salis bei, welche eine liebe Freundin mir gesendet hat, und ein Gedicht des Herrn Matthison, das man im Bodmer’schen Haus für mich abzuschreiben die Güte gehabt hat. Der Frühling und das Grün und der Sonnenschein, die er so gar lieblich besingt, lassen sich bei uns leider noch erwarten. Vielleicht bringen Sie mir die Blätter wieder, lieber Herr Graf, wenn die prophetische Beschreibung des Dichters sich auch hier bei uns in Wahrheit verwandelt haben wird. Mit der aufrichtigsten Hochachtung, mein verehrter Herr Graf, Ihre ergebene

Veronika von Gunta.“ 


Graf Joseph von Nottenbuel an die Freifrau von Thuris.

„Den 6. Mai. 

Ich sende meinen Reitknecht heute nur herüber, um Dir eine Frage vorzulegen, liebe Schwester, deren genaue Beantwortung ich von Dir zu erhalten wünsche. Kennt Veronika den Namen der Marquise, und was weiß sie von mir, von meiner letzten Vergangenheit? Sie hat mir heute einige Bücher geschickt und mir in ihrem kleinen Briefe ein Urtheil über den Werther mitgetheilt, das ich durch eine Kenntniß meiner persönlichen Erlebnisse eingegeben glaube. Sei so gut mich zu benachrichtigen, was ich davon halten soll. Der Brief hat mich in doppeltem Sinne überrascht.

Ich komme in den nächsten Tagen zu Dir hinüber.“


Die Freifrau von Thuris an ihren Bruder.

„Den 6. Mai. 1788. 

Veronika weiß von der Marquise Nichts! Beruhige Dich darüber, mein lieber Bruder! – Da ich der Hoffnung nicht entsagen mochte, Dich von der Neigung zu dieser unheilvollen Frau geheilt zu sehen, und den Wunsch in mir hege, daß Du, wie die Bibel es nennt, Dir hier unter den Töchtern des Landes ein Weib nehmen solltest, so habe ich darauf gehalten, Deine Verhältnisse als ein Geheimniß zu bewahren. Was also Veronika Dir auch geschrieben haben mag, eine Nebenabsicht oder einen Hintergedanken hat sie sicherlich nicht dabei gehabt. Aber Deine Theilnahme für sie macht mir Freude und ermuthigt meine Wünsche zu schönen Hoffnungen. Komme bald zu mir, und wir wollen die liebe und schöne Einsame gemeinsam besuchen.“


Die Freifrau von Thuris an ihren Bruder.

„Thuris, den 17. Mai. 

Du hast nicht Wort gehalten, lieber Bruder, und ich habe Dich seit zehn Tagen vergeblich erwartet. Man sagte mir, Du seist ohne Begleitung auf die Jagd gegangen, als ich am letzten Montag bei Dir war. Woran liegt es, daß Du der Bitte, mich zu besuchen, die ich Deinen Leuten auszurichten auftrug, nicht nachgekommen bist? Ich hoffe nicht, daß Dir ein Unfall zugestoßen ist, oder daß Du sonst ein übles Hinderniß gehabt hast. Beruhige mich darüber, lieber Bruder.“


Graf Joseph an die Freifrau von Thuris.

„Rottenbuel, den 18. Mai. 

Weshalb ich nicht gekommen bin? Frage die Seligen, weshalb sie sich nicht losreißen aus ihrer trunkenen Anbetung des Göttlichen, um auf die Erde zurückzukehren. Frage – – o! aber was sollen die Worte, was soll die Mittheilung, da Du ja doch Alles schon weißt, wenn Dir diese Worte die Wonne meines entzückten Herzens verrathen haben.

Vor einer Stunde bin ich von Gunta heimgekehrt, heimgekehrt in mein Haus, das mir wie verwandelt erscheint, seit ich weiß, daß sie es mit mir bewohnen, daß Veronika hier schalten und walten wird, daß ich mit ihr von diesen Erkern hinabsehen werde auf die Bäume, welche unsere Altvordern mir hier gepflanzt, und unter deren Schatten meine und Veronika’s Kinder einst spielen werden.

Gesegnet sei die Stunde, in welcher Du mich zur Heimkehr mahntest – ja ich möchte sagen, gesegnet sei das Unheil, das mich von Paris entfernte. Ich fühle mich wie ein verklärter, wie ein neugeborner Mensch, ich denke mit anderen Gedanken, ich empfinde mit anderen Sinnen; und das Alles ist ihr Werk, Veronika’s Werk, der Liebe Werk, die mir die Seele befreit von allen bösen Erinnerungen, und mir mit dem Glauben an die Reinheit des Weibes auch die Fähigkeit zu neuer Liebe und, daß ich es Dir gestehe, eigentlich erst das Verständniß der Liebe gegeben hat; denn was mich zu Franziska hingezogen, verdiente diesen Namen nicht.

Wie das gekommen ist? Ich brauchte es Dir nicht zu sagen, wenn es mich nicht so glücklich machte, es mir selbst zu wiederholen. Daß Veronika schön sei, wer hätte das nicht beim ersten Blicke sehen sollen? Aber es war nicht diese Schönheit, die mich an sie fesselte, so sehr sie mich entzückt. Es war die reine, unverfälschte Wahrheit ihrer einfachen Natur, die schöne Seele, der alles Edle und Erhabene angeboren ist, die nur sich selber nachzugeben braucht, um immer das Richtige zu finden und das Rechte zu thun, die mich sie lieben machten. Ich sah sie als die gehorsame und gefügige Tochter ihres Vaters, als die gastliche Wirthin ihres Hauses, als das Kind des Volkes, in dem sie geboren worden. Im fröhlichen Tanze, im wilden Orkan der Nacht, am Krankenlager und an der Leiche ihres Vaters, einsam in ihrem Schlosse sich und ihrem Grame überlassen, eine kluge Verwalterin, eine milde Herrin, eine sanfte Helferin der Leidenden – immer, immer war sie sich gleich; und ich konnte sie nicht mehr sehen, ohne mich in ihrer Nähe vor den Stunden zu fürchten, die ich fern von ihr zuzubringen hatte.

Es hätte Deiner Mahnung, daß ich Veronika nicht eben oft besuchen möge, nicht bedurft; war sie mir doch heilig wie meine Ehre, wie das Andenken an meine Mutter, wie hätte ich sie auch nur dem Schatten einer Mißbilligung preiszugeben vermocht! Aber ich konnte den Trost nicht entbehren, daß sie meiner dachte, und wie die Schrecken unseres Winters sich auch zwischen uns aufthürmten, so fand der treue alte Bernhard doch stets den Weg von mir zu ihr, und unsere Gedanken traten einander näher, unsere Empfindungen wurden zu einem einzigen allmächtigen Gefühl.

Im Zweifel an mir selbst hatte ich mir stets mißtraut; endlich litt es mich nicht länger. Die heiße Sehnsucht, die mich zu ihr zog, die mich mir selbst entfremdete, konnte mich nicht täuschen; und an der Wonne, mit welcher ich den erwachenden Frühling in meine Seele leuchten fühlte, ermaß ich, daß mein Herz frei geworden sei und rein genug, die Geliebte in dasselbe aufzunehmen.

In guter Stunde ritt ich nach Gunta. Daß ich Dir sie beschreiben könnte, diese seligen Augenblicke hoffnungsvoll bangender Zuversicht! daß ich Dir sie schildern könnte, die freudige Inbrunst, mit welcher ich meine Jugend mir wiedergegeben fühlte!

Es war schon Mittag, als ich ihr Haus sich vor mir erheben sah, und nun ich es erblickte, wankte mein Herz. Ich hatte ihr nie von meiner Liebe für sie geschrieben, sie hatte Nichts gesagt, was mich zu hoffen berechtigte, Nichts, was ich nur auf mich allein zu beziehen gehabt hätte, so bereitwillig meine verlangende Seele es sich zu meinen Gunsten auszulegen wußte.

Ich wollte mich sammeln, noch eine letzte Viertelstunde mit mir allein sein. Ich stieg an der hintern Seite des Gartens vom Pferde, das ich einem Buben zur Führung überließ, öffnete die kleine Pforte neben der Gärtnerwohnung, und trat in das kleine Gehölz ein, das dieselbe von dem Garten abtrennt. Niemand hatte mein Kommen bemerkt, die Leute waren bei der Arbeit, und ungesehen ging ich den Weg nach dem Schlosse hinauf.

Die Sonne schien warm hernieder, die jungen Blätter zitterten leise, als ob sie sich zu entfalten strebten, das Gras duftete, wo mein Fuß es betrat, und funkelnd in seinem weißen Gischte schoß blitzschnell das Wasser des Baches an mir vorüber, zum Thal

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Gnudenz
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_095.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)