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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

No. 7.   1862.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Bill Hammer.
Episode aus dem Bürgerkriege in Missouri.
Von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)


Nur für einen Augenblick ging das Blut aus Bill’s Gesichte, als er das rothe Haar und den falschen Blick des Vorgetretenen erkannte; im nächsten schon zuckte es wie eine tiefe Verachtung um seinen Mund. „Du solltest doch richtig sagen, was Du weißt, Mulligan, wenn Du Dich auch mit der Wahrheit noch nie viel abgequält hast. Du weißt wohl, wie lange ich schon auf Mr. Anderson’s Farm bin, gegen den wahrscheinlich Niemand etwas einzuwenden haben wird, und daß ich so wenig nach der Stadt komme, daß ich erst gestern gehört habe, wie Du vom Müller Riese Prügel bekommen hast!“

Ein jolendes Gelächter brach bei den letzten Worten unter den Umstehenden los, der Rothkopf schien unter seinen neuen Gefährten sichtbar noch wenig Freunde gefunden zu haben; mit einem Ausdrucke erbitterter Bosheit aber schrie dieser: „Laßt ihn nur einmal: Hurrah für Jefferson Davis! rufen, und das richtige Fell wird sich gleich zeigen!“

„Wenn das solche Menschen, wie Du bist, rufen,“ erwiderte Bill, und nur der genaue Beobachter hätte bei der ausgesprochenen Zumuthung das Zucken in seinen Mienen wahrnehmen können, „so muß sich Jefferson Davis schämen und ebenso jeder rechte Mann, es nachzurufen!“

Ein tolleres Gelächter noch als vorher folgte der Abweisung, und der uniformirte Anführer sammt seiner Umgebung schien sich ausnehmend über die Scene zu amüsiren; als aber Mulligan mit einem bösen Blick auf den Burschen die Fäuste ballte, erhob sich der Officier und wies Jenen mit einer gebieterischen Handbewegung zurück. „Wir werden schnell wissen, woran wir mit ihm sind – visitirt ihn genau!“ rief er Bill’s Führern zu, und nach kaum zwei Minuten stand der Knabe bis auf’s Hemde entkleidet da, während von zehn verschiedenen Händen jeder Theil seines Anzugs untersucht, jede Tasche umgedreht und ihres Inhalts entledigt ward. Bill sah sein Messer und sein Portemonnaie in fremde Taschen wandern, sah sein buntseidenes Halstuch verschwinden, und fast schien es ihm, als schütze seine übrigen Kleidungsstücke nur die Nutzlosigkeit derselben für einen erwachsenen Mann vor einem gleichen Schicksale, aber keine seiner Mienen zeigte, daß er die kleinen Räubereien bemerkte, und in völliger äußerer Gleichgültigkeit legte er die ihm hingeworfenen Stücke seines Anzugs wieder an.

„Ich konnte mir gleich nicht recht denken, daß Jemand ohne Noth im bloßen Kopfe nach Jefferson-City marschiren sollte,“ sagte der Officier nach beendigter Durchsuchung sich seinem frühern Platze wieder zuwendend, „laßt ihn laufen!“ und schon drehte sich Bill, mit einer vielleicht zu raschen Bewegung, um sich nach seinem Rückwege umzusehen, als er seinen Arm wieder von einem seiner Wächter gefaßt fühlte.

„Halt, Cornel! einen Hut hat er gehabt, so wahr als die kleine Kröte uns Alle zu Narren machen will!“ rief dieser, und in dem rasch gehobenen Gesichte des Anführers blitzte wieder der frühere finstere Ausdruck auf. „Und wo ist der Hut?“ fragte er, einen Blick auf den Burschen richtend, der sich bis in dessen Innerstes bohren zu wollen schien; „lügst Du, Bursche, so sollst Du bei Gott für die in Pleasant-Grove ein warnendes Beispiel abgeben!“

„Fragen Sie doch die Männer, Sir, ob sie mich bis hierher eine Hand haben rühren lassen,“ erwiderte Bill, der sich plötzlich fast zu schwach fühlte, ein ihn überkommendes Zittern zu unterdrücken; „sie haben mich durch das Gebüsch geschleift wie einen gebundenen Hammel, und die Zweige haben mir den Hut abgestreift; aber ich denke, ich weiß, wo er liegt – kommen Sie nur mit mir, wenn Sie mir nicht trauen!“ setzte er wie in einem plötzlichen Entschlusse hinzu und wandte sich leicht nach dem Buschwerke, durch welches er den Platz betreten. Es war ihm klar geworden, als habe es ihm Jemand in’s Ohr gesagt, daß er jeder Aufsuchung des Hutes zuvorkommen müsse, wenn es eine Hoffnung zu seiner Rettung geben solle; war doch der ihm übergebene Brief unter dem Stirnfutter des Hutes befestigt, und mit einem Gefühle, als wollten ihm seine Beine den Dienst versagen, und doch zugleich zu jedem Wagniß bereit, sah er, wie ein loderndes Holzstück aus dem Feuer gerissen wurde, um das nöthige Licht zu schaffen, fühlte seinen Arm frei gelassen, zugleich aber auch einen Haufen Männer hinter sich und zu seiner Seite. Rasch schritt er den Büschen zu, und kaum theilten sich die ersten Zweige vor ihm, als sein geschärftes Auge in kurzer Entfernung auch schon den grauen Filz sich von den dunkeln Blättern abzeichnen sah. Es galt zu handeln, ehe ihm andere Augen zuvorkamen. „Dort ist er!“ rief er – höher hob sich der Feuerbrand, und in der nächsten Secunde waren die Vordersten wie Habichte nach dem hellen Punkte gestürzt; im gleichen Augenblicke aber war auch Bill seitwärts in dem Gebüsch verschwunden, ohne daß eine kurze Minute lang seine Bewegung bemerkt worden wäre; schon hatte er den offenen Wald, in welchem kein Unterholz seine Flucht hemmte, erreicht und flog in einer Seitenrichtung athemlos zwischen den Bäumen hindurch, um den an der Eisenbahn aufgestellten Posten nicht in die Hände zu fallen, als ein lautes Geschrei in seinem Rücken ihm die Entdeckung des Briefs oder seiner Flucht andeutete

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_097.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)