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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Unter den Gewinnsten sind mehrere von beträchtlicher Summe. Es wird versichert, es seien von Seiten des Präger Lottoamts gegen 300,000 fl. an Gewinnsten ausgezahlt worden, die durch die Besetzung der genannten Nummern gemacht wurden.

Die Traumbücher, Kartenschläger, die klugen Frauen (wir meinen, mit gütiger Erlaubniß unserer Leserinnen, damit speciell die ganz besondere Classe, die sich mit Kaffeesatz und der Erforschung der Zukunft aus Blei und Eiweiß beschäftigt) haben einen Triumph gefeiert, und lange Zeit hindurch werden mit wesentlicher Vorliebe diejenigen Zahlen im Lotto besetzt werden, die in irgend welchen Beziehungen zu ähnlichen Schauderthaten stehen.

Der Aberglaube hat frische Nahrung erhalten, und selbst mancher Gebildete und sonst unbefangen Urtheilende schüttelt den Kopf über den merkwürdigen Zufall:

„Es ist doch wohl mehr als Zufall – Sie sagen ja selbst, es giebt keinen Zufall.“

„Nein, es braucht auch keinen Zufall zu geben, – er ist gar nicht nöthig, wenn ein solcher Fall der Uebereinstimmung vorkommt.“

„Also meinen Sie doch, daß –“

„Nichts meine ich – aber beweisen will ich Ihnen, daß dergleichen wunderbar scheinende Fälle eintreffen müssen, und daß es viel merkwürdiger wäre, wenn von den Tausenden und Abertausenden von Träumen und Prophezeiungen und Anzeichen und altem Weibergeschwätz nichts eintreffen wollte, als wenn Jemand im Schlafe eine goldene Zahl sieht und darauf das große Loos gewinnt.“

Ich habe einen Verwandten – er muß jetzt sehr alt sein, wenn er überhaupt noch lebt – derselbe war Officier in ***’schen Diensten und hatte als solcher wohl den reglementmäßigen Magen, aber außer dem Mittagbrod wenig hineinzuthun. Das bekümmerte ihn – denn er war sehr arm und zu leichtsinnigem Schuldenmachen zu redlich. Die Aussichten auf Avancement waren auch nicht die besten, er war Oberlieutenant und blieb Oberlieutenant, und das verbitterte ihm vollends die Stimmung, so daß er nicht einmal zu dem Leichtsinn kommen konnte, um ein reiches Mädchen zu werben.

Seine einzige Hoffnung war die Lotterie, und doch getraute er sich nicht das Wagniß zu unternehmen. Das Risico war zu bedeutend. Wenn er nichts gewann, mußte er sich als den leichtsinnigsten Schwindler verabscheuen. Aber Tag und Nacht ging ihm das Glücksrad nicht aus dem Sinn. Er hörte alljährlich von großen Gewinnen und bereute nachher regelmäßig, die glückliche Nummer nicht besetzt zu haben. Da träumt ihm eines schönen Abends gegen Ende des Monats, es erschien ihm eine Fee. Sie kam, wie stets, in einer Wolke und trug einen unaussprechlich schönen, zarten und rosenrothen Anzug. „Hartmann,“ und dabei klopfte sie ihn mit einem Lilienstengel auf die Stirn, „Hartmann, Sie sollten doch in der Lotterie spielen – – Nun ja, ich weiß schon; sehn Sie nur, ob Sie nicht noch Einen dazu finden, ich sage nichts weiter, aber merken Sie sich die und die Nummer –“ und damit war sie verschwunden. Mein Vetter wachte auf, stand auf und schrieb sie auf – nämlich die Nummer für den Fall, daß er noch Einen dazu fände. Er fand ihn auch richtig, denn er war sehr beliebt, und so wurde denn das Loos genommen, – womit die Beiden durchfielen, daß ich’s kurz vermelde.

Der Eine lachte, und der Andere – das war unser Hartmann – ärgerte sich, und die Fee verlor sehr an Credit.

So verging wieder ein Jahr, und die Verhältnisse hatten sich noch nicht gebessert. Es kam wieder die Zeit der Hauptziehung.

Hartmann denkt nicht daran, sich zu betheiligen – „Träume sind Schäume“ – „sie kommen aus dem Magen“ – „Unsinn war’s schon das vorige Mal,“ – „es soll nicht sein.“ Mit solchen Gedanken legt er sich jeden Abend zu Bett.

Da wird’s plötzlich einmal in seinem Schlafzimmer hell um ihn, es wird Heller und Heller, und ehe er noch seine fünf Sinne zusammen bekommen kann, steht die Fee wieder vor ihm. „Lieber Hartmann,“ redet sie ihn an, und er richtet sich dabei im Bett halb auf, „seien Sie mir nicht böse, eine kleine Unvorsichtigkeit von meiner Seite – ich geb’s zu – aber wir können auch nicht allemal wie wir wollen, und Sie werden mir doch so was nicht nachtragen, Sie ständen sich selber im Lichte. Gehen Sie, nehmen Sie noch einmal ein Loos, die und die Nummer;“ weg war sie, aber in Goldschrift prangte vor Hartmann’s Augen die und die Nummer, welche dieselbe war, die er voriges Jahr besetzt hatte. „Einmal und nicht wieder!“ damit schlief er ein. Er konnte aber doch nicht unterlassen, seinen Traum des andern Tages an der Officiertafel zu erzählen. Man scherzte anfänglich darüber, dann fand man es doch wunderbar, daß gerade dieselbe Nummer wieder erschienen war, und nach kurzer Zeit erklärte sich eine Menge seiner Waffengefährten bereit, mit Hartmann das Loos zu spielen. Da er durchaus nicht darauf eingehen wollte, beschlossen die Uebrigen auf eigene Hand ihr Glück zu versuchen. Sie thaten’s, nahmen das Loos und – fielen durch.

Jetzt war Hartmann der, welcher lachte. Aber er lachte nicht mehr, als ihm das nächste Jahr, in der letzten Nacht vor der Ziehung, die Fee wieder erschien.

Diesmal redete sie nicht, sie schien überhaupt traurig und sah ihren Günstling so recht wehmüthig an, daß es ihm selbst leid that, ein so schönes Wesen, denn schön war sie, wie er jetzt erst merkte, vor dem ganzen Officiercorps compromittirt zu haben.

Er konnte die übrige Nacht nicht mehr schlafen, er wollte sich gern rechtfertigen, aber es war zu spät. Auch am andern Morgen brachte er die Erscheinung nicht aus dem Sinn, und in dieser seiner Unruhe kommt ihm der Gedanke, zum Collecteur zu gehen und zu fragen, ob das Loos von der bekannten Nummer noch zu haben sei. Er war zwar überzeugt, daß es längst verkauft sein würde, indessen glaubte er seiner schönen Freundin schon mit dieser Anfrage eine schuldige Artigkeit zu erweisen, und er fragt.

Wie erstaunt er aber, als er hört, daß unter der sehr geringen Anzahl der noch restirenden Loose das betreffende sich wirklich befindet. Das ist ihm zu deutlich gesprochen. Er kauft es, – und Jeder wird nun vermuthen, daß die Nummer zum dritten Male ungezogen bleibt – aber nein: am selben Tage noch fällt darauf der erste Gewinn. Der Oberlieutenant ist ein reicher Mann.

Ich erzähle rein Thatsächliches, wie ich es aus dem Munde meines Verwandten früher selbst erfahren habe, der in humoristischer Weise leicht darüber zu scherzen pflegte, wenn er das Thema berühren mußte; von selbst brachte er nie das Gespräch darauf. Die Sache mit den drei Träumen hat ihre Richtigkeit.

Es ist demnach thöricht, so kurzweg zu behaupten, daß Träume oder Prophezeiungen nie eintreffen. Ich habe zwei der eclatantesten Fälle dafür aufgeführt. Ich habe auch schon oben gesagt, daß von einem Zufall nicht die Rede ist, daß vielmehr eine natürliche Nothwendigkeit derartigen Eintreffens vorliegt, und da sich dies mit Zahlen mathematisch beweisen läßt, so wird hoffentlich der ärgste Materialist nichts dagegen haben.

Weil die beiden Beispiele, die wir gegeben haben, sich auf die Lotterie bezogen, und wir es also hier schon mit Zahlen zu thun haben, so wollen wir den Beweis, der uns zu führen obliegt, zunächst auch für solche Träume und Anzeichen führen, die sich auf dasselbe allgemein bekannte Spiel des Lotto’s oder der Lotterie beziehen.

Gesetzt, es betheiligten sich an einem Lotto, wo aus den Nummern 1 – 90 bei jeder Ziehung 5 Nummern gezogen werden, 300 Personen, alle leidenschaftlich mit dem Spiel beschäftigt. Es ist dann höchst wahrscheinlich, daß von diesen 300 Personen mindestens 180 in der Zeit, die der Ziehung vorherzugehen pflegt, Träume haben werden, in denen ihnen entweder direct Nummern erscheinen, oder die sich wenigstens auf Nummern deuten lassen; denn da sich der Geist solcher Spieler den ganzen Tag mit seiner Hoffnung beschäftigt, werden ihm auch Erinnerungen daran im Schlafe kommen. Den übrigen 120 aber wird wenigstens ein Anzeichen oder irgend ein kleines Ereigniß begegnen, es wird ein Glas zerbrochen, Einer wird einen Brief bekommen, ein Anderer wird ein Taschentuch vergessen, und da sich unter Geübten dergleichen Vorfälle alle in Zahlen von 1–90 ausdrücken lassen, so werden wir sicher darauf rechnen können, daß am Tage der Ziehung mindestens 300 geträumte oder gedeutete Nummern besetzt worden sind. Da es nur 90 Nummern giebt, so müssen mehrere der Spieler zusammen auf eine und dieselbe ihren Einsatz machen; und es ist eine Thatsache, die seit Jahrhunderten, seit überhaupt das Lotto bekannt ist, feststeht, daß, wenn eine große Anzahl Menschen einsetzen, ohne sich gegenseitig um die Nummern, die sie besetzen, zu kümmern, schließlich jede Nummer eine gleiche Anzahl Spieler und einen gleichen Einsatz repräsentirt.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_105.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)