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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

seinen Namen zu dem der edelsten Heeresfürsten in Herz und Mund des ganzen gährenden Deutschland brachte.

Der Mangel an künstlerischem Umgang war es, der ihm den Aufenthalt in Prag zuletzt unerträglich machte und ihn veranlaßt hätte, seine Stellung dort zu verlassen, wenn ihm auch nicht im Jahre 1816 der Ruf nach Dresden, wo es wieder eine neue, deutsche Oper zu gründen und zu leiten galt, eine neue Perspective voll ruhmreicher Thätigkeit gezeigt hätte. Anfang 1817 wanderte er im Vollbewußtsein der Schwere und Bedeutsamkeit der Aufgabe, die ihm hier gestellt war, aber auch im frohen Gefühle, die ihm bevorstehenden Kämpfe mit den Ritterwaffen bestehen zu können, die er sich zu Breslau, Carlsruh und Prag bei der Schöpfung neuer Operninstitute erworben hatte, nach der Residenz des kunstliebenden Königs Friedrich August, der ihn berief. Dahin holte er sich im November desselben Jahres den besten Bundesgenossen in diesen Kämpfen in Gestalt seiner liebenswürdigen Gattin mit ihrem unversiegbaren Frohsinne, ihrer Grazie, ihrem feinen Takte nach.

Gegen wie viel Streiche hat sie ihn geschützt, von wie viel mehr empfangenen Wunden ihn geheilt!

Ohne Uebertreibung kann man sagen, daß es niemals den Carl Maria von Weber, der Freischütz, Euryanthe und Oberon schrieb, ohne Caroline Brand gegeben hätte. Ihr praktischer Sinn und in reicher Erfahrung geschulter Takt ersetzten dem Meister in stiller Studirstube die Stimme des Publicums, die Wirkung seiner Schöpfungen bemaß er nach der Wirkung auf ihren offenen Geist, ihrem Rathe folgte er nie ohne Erfolg, wenn es zu kürzen, umzustoßen, bühnengerecht zu machen galt, sie eroberte die Herzen für ihn, die zu gewinnen er nicht Zeit oder Stimmung hatte. Niemals hat sich ein Paar vollständiger im schönsten Sinne der Ehe ergänzt, als Carl und Caroline Weber.

Weber begann seine Wirksamkeit in Dresden unter den schwierigsten Verhältnissen. Im Grunde genommen bot ihm nichts helfend die Hand, als ein Theil der Kapellmitglieder und sein edler Chef, der Graf Vitzthum von Eckstädt. Nichts erhob und stützte ihn, als die Zustimmung und der Beifall der intelligenten Mittelschichten des Publicums. Der König Friedrich August hieß nicht mit Unrecht der Gerechte, darum schätzte er Weber’s Thätigkeit und Charakter, hat aber, als warmer Freund der italienischen Musik und Kunst, für seine Werke nie Sympathien gezeigt. Noch kurz vor seinem Tode schrieb Weber, der dem Könige mit größter Liebe und Treue anhing, von London, schmerzlich bewegt:

„Alle Welt erkennt mein Streben an, nur mein König will Nichts von mir wissen!“ Am Hofe hatte Weber keine Freunde, außer den beiden edlen Prinzen Friedrich August und Johann, für die er wahrhaft enthusiastische Verehrung hegte. Die demzufolge in höheren Schichten gegen Weber und sein Wirken vorherrschende Antipathie wurde von seinen Gegnern, an deren Spitze der damalige, fast allmächtige Cabinetsminister Einsiedel und der College Weber’s, Morlachi, standen, zu allerhand Waffen für Bekämpfung seiner Thätigkeit umgeschmiedet. Für Einsiedel und seine Günstlingscoterie, in der sich das Princip des damaligen „geheimen“ Beamtenthums personificirte, in deren Kreisen das Wort „deutsch“ und „demokratisch“ fast gleichbedeutend war und die deshalb auch sogar hinter deutscher Musik Umsturz-Tendenzen witterte, war Weber mit seinem graden, die Öffentlichkeit liebenden und, trotz seines Hofkapellmeistertitels, in bis dahin unerhörter Weise frei mit dem Publicum verkehrenden Sinne eine „höchst unbequeme Persönlichkeit“. Diese Unbequemlichkeit potenzirte sich natürlich noch in den Augen der Anhänger der italienischen Oper und ihrer Partei, die sich aus den höchsten Ständen der Gesellschaft rekrutirte, da sie nur zu deutlich sahen, wie Weber’s Streben der Exclusivität im Kunstgeschmack schnurstracks entgegenwirkte. Diese Partei, zu der leider auch, wenigstens im Anfange, viele Mitglieder der Kapelle gehörten, ist es gewesen, die es verhinderte, daß Weber’s große Talente für Sachsen in angemessener Weise nutzbar gemacht wurden, die es bewirkte, daß ihm niemals ein leuchtendes Zeichen der Zufriedenheit von oben her zu Theil wurde, daß ihm kein einziges Werk für die Kunstanstalt, der er vorstand, in Auftrag gegeben wurde, und die sein Wirken für dieses Institut auch dann noch mit der Calculator- und Hofraths-Elle maß, als über Weber’s und jener Kunstanstalt Ruhm die Sonne nicht mehr auf- und unterging.

Trotz alledem beschritt er seinen Weg nach bestem Wissen und Gewissen. „Wie Gott will!“ Dreißig Tage nach seinem Dienstantritte führte er die erste deutsche Oper: Mehul’s „Joseph in Aegypten“, mit neugeschaffenem Chor und neuen oder erst herangezogenen Sängern, in einer Weise auf, daß die Gegner staunten und die Freunde jubelten. Rasch gewann er sich, der 31jährige Meister, das Vertrauen der Kapelle und seines Personals durch milde Strenge, Energie, seltenes Dirigententalent, richtig angewandten Fleiß, der nur das that, was andere schwächere Kräfte nicht auch thun konnten, und bald sah er sich als einen der Mittelpunkte des geistigen Treibens von Dresden, für das er und seine Gattin belebende Zierden wurden. Sein gastfreies Haus versammelte in heitern Cirkeln, neben dem „Liederkreise“, die heterogensten Elemente geistiger Bedeutsamkeit in zwanglosem Verkehre. Ludwig Tieck war hier eben so gern gesehen, fand sich ebenso behaglich wie Tiedge, Hell oder Kind; Kügelgen verkehrte hier gern mit Vogelstein und Friedrich; Marschner musicirte hier mit Spohr, Morlachi und Polledro. Alle Jene irren, die Weber’s Persönlichkeit aus seinen Werken herausconstruirt haben, ihn sentimental, ernst, romantisch gestimmt darstellten. Ernst und streng, oft schroff im Geschäft und Dienst, war Weber Lebemann vom Kopf zum Fuß im geselligen Kreise, und „dulce est desipere in loco“ eine seiner gangbarsten Maximen. Heiter, derb, oft sarkastisch in seinen Aeußerungen, anspruchslos in seinen Freuden, ohne allen Künstlerdünkel, verschmähte er es nicht, in heitern Cirkeln, damit die jungen Leute tanzen könnten, stundenlang am Clavier zu sitzen, in Schattenspielen den Teufel zu agiren, worin er eine ganz besondere Meisterschaft besaß, auf Maskeraden das Tollste vom Tollen zu bringen, und Niemand verstand so aus vollem Herzen, wie er, den „holden Unsinn“ zu treiben und zu belachen. Trefflich unterstützte ihn bei allen dem seine liebenswerthe Gattin, deren geselliges Talent außergewöhnlich war. Nichts glich der Wirkung, welche das Paar mit dem Vortrage komischer Lieder, die er auf Piano oder Guitarre begleitete, hervorbrachte. Die gehaltenste Gesellschaft wurde dann zum Lachchore, und in den Augen der ernstesten Künstler und Geschäftsmänner perlten die Thränen, welche die selige Zwerchfellerschütterung erpreßte.

Während Weber so die Herzen des Publicums gewann, die Organisation der Kapelle und Oper immer mehr emporblühte, eine gelungene Opervorstellung auf die andere folgte und ein Dienst, der ihn (besonders durch die häufigen Urlaubsreisen und Krankheiten seines Collegen Morlachi, welcher fast die Hälfte seiner Dienstzeit im Auslande zugebracht hat) mit circa 400maligen Functionen im Jahre belastete, seine Kraft so in Anspruch nahm, daß ihn nur die Erholung, die ihm der Sommeraufenthalt in seinem geliebten Hosterwitz bot, aufrecht erhielt: vermehrten sich in gewissen Kreisen die Mißstimmungen gegen ihn durch die Anerbietungen, durch die man ihn für Berlin und Wien zu gewinnen trachtete. Man nahm es ihm übel, daß er mit den Theaterverwaltungen in jenen Orten verkehrte und zuletzt gar durch Uebernahme der Composition des „Freischütz“ für Berlin, der „Euryanthe“ für Wien und des „Oberon“ für London für fremde Bühnen thätig war, während man ihm in Dresden – keine Aufträge und keine Gelegenheit gab, seine Kräfte angemessen zu verwenden. Man entzog ihm die Möglichkeit, Ehre in seinem amtlichen Wirkungskreise zu erwerben, und verargte es ihm doch, wenn er sich Künstlerruhm von außen holte. Konnten nun auch die aus diesen Antipathien erwachsenden Kundgebungen, die sich besonders durch auffällige Bevorzugung seines ausländischen Collegen kennzeichneten, sein Schaffen nicht lähmen; konnten auch, unter all den Kränkungen, meist in ländlicher Abgeschiedenheit in Hosterwitz, die Jubelcantate, die Jubelouvertüre zum Jubiläum des Königs, die Aufforderung zum Tanz, Preciosa, zwei große Messen, davon eine zur Jubelhochzeit des Königspaares, die großen Sonaten für Piano, eine Menge Lieder und Instrumental-Werke und endlich Freischütz, Euryanthe und Oberon entstehen, so reizten doch die Nadelstiche jener Plackereien die zartbesaitete Seele des Künstlers zu fortwährender fieberhafter Spannung, die ätzend und zerstörend auf seinen ohnehin schwächlichen Organismus einwirken mußte.

Mit seinem „Freischütz“ traf Weber mit nie vorher dagewesenem Glücke das innerste musikalische Leben des deutschen Volkes. Es schien, als habe es sich nach dessen Ausdruck schon lange gesehnt, mit solchem Jubel wurde das Werk begrüßt, als er es im Jahre 1821 in Berlin aufführte. Kein Ort der Welt wäre damals fähiger gewesen, diese deutscheste Musik zu empfangen, als das im damals „deutschesten Deutschsein“ lebende Berlin. Die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_107.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)