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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Erinnerungen

Memoiren-Bruchstücke von Franz Wallner.

Nach fünfzig Jahren eines viel bewegten, erfahrungsreichen Lebens finde ich nicht ein Blatt, nicht eine Notiz, nicht eine Affiche, als Anhaltspunkt zur Aufzeichnung meiner Erinnerungen. Es ist dies ein Leichtsinn, vor welchem unsere jüngere Generation nicht genug zu warnen ist. Wie wüst und wirr schwimmen ohne solche Anhaltspunkte in dem Rest der uns zugemessenen Jahre die Rückblicke durcheinander! Vielleicht gelingt es mir, einzelne kleine Bilder aus diesem Kaleidoskop festzuhalten und zu sondern; der Versuch dazu scheint mir wenigstens die Mühe zu lohnen. Freilich ruhen die Originale meiner kleinen Federzeichnungen größtentheils auf den Kirchhöfen unserer deutschen Vaterländer und unter dem kühlen Rasen von Pére Lachaise in Frieden von ihren Lebenskämpfen aus; allein so mancher kleine charakteristische Zug berühmter und uns lieb gewordener Persönlichkeiten, so manche heitere oder dunkle Seite aus dem Schicksalsbuche meiner Zeitgenossen verdiente wohl als Beispiel oder Warnung der Vergessenheit entrissen zu werden. Von jeher nicht mit dem glücklichsten Zahlengedächtniß begabt, würde es mir unmöglich sein, eine chronologische Ordnung bei meinen Plaudereien fest zu halten; ich will dem Leser erzählen von früheren Tagen, von kleinen pikanten Vorfällen, mit einem Wort ich will versuchen, ihn von Dingen und Personen zu unterhalten, die eine öffentliche Bedeutung hatten. Weiter haben diese Zeilen keinen Zweck.


Französische Blätter bringen eben die Nachricht, daß die Schauspielerin Marquise Esther de Bongars[WS 1] in Paris im tiefsten Elend gestorben sei. Ihr Vater war ein berühmter Divisionsgeneral der französischen Armee, und sie selbst spielte eine ziemliche Weile als Schauspielerin in St. Petersburg die Rolle der ersten Löwin der vornehmen Welt. Von der unermeßlichen Verschwendungssucht dieser Person kann sich nur ein Augenzeuge einen annähernden Begriff machen. Die eleganteste Wohnung, die schönsten Equipagen, die reichste Toilette, das reizendst gelegene Landhaus waren Dinge, die sie von ihren jeweiligen Verehrern als selbstverständlich forderte; mit Schilderungen der von ihr arrangirten Feste füllten die Pariser Journale ganze Spalten. So z. B. sollen einmal die Kirschen eines Diners im Winter, wo das Stück dieser Frucht einen Rubel kostete, mit 20,000, schreibe zwanzig tausend Francs, bezahlt worden sein. Die Wände des Speisesaals waren mit künstlichen Kirschbäumen geziert, an welchen die kostbaren Früchte hingen. Zu einer Geburtstagsfête ließ sie einen Feuerwerker von Wien kommen und sandte einen Courier zum Einkauf des Desserts nach Marseille. Selbst in dem verschwenderischen Petersburg machte die Verschwenderin Aufsehen. Als Schauspielerin war sie mittelmäßig, sie hatte nur das Talent der verschleierten Frechheit und verstand ihre prachtvollen schwarzen Augen – das Einzige, was nebst einem üppigen Wuchs wirklich schön an ihr war – meisterhaft zu gebrauchen. Die böse Welt behauptete, daß selbst die höchstgestellte Person des Czarenreiches eine Zeit lang in ihren Netzen gezappelt habe. Der ehemalige preußische Hofschauspieler, jetzige Hofrath Louis Schneider, der als Gast im Jahre 1847 an den kaiserl. Hof geladen und vom Kaiser Nicolaus ersucht wurde, sein frisches Talent auf dem Privattheater des Czars in Peterhof glänzen zu lassen, spielte dort den Kurmärker, die Esther die Picarde in dem bekannten Genrebild von L. Schneider. – Die Auction der Effecten der Circe dauerte einen halben Monat, brachte enorme Summen ein, und dennoch konnte dieselbe bei ihrem gezwungenen Abgang – ich werde diese Katastrophe sogleich erzählen – nicht ihre sämmtlichen Gläubiger befriedigen. Sie starb im tiefsten Elend! Walten der Nemesis!

Im Jahre 1848 bewohnte diese Esther ihr prachtvolles Landhaus in der Umgegend von Petersburg. Ihr zeitweiliger Courmacher, ein millionenreicher Branntweinpächter, war in Deutschland und suchte Erleichterung im Bade und an der Spielbank in Baden-Baden. Während der Zeit lebte die französische Strohwittwe aus dem dreizehnten Arrondissement auf dem größten Fuß. Neben ihr wohnte in einem bescheidenen Häuschen mit seiner alten Mutter, deren einzige Stütze er war, ein blutjunger, bildhübscher Landsmann, Monsieur Jules, der erst seit Kurzem als Maschinist am kaiserl. Theater angestellt war. Fräulein Esther hielt den gänzlich unverdorbenen und liebenswürdigen Jüngling für interessant genug, um eine kleine, vorübergehende „Idylle“ mit ihm in Scene zu setzen, die der arme Künstler leider so ernst nahm, daß er sich zum Rasendwerden in die schlaue Kokette verliebte. Sie versprach auf sein Andringen, sie wolle sein Weib werden, sobald es die Umstände nur gestatteten. Der Sommer verging dem Liebenden wie ein schöner Traum, und als die Blätter welk zu werden begannen, ahnte Jules nicht, daß auch sein Liebesfrühling blüthenlos geworden. Die Saison der Datschken (Landhäuser) war vorbei, die Esther bezog ihre prachtvolle Wohnung auf der Newsky-Perspective wieder, und als ihr „Bräutigam“ Jules sie eines Tages dort besuchen wollte, überreichte ihm der Diener ein Billet, worin sie ihm für die frohen mit ihm verlebten Stunden dankte, aber auch zugleich anzeigte, daß die Kinderei zwischen ihnen ein Ende nehmen müsse, indem ihr Geliebter, von dem ihre ganze Existenz abhinge, zurückgekehrt sei. Von einer Heirath und derlei poetischen Schwärmereien könne keine Rede sein, da ihre beiderseitige Gage nicht hinreiche, um ihre Putzmacherin zu bezahlen.

Der arme Junge lud sich ein Pistol und schoß sich an der Schwelle der Treulosen eine Kugel vor den Kopf. Auf den Knall eilte die Herrin des Hauses herbei und machte dem noch Athmenden die bittersten Vorwürfe, „daß er sich nicht einen andern Platz für seinen dummen Streich ausgesucht habe.“

Die Mitglieder des französischen Theaters erklärten ihrem obersten Chef, dem Fürst Wolkonsky, in corpore, daß keiner von ihnen mit der Esther wieder die Bühne betreten würde. Sie empfing mit lachendem Munde ihre Entlassung und ging nach Paris, wo sie vom Schauplatz abtrat und verschollen schien, bis vor Kurzem die dortigen Journale ihren Tod im tiefsten Elend meldeten. Ob ihr an ihrem Sterbelager wohl das blutige Haupt des armen Jules erschienen ist? Gewiß, denn es giebt eine Nemesis!


Es ist eine Reihe von Jahren her, als mich in Hamburg bei einem Spaziergange auf dem Jungfernstieg ein alter Herr einholte, der sich mir, nach Bejahung der Frage, ob ich der Schauspieler Wallner sei, als Graf Carl Hahn vorstellte. Schon längst war ich begierig, dieses merkwürdigste aller Theateroriginale kennen zu lernen, und nun lief er mir von selbst in die Hände. Einen schöneren alten Mann, als Graf Hahn war, konnte man sich nicht denken: prachtvolles blüthenweißes Haar, elegant geordnet, deckte einen wahren Jupiterkopf; die sichere cavaliermäßige Haltung legte Zeugniß ab, daß der Mann seine Jugend in der besten Gesellschaft und am Hofe des Prachtliebenden Schwedenkönigs Gustav III., dessen Leibpage er war, zugebracht hatte. Dort war er auch Augenzeuge der blutigen Katastrophe (1792), die er in der Oper „Der Maskenball“ genau nach seiner Erinnerung, bis auf die Rosa-Wachskerzen, die im Saale brannten, in Scene setzte, und zwar auf dem unter seiner Direction stehenden Theater in – St. Pauli auf dem Hamburger Berg. Dieses Factum charakterisirt die ganze Richtung der Theaterleidenschaft des guten Grafen, der seinem Steckenpferd ein immenses Vermögen geopfert, ohne das geringste künstlerische Resultat zu erzielen. Mit richtigem Verständniß und am rechten Orte angewendet, hätten die Bestrebungen des reichen Theaterenthusiasten in der Theatergeschichte Epoche machen und von dauernder Nachwirkung sein können, während er auf seinem mit einem ungeheuren Kostenaufwande erbauten Schloßtheater in Remplin berühmte Schauspieler[1] für eine Gastrolle mit einer silbernen Rüstung und einer vierspännigen Prachtequipage beschenkte, sein enormes Vermögen als Theaterdirector in Altona, Lübeck, St. Pauli, Lauchstädt, Altenburg, Gera, Chemnitz, Rudolstadt etc. vergeudete und seine künstlerische Wirksamkeit auf die mittelmäßige Darstellung einiger Rollen, auf die Angabe prunkvoller, am unrechten Orte angewandter Ausstattungen, auf das Schminken der Statisten, auf Blitzen und Donnern, gelegentliches Souffliren, und auf das Anführen der Comparsen bei Zügen beschränkte.

Es thut mir leid, über den alten seligen Herrn, welchen sonst die vortrefflichsten Eigenschaften auszeichneten, ein so hartes Urtheil

  1. z. B. Iffland.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Bognar
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_120.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)