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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

bösen Ritter mit hochgeschwungenem Dolche verfolgt, in die Halle.

Die Scene wurde sehr effektvoll gespielt, und das Publicum applaudirte aus Leibeskräften.

Jetzt kommt der entscheidende Moment, Oskar soll an der Uhr emporklimmen und den Zeiger auf Eins stellen.

Die kleine Hanstein war das anmuthigste, graziöseste junge Mädchen, aber durchaus keine Turnkünstlerin, und schon auf der Probe hatte sie das Erklimmen des wenigstens 6 Fuß hohen Riesen, der, wie der Atlas die Weltkugel, die Uhr auf seinen Schultern trug, für eine „saure Arbeit“ erklärt. Jetzt, wo Alles blitzschnell gehen sollte, fehlte wenig und die ganze Kletterei wäre mißglückt, doch gelangte sie endlich so hoch, daß sie zur Noth den Zeiger mit ausgestrecktem Arm erreichen konnte, rasch schob sie ihn vorwärts und verschwand hinter der Uhr.

Laut und durch das ganze Haus gellend ertönte der Schlag „Eins!“

Der Graf war außer sich vor Entzücken.

„Ein Uhr!“ schreit das Waldweib, – „Du bist der Hölle verfallen!“

Da schlägt es wieder!

„Herr Gott!“ ruft der Graf, „was ist das?“ Und wieder schlägt es.

Der Graf, außer sich, stürzt aus der Coulisse hinter die Uhr. „Satan! Verfluchter! willst du wohl gleich schweigen!“ – und er reißt das immerfort schlagende Werk (denn die kleine Hanstein hat in der Eile den Zeiger auf 12 gestellt) herab und schleudert es wüthend zu Boden, daß es in hundert Stücke zerbricht.

Ein Uhr“ – wurde in Lauchstädt nicht wieder gegeben.

Im Jahr 1857 starb Graf Hahn in Altona, wo ein Schlagfluß seinem bewegten Leben ein schnelles Ende machte. Ein scheinbar unerschöpfliches, mehr als fürstliches Vermögen und eine glänzende hohe Stellung im Leben hatte der Mann geopfert, alle Misère der kleinen Wanderbühnen durchgemacht, mit Noth und Elend, ja mit Hunger in des Wortes verwegenster Bedeutung, hatte er gekämpft, um seiner Theaterleidenschaft zu fröhnen, und doch haben alle diese enormen Opfer der deutschen Bühne nicht eines Schillings Werth Nutzen gebracht, und seinem Andenken nichts gesichert, als den unantastbaren Ruf eines originellen Sonderlings.





Auf der Schlittschuhbahn.

Von Berthold Sigismund.

„So gehn wir den schlängelnden Gang
Am langen Ufer schwebend dahin!“ –

„Wir schweben, wir wallen auf hallendem Meer,
Auf Silberkrystallen dahin und daher;
Der Stahl ist uns Fittich, der Himmel das Dach,
Die Lüfte sind eilig, sie schweben uns nach.“

So versuchten Klopstock und Herder unsere schönste Winterluft zu schildern. Aber was sind alle noch so flüssigen und leicht dahin gleitenden Rhythmen ihrer Verse gegen die schönen Wellenlinien, die der Schlittschuhläufer beschreibt? Vier unsrer größten Dichter (außer den genannten auch Goethe und Uhland), die als Jünglinge die herrliche Bewegung leidenschaftlich liebten und übten, haben das Schlittschuhlaufen besungen. Doch Laufen sollte die anmuthige Bewegung, die schaukelnd und wiegend über eine Spiegelfläche dahin trägt, gar nicht genannt werden; ist es doch vielmehr ein Gleiten, Schweben und Schwimmen, fast so leicht und schön, wie der oft beneidete Flug der Segler der Lüfte. Das Volk nennt es Schlittschuh-Fahren, und wirklich verhält sich das sanfte Gleiten auf stählerner Sohle zum Gehen und Laufen, wie eine Schlitten- oder Kahnfahrt, bei welcher die Insassen des Fahrzeugs kaum daran erinnert werden, daß sie auf dem rauhen und harten Boden der Wirklichkeit dahinschlüpfen, zum Fahren im alten, rumpelnden Postwagen.

Jedenfalls ist die Eisbahn einer der vorzüglichsten Reize, die unser Nord vor dem Süden voraus hat. Während der Italiener schauernd in seinem vom Kamin dürftig erwärmten Estrichzimmer sitzt und, die Hände über das qualmende Kohlenbecken haltend, den häßlichen Winter verwünscht: preisen wir die Annehmlichkeiten unserer kernhaften Frostzeit, wenn wir durch die frische, reine Luft, die wie erwärmender Wein in die Brust dringt, auf krystallener Fläche dahin fliegen, gleichsam losgesprochen von dem Gesetze der Schwere, das sonst unsere Sohlen an die Erde bindet; wenn wir in staubfreiem, reinluftigem Natursaale, den statt matter Kerzen die auf Millionen Reifkrystallen glitzernde Sonne beleuchtet, auf stählernen Flügelschuhen leichter und flüchtiger tanzen, als die wirbelnden Paare im prunkenden Ballsaale. Gewiß, hätte Homer den Eislauf gekannt, er hätte seinem flügelschuhigen Götterboten Stahlschuhe untergebunden und ihn über das gläserne Himmelsgewölbe dahin gleiten lassen.

Den höchsten Genuß findet der eifrige Fahrer, der seine Sehnsucht nach dem Eislaufe durch eine zehnmonatliche Entbehrung geschärft fühlt und gleich nach den ersten kalten Nächten, in denen der Fluß Treibeis führt, „seinen“ See oder Teich, oder auch nur „seine“ kleine Flußbucht aufsucht, wo das ruhige Wasser leicht erstarrt, wenn er als erster Entdecker seine Fahne auf einer neuen Eisinsel aufpflanzt. Ein auf den blanken Spiegel geworfener Stein hüpft klirrend und gurrend darüber hin bis zum andern Ufer, also die erste Probe wäre bestanden; nun wird vorsichtig der Saum der glasigen Decke betreten, sie schaukelt etwas, aber sie trägt; Glück auf, der erste Entdecker darf den jungfräulichen Boden, den noch nie ein Menschenfuß betreten, für eine Stunde sein eigen nennen! Glatt und glänzend breitet sich die Eisrinde über das braungrün durchscheinende Gewässer, hier und da schimmert eine perlweiße Luftblase oder das saftgrüne Blatt einer Wasserpflanze durch die glasige Decke, an einzelnen hervorragenden Schilfstengeln ist der Reif in prächtigen Gebilden angeflogen. Noch ist es nicht ohne Bedenken, die Mitte des dünnen Spiegels zu befahren, denn noch senkt er sich briezelnd[1] und knasternd unter dem Fuße, noch wird er durch leises Aufstampfen fast wie ein Spiegelglas zersplittert. Aber ein alter Praktiker weiß Grund und Boden rasch zu schätzen. Einen noch vollkommen blanken Spiegel, der sich bei jedem Schritte senkt und hebt wie eine athmende Menschenbrust, zieht er der dicken, starren Eisdecke, auf die sich auch Zaghafte wagen, eben so sehr vor, wie der Tänzer den elastischen Breterboden der Bühne einem Marmorgetäfel vorzieht.

Das Eis ist zart, aber es trägt. Nun wiegt sich der erfreute Fahrer sanft vorwärts, ohne einen Fuß vom Boden zu erheben, um nicht der zerbrechlichen Brücke durch jähen Druck zu viel zuzumuthen. „Kracht’s gleich, bricht’s doch nicht,“ ruft er, ungestört von dem etwas harten Klange des Uhland’schen Verses. Schon wagt er mehr zuversichtliche Bewegungen. In großen Halbkreiszügen, denen er durch leises Neigen und Schaukeln des Körpers in den Hüften, durch kaum merkliche Verrückungen des Schwerpunktes Rundung und Schwung verleiht, wandelt er weiter vom Ufer weg, bald in auswärts-, bald in einwärtsgekehrten Bogen, die er zu beiden Seiten der beabsichtigten Bahnlinie beschreibt, gleitet er sanft über die elastische Eisrinde, ohne sie zu ritzen. Denn kein Erfahrener fährt noch auf dem altüblichen Schlittschuh, dessen Stahlsohle mit einer Furche und zwei Schneiden versehen ist. Diesen schneidenden Kiel, der zwar einen sicheren Stand verschafft, aber auch viel schädliche Reibung und Hemmung verursacht, überläßt er dem Anfänger, der sich wohl thörichter Weise freut, beim Fahren und Einhemmen tiefe Schrammen in das glatte Eis zu reißen. Der Geübte wählt den holländischen Schlittschuh, dessen ebener Stahlkiel nicht einschmutzet und so wenig auf den Eisspiegel reibt, daß kaum eine Spur von dem eben beschriebenen Bogen zurückbleibt, ja daß sich der auf solchen Schuhen Stehende von einem mäßigen Winde auf glatter Fläche fast ohne alles eigene Schieben treiben lassen kann, wie ein Schiff. Kunststücke führt der ältere Fahrer selten oder nie aus. Sonst hat wohl auch der Ehrgeiz des Wetteifers den jungen Burschen getrieben, sich im Rückwärtsbogenfahren und im Ueberhüpfen von Hindernissen zu versuchen; sonst hat auch ihn wohl träumerische Sehnsucht bewogen, einen Namenszug, den er im Sommer in die Rinde einer Buche geschnitten, mit dem Stahle des Schlittschuhs in die Eisrinde zu ritzen. Aber der

  1. „Briezeln“ (von Brezel abgeleitet) nennt man in Thüringen recht bezeichnend den Laut, den eine frische Brezel oder ein dünner Eisspiegel beim Drucke hören läßt.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_122.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2019)