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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Bill Hammer.
Episode aus dem Bürgerkriege in Missouri.
Von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)


Eilig und mit gepreßtem Herzen machte sich der Bursche nach des Freundes Wohnung auf den Weg; dort fand er indessen Alles fest verschlossen, und nur der Wiederhall von innen antwortete auf sein immer verstärktes Klopfen. Einige Minuten stand er mit sorgenvoll gerunzelter Stirn, scharf überlegend in den dick überzogenen Himmel blickend; dann nickte er wie in einem gewonnenen Troste und wandte sich dem nächsten Hause zu. Er wollte die Runde durch die Wohnungen der ganzen Stadt machen, irgendwo mußte er auf seine Mutter treffen; denn konnte auch Fred durch irgend eine Nothwendigkeit zu einem augenblicklichen Verlassen des Orts gezwungen worden sein, so ließ sich doch dies bei ihr in keiner Weise denken. Und so trat er seine Wanderung an, sich von keinem der Hindernisse ermüden lassend, die sich fast mit jedem Schritte in seinen Weg stellten. Ueberall fand er die Häuser verschlossen, nur zaghaft und widerwillig ward ihm geöffnet oder auch nur durch die Thür nach seinem Begehren gefragt, und selten wurde ihm auf seine Frage mehr als eine kurze verneinende Antwort; – Niemand hatte seine Mutter gesehen, noch von ihr gehört, und selbst als er auf eine frühere Nachbarin traf, deren Haus gleichfalls niedergebrannt war, wurde ihm weder Auskunft noch Trost. Die Frau war erst, als der Rauch schon ihre Stube gefüllt, aus dem Bette geschreckt worden und wäre in dem Bemühen, sich zu retten, fast durch das beginnende Gewehrfeuer getödtet worden – sie hatte keine Ahnung, wie es ihren übrigen unglücklichen Nachbarn ergangen sei.

Immer kleiner ward die Zahl der Häuser, welche Bill noch zu durchfragen hatte, und immer mehr zog sich bei jeder neuen verneinenden Antwort dem Knaben das Herz zusammen – seine Mutter sammt Fred schienen völlig verschwunden zu sein, und er begann in seiner Angst sich jede Art von Möglichkeit, die dieses Verschwinden zu erklären vermöchte, zusammen zu stellen; sein aufgeweckter Verstand verwarf aber die entstehenden abenteuerlichen Gedanken fast eben so schnell, als sie sich gebildet hatten, und zuletzt blieben ihm nur noch zwei Annahmen, beide aber so gräßlich, daß er sie mit einer peinlichm Furcht immer noch in den Hintergrund seiner Seele drängte. Fred war zu Anfang des Ueberfalls gesehen worden – er mochte sich während dessen Bill’s Mutter erinnert und sie zu retten versucht haben; war er dabei in die Hände der wilden Rotte gerathen und seine Mutter ohne Hülfe in den Flammen umgekommen? oder waren Beide vielleicht als Opfer für die Rachsucht der Secessionisten hinweg geführt worden? Es war eine bekannte Thatsache, daß auf dem bisherigen Mordbrennerzuge weder Alter noch Geschlecht geschont worden war, wo es sich um Deutsche gehandelt.

In fieberhafter Hast setzte er seine Nachforschungen fort und fühlte nicht den wiederbeginnenden, vorn Winde gepeitschten Regen, vor dem sich selbst die bewaffneten Bürger nach geschützten Stellen zurückzogen; als aber in dem letzten Hause die Thür vor seinem Gesichte wieder zugeschlagen ward, als er sich überzeugte, daß innerhalb der improvisirten Befestigungen kein weiterer Ort sich befand, der für die Gesuchten einen Aufenthalt hätte abgeben können, da ward es ihm plötzlich, als solle die Angst und Ungewißheit ihn wahnsinnig machen; wie ein Riese hob sich der Gedanke, jede andere Vorstellung erdrückend, in ihm, daß er unter den Brandruinen der Häuser seiner Mutter Gebeine hervorzusuchen haben werde, und ohne selbst recht zu wissen, was er that, stürzte er die Straße hinab, den zerstörten Wohnungen zu. Er arbeitete sich durch die Barrikade und blieb mit zitternden Gliedern vor den schwarzen qualmenden Trümmern stehen, die ihm nicht einmal erlaubten, mit Sicherheit die Stelle anzugeben, wo eins oder das andere der Häuser gestanden.

Aus dem Chaos von Gedanken, stürmenden Empfindungen und dunklen Entschlüssen, welches in diesem Augenblicke sein Inneres durchwogte, riß ihn ein wiederholter, halbverdeckter Ruf. „Master William, ich habe Ihnen etwas zu sagen!“ klang es von Neuem, und Bill’s verstörter Blick traf auf das Gesicht des Schwarzen, mit welchem er beim gestrigen Verlassen von Anderson’s Farm das letzte Gespräch gehabt und der jetzt in einiger Entfernung sich scheu neben einer Gruppe von Büschen hielt. In der gegenwärtigen Stimmung des Knaben mußte alles ihm Begegnende Bezug auf die Vermißten erhalten, und die letzten Worte des Negers schienen ihm nur die endliche Beseitigung seiner Ungewißheit zu verheißen. Seine Stimmung sprang von der Verzweiflungsgrenze zur neuen Hoffnung über. „Halloh, Dick! warum kommt Ihr denn nicht heran?“ rief er, dem Schwarzen entgegen eilend.

„Darf nicht, Sir!“ erwiderte dieser, den Kopf in die Schultern ziehend und beim Nahen des Knaben völlig hinter das Gebüsch zurücktretend, „Mr. Anderson hält’s mit den Secessionisten, und so meinte der Mann mit der Flinte dort, ich müsse ein Spion sein. – Miß Alice hatte mich hergeschickt,“ fuhr er angelegentlich fort, „um Master William, wenn ich ihn träfe, doch um Gottes Willen zu bitten, schnell einmal nach der Farm zu kommen!“

„Sie weiß etwas von meiner Mutter oder von Fred Minner?“ fragte Bill hastig.

„Kann’s nicht sagen, Master Will, aber ich glaube, sie erwähnte Mr. Minner – jedenfalls muß es recht nothwendig sein, um was sie mich schickt!“ war die eilfertige Antwort. „Es ist ein Theil von den Secessionisten in Mr. Anderson’s Hause, die, wie es heißt, in der Nacht noch Verstärkung erwarten, und Miß Alice befahl mir deshalb, Sie nur heimlich und auf ganz sichern Wegen nach der Farm zu bringen.“

„Etwas muß sie wissen, wär’s auch jetzt nur von Fred!“ murmelte Bill, wie sich allen Zweifeln entreißend. „Vorwärts, Dick, ich bin fertig!“ rief er, sich den Hut fester auf den Kopf drückend, und mit einem Nicken der Befriedigung nahm der Schwarze seine Richtung durch den sprühenden Regen quer über das offene Land dem Walde zu.

Die Dunkelheit begann schon hereinzubrechen, als Beide nach einem mühseligen Wege sich durch ein nasses Maisfeld nahe dem Farmhause arbeiteten und Dick endlich den Knaben bat, hier ein Weilchen zu warten, damit er nachsehen könne, wie weit ihr fernerer Weg sicher sei. Der Schwarze verschwand, und Bill stand zwischen den tropfenden Maisstengeln, bemüht, einen frostigen Schauer von sich zu schütteln. Ueber ihm brauste der Sturm durch die Bäume, aus der Farm klang zeitweise ein halbverwehtes Lachen herüber, das dem Knaben die gefahrvollsten Augenblicke der letzten Nacht wieder vor die Seele rief, und ein Gefühl wie Heimathslosigkeit überkam ihn. Hier, wo er das letzte Jahr sein Brod gehabt, durfte er sich nicht mehr zeigen, sein mütterliches Haus war niedergebrannt, und kaum hätte er, seit Fred verschwunden war, gewußt, wo für die nächste Nacht ein Obdach zu finden, wenn es ihm nicht irgendwo aus Barmherzigkeit gewährt wurde. Aber nur für eine kurze Zeit behielt das Gefühl des Zagens in ihm die Oberhand; dann verwandelte sich sein ganzes Denken und Empfinden in einen grimmigen Haß gegen die Secessionisten, die das gesegnete Land in’s Elend stürzten und alles Familienglück vernichteten, wo sie nur auftraten; er hätte einen Eid schwören mögen, sie mit ewiger Feindschaft zu verfolgen und des eigenen Lebens dabei nicht zu achten – und die aus den eigenen Gedanken sich entwickelnde Erregung begann ihn warm zu machen, daß bald Nässe und rauhe Luft ihren Einfluß auf ihn verloren. Erst nach fast einer Viertelstunde stellte sich Dick wieder ein, kaum war aber dem Knaben die Zeit bis dahin lang geworden, und als dieser jetzt dem Schwarzen folgte, fühlte er eine Energie in sich, die ihn vor dem schwierigsten Unternehmen, sobald es sich nur gegen die Secessionisten richtete, nicht hätte zurückschrecken lassen.

Es war bereits so dunkel geworden, daß Beide, ohne besonderer Vorsicht zu bedürfen, ungesehen nach einem kleinen Hintergebäude gelangten, das zur Aufbewahrung der Feldgeräthschaften diente, und kaum hatte hier der Schwarze die Thür geöffnet, als ihnen auch Alice Anderson, von einer Handlaterne beschienen, in sichtbarer Aufregung entgegentrat. „Halte Wache, Dick, und benachrichtige uns bei Zeiten, sobald Jemand hierherkommt!“ sagte sie; und kaum hatte der Schwarze den Raum verlassen, als sie


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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_127.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)