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Verdammniß“ verfallen. Diese Besorgnis erklärt sich aus dem Umstande, daß er hauptsächlich gegen die damals den Staat und alle Wissenschaften beherrschenden Theologen und für das von denselben, seiner Meinung nach, verunstaltete Naturrecht ankämpfen zu müssen glaubte. Er hielt z. B. dafür und sprach es bald genug offen aus, daß die Vielweiberei, der Selbstmord etc. nur nach gemachten Gesetzen untersagt und ebenso die priesterliche Trauung, der äußerliche Gottesdienst etc. geboten sei; daß die zehn Gebote nicht überall Moral, noch die ganze Moral enthielten; daß die Todesstrafe nicht zu rechtfertigen sei; daß keine weltliche Macht das Recht habe, Strafen wegen des Glaubens anzuordnen; daß man Mängel in dem Staate, in welchem man lebe, allerdings rügen dürfe; daß die Majestät der Könige nicht unmittelbar von Gott komme, und daß der Streit über alle diese Dinge die Theologie gar nichts angehe.

Aber nicht bloß die Anmaßung und die Macht der Theologen griff er an, er verhöhnte auch das Zopfthum der deutschen Gelehrten und wies die traurigen Wirkungen desselben nach. Er rügte und verspottete ihre Grobheit und Rohheit und wollte die Gelehrsamkeit nicht nur mit dem Tone der feinen Welt – damals Hofton genannt – vereinigt wissen, sondern auch die Wissenschaft für das Allgemeine nutzbar gemacht sehen und in solcher Weise die Bildung in immer weiteren Kreisen verbreiten. Er wußte recht wohl, wie weit zu seiner Zeit das deutsche Volk z. B. dem französischen an Aufklärung und die deutsche Sprache allen anderen an Ausbildung nachstand. Den Hauptgrund fand er darin, daß die französischen Gelehrten in ihrer Muttersprache schrieben und sonach Alle die Bücher lesen konnten; deshalb nahm er sich vor, ebenfalls dem Lateinischen so viel als möglich zu entsagen und in seiner lieben deutschen Sprache zu schreiben, die damals so höchst ungelenk und namentlich mit lateinischen und französischen Flickflecken verunstaltet war. „Es schrieben ja,“ sagt Thomas, „die griechischen Philosophen nicht hebräisch, noch die römischen griechisch, sondern ein Jeder seine Muttersprache. Die Franzosen wissen sich dieses Vortheils sehr wohl zu bedienen; warum sollen denn wir Deutsche stets von Andern uns auslachen lassen, als ob die Gelehrsamkeit in unserer Sprache nicht vorgetragen werden könnte?“

Und er schrieb und er hielt Vorlesungen in deutscher Sprache. Wir können uns jetzt kaum eine Vorstellung von dem Aufsehen machen, das seine Neuerung erregte, obgleich die Herrschaft der lateinischen Sprache auf den Universitäten erst in den letzten Jahren unserer Zeit ganz gebrochen worden ist und die Nachwehen der Sprachmengerei aus deutschen Schriften heute noch nicht ganz verschwunden sind.

Weil also dem rührigen Manne die Ausbildung der Muttersprache, die Verbreitung nützlicher Kenntnisse und damit die Ausrottung der Pedanterie und Heuchelei am Herzen lag, unternahm er es, eine periodische Schrift in deutscher Sprache herauszugeben. Sie erschien von Januar 1688 an zunächst unter dem Titel: „Scherz- und ernsthafte, vernünftige und einfältige Gedanken über allerhand lustige und nützliche Bücher und Fragen. Von der Gesellschaft derer Müßigen. Frankfurt und Leipzig, bei Weidmann.“ (Der Beisatz „von der Gesellschaft der Müßigen“ blieb schon auf dem zweiten Hefte weg.) Jedem der monatlich erscheinenden 5 bis 6 Bogen in kleiner Buchform starken Hefte war ein meist allegorischer und satirischer oder erläuternder Kupferstich beigegeben, denn Thomas wußte schon, wie er in der Vorrede sagt, „daß die Menschen durchgehends gern bildern.“

Kühn genug begann er sein Unternehmen mit einer Zuschrift an „Tartüffe“ und „Barbon“ –einen Heuchler und einen Pedanten – weil er gegen diese seine Angriffe vorzugsweise zu richten gedachte. Die Form, in der er schrieb, war für jene pedantische Zeit ziemlich geschickt, denn er sah auf Unterhaltung seiner Leser und auf Mannigfaltigkeit. Er bringt nämlich in jedem Hefte eine Gesellschaft von mehr oder weniger Personen zusammen, die sich über „Bücher und Fragen“ besprechen und zwar meist in scherzendem und spottendem, bisweilen aber auch in sehr ernstem Tone. So beginnt er das erste (Januar-) Heft in folgender Weise: „Die Leipziger Neujahrsmesse begunte nunmehr herbey zu nahen, und diejenigen, so auf selbiger entweder in Handel und Wandel oder wegen anderer Geschäfte etwas zu verrichten hatten, stellten sich allmählich daselbst ein; als vier einander sonst unbekannte Personen aus einer Landkutsche aus Frankfurt a. M. ausführen, des Vorhabens, auch ihres Orts sich in diese sowohl von den Studien als der Handlung berufene Stadt zu machen, wiewohl in unterschiedenem Absehen etc.“

Seine „deutschen Monate“, erzählt Thomas, „brachten die ganze Heerde der Heuchler und Pedanten“ gegen ihn in Aufruhr. Sie nannten ihn einen unruhigen, ungläubigen und streitsüchtigen Menschen, weil er sich nicht scheute, Glaubenssätze und Einrichtungen anzutasten, bei denen sich „die Heuchler und Pedanten“ so lange gar wohl befunden hatten. Gleich in dem ersten Hefte, in dem auch von „Liebesromanen“ die Rede ist, sagt er, Niemand lese dieselben, zumal die schmutzigsten, eifriger als die frommen Heuchler, die, wenn man sie bei der Lectüre solcher Bücher überrasche, kopfschüttelnd erklärten, auf den Inhalt achteten sie nicht, nur an der schönen Sprache, in der sie geschrieben, und an der geistreichen Erfindung hätten sie ihre Freude. „Ich wollte wetten,“ läßt Thomas Einen der vier Reisenden in der Landkutsche sagen, „daß unter hundert jungen Leuten, die in der Bibel die Geschichte von Joseph und des Potiphar’s Gemahlin lesen, ungeachtet der „heilige Geist“ dieselbe schlechtweg und ohne Bewegung eines Affects geschrieben hat, doch kaum Einer oder der Andere sein werde, der in seinem Herzen den Joseph nicht für einen albernen Tölpel hielt oder wohl gar wünsche, daß ihm dergleichen Gelegenheit begegnen möchte, und sich dabei in seinen Gedanken delectirt, wie er dieselbe sodann sich besser als Joseph zu Nutze machen wollte; was denkt aber ein junger Mensch bei sich, wenn er jene Geschichte weitläufiger geschrieben lieset, wie solche Daniel Greissensohn in seinem „keuschen Joseph“ mit artigen Erfindungen ausgeschmückt und die beweglichen Reden der Sapphira (der Frau Potiphar’s) dazugesetzt hat?“

Leipziger Professoren beschwerten sich denn auch bereits nach dem Erscheinen der ersten beiden Hefte und trugen in Dresden auf Bestrafung des Verfassers, sowie auf Unterdrückung der Schrift an. Um der letzten: zu entgehen, that Thomas schon, was seitdem Viele ebenfalls zu thun genöthigt gewesen sind –; er ließ seine Zeitschrift von dem dritten Hefte an in einem Nachbarstaate, und zwar in Halle, drucken. Und nun schrieb er noch entschiedener. Er verspottete die Mängel der akademischen Verträge, die unglaubliche Unwissenheit der meisten Gelehrten in wichtigen Fächern, äußerte sich rückhaltslos über die Unduldsamkeit der Protestanten, über die Mißbräuche bei der Censur, über das Lächerliche des damaligen Proceßverfahrens, über schlechte Prediger, namentlich aber übergoß er die Anhänger der herrschenden aristotelisch-scholastischen Philosophie mit der schärfsten Lauge seines Witzes. Das ganze Aprilheft füllte er mit einem Romane aus dem Leben des Aristoteles, in dem er in der beißendsten Weise schilderte, wie die Herren Philosophen Alles besser wissen und Alles ergründet haben wollen, darum hochmüthig auf alle Anderen herabsehen, ja, sich sogar den Frauen gegenüber für unwiderstehlicher halten als alle anderen Männer. So erzählt er z. B., Aristoteles habe die vier Farben der Spielkarten erfunden, um seine Lehre von den vier Elementen auch den gemeinen Leuten von Jugend auf beizubringen, weil er wohl gewußt, daß die Kinder eher mit der Karte spielen lernten, als sie ihren Katechismus auswendig könnten. Den König Philipp aber habe der Philosoph veranlaßt, eine Verordnung ergehen zu lassen, daß die Bürger wenigstens einmal des Tages spielen müßten etc.

Es konnte nicht fehlen, daß man dem freimüthigen Spötter alle möglichen Schandthaten, Religionsverachtung, Majestätsverbrechen etc. schuld gab. Man kam wirklich bei dem Oberconsistorium in Dresden mit der Klage ein, „er bringe ehrenrührige Beschuldigungen gegen die Professoren vor, mache die Wissenschaften lächerlich, die doch unter dem Befehl und dem Schutz des Landesherrn gelehrt würden, und vergreife sich dadurch auf das Frechste an Seiner Durchlaucht höchstem Ansehen selbst; er bediene sich einer spöttischen und ärgerlichen Schreibart und dazu in deutscher Sprache, so daß auch der gemeine Mann ihn lesen könne; er lästere Jedermann und besonders seine ehemaligen Lehrer, verachte die Religion, spotte der Prediger und ihrer Predigten und habe sogar einige Tage vor dem Genusse des Abendmahls eine Schmähschrift gegen seinen Beichtvater (Carpzov) aufgesetzt, außerdem aber auch, gegen die Verfassung der Universität, eigenmächtig einen Hörsaal in seiner Wohnung eingerichtet.“

Seine Hauptgegner waren drei Theologen in Leipzig, der bereits genannte Carpzov, Alberti und Pfeifer, von denen der letztere sogar häufig von der Kanzel herab gegen des verhaßten Mannes

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_135.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)