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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Schriften und Aussprüche donnerte. Thomas aber vertheidigte sich gegen die Anklagen, die wider ihn gerichtet waren, so vortrefflich, daß er für diesmal noch ohne Strafe ausging. Dies ermuthigte ihn, als Bild zu dem ersten Halbband seiner „Monate“ aus Moliere’s „Tartüffe“ die Scene mit dem Busentuche stechen zu lassen. Mit seinem Muthe aber wuchs auch die Zahl und die Erbitterung seiner Feinde, wie die Gefahr für ihn. Im Jahre 1689 begannen in Sachsen die unglückseligen Zänkereien wegen der „Pietisten“. Die vortrefflichen Männer Spener in Dresden und Franke (nachmals Stifter des großen Waisenhauses in Halle) drangen nämlich auf eine gründlichere Bildung der jungen Theologen, besonders auf genaue und richtige Kenntniß der Bibel. Zu diesem Zweck veranstalteten sie Vorlesungen. Dies war den alten Professoren eine gräuelvolle Neuerung, und sie traten, wie gegen Thomas, so auch gegen jene beiden „Neuerer“ auf, denen sie den Spottnamen „Pietisten“ gaben. Wie die Partei der Pietisten später ausartete, gehört nicht hierher. Genug, Franke sollte sich einer Untersuchung bei der Leipziger Universität unterwerfen und wählte sich Thomas als juristischen Beistand. Dieser schrieb ein sehr klares, aber ziemlich heftiges „Bedenken“, das ihm neue Feinde zuzog. Dazu kam ein Fall, der ihn bei dem Hofe in Dresden selbst, wo er bis dahin Schutz gefunden hatte, sehr unbeliebt machte. Der letzte Herzog von Sachsen-Zeitz vermählte sich 1689 mit einer reformirten Prinzessin, der ältesten Tochter des großen Kurfürsten von Brandenburg. Da nun der Haß der Lutheraner gegen die Reformirten in Sachsen groß war, so erregte jene Heirath, die überdies gegen die Pläne des Kurhauses verstieß, gewaltigen Aerger. Es erschien dagegen eine Schrift (von dem Propst Müller in Magdeburg). Thomas, der eifrige Vertheidiger der Glaubensfreiheit, gab sofort eine Gegenschrift heraus, die wichtige Folgen für ihn haben sollte; denn sie machte ihn zuerst dem Hofe zu Berlin bekannt. Er selbst erzählt, er habe seine Schrift nach Zeitz geschickt, sei darauf von dem Herzog eingeladen, sehr gütig aufgenommen und nach zwei Tagen mit einem Geschenk von 100 Thalern entlassen worden. „Nun kann ein Jeder,“ fährt er fort, „leicht erachten, daß in dem Zustande, in welchem ich damals lebte, dieses Alles ein nicht geringes Vergnügen bei mir erweckt haben müsse.“ Bei seiner Rückkunft von Zeitz fand er überdies ein Schreiben aus Berlin mit der Anzeige, daß der Kurfürst seine Schrift gnädig angesehen und befohlen habe, ihm dafür 100 Ducaten auszuzahlen. „Dieses erfreute mich um so mehr, weil ich nicht darum gebettelt, ja nicht einmal ein Exemplar nach Berlin an Jemand befördert hatte.“

Auf der andern Seite aber behauptete ein Wittenberger Theolog, Löscher mit Namen, Thomas habe in seiner Schrift zu Gunsten der Reformirten „dem (enthaupteten) Kanzler Krell das Wort geredet und die frommen Vorfahren Sr. Durchlaucht in dem, was sie zur Erhaltung der reinen lutherischen Lehre gethan, schändlich gelästert.“ In Leipzig selbst hielt man Vorlesungen und Predigten gegen ihn als Atheisten. Nur um sich mit gleichen Waffen zu vertheidigen, begann Thomas vor vielen Zuhörern Vorlesungen über den Unterschied des Rechtes und des Anständigen. Das nannten seine Feinde „Gewaltthätigkeit“ und klagten von Neuem. Jene Vorlesungen wurden ihm untersagt; aber Thomas war nicht der Mann, der sich leicht, schrecken ließ. Er las sofort „über die Vorurtheile“ und schilderte darin unter andern „den echten Christen im Gegensatz zu den Heuchlern“, von denen er vierzehn Kennzeichen angab, z. B. daß sie von Menschen gemachte Bekenntnißschriften der Bibel gleichhielten, bei Streitigkeiten sich mehr auf jene menschlichen Bücher beriefen etc. Alsbald erfolgte die Klage gegen ihn, daß er „Dinge, die er zu lehren keinen Beruf habe, in seinen Vorlesungen abhandele, auch oft in seiner Monatsschrift, was von Predigern auf der Kanzel dem Worte Gottes gemäß vorgetragen, auf das Schimpflichste durchhechele.“

Der dänische Hofprediger und Professor der Theologie, Masius in Kopenhagen, ließ in einer lateinischen Abhandlung drucken, daß nur der lutherische Glaube die Throne aufrecht erhalte, denn nur dieser lehre, daß die Obrigkeit unmittelbar von Gott sei und die Unterthanen selbst einem mit Gewalt eindringenden Fürsten wegen der unverletzlichen Majestät desselben nicht widerstehen dürften, daß also nur der lutherische Glaube den Regenten die höchste Sicherheit gewähre und deshalb vor allen Religionen den Vorzug verdiene; denn die Reformirten, Puritaner etc. lehrten, daß Könige durch das Volk abgesetzt werden dürften, daß man Gewalt mit Gewalt vertreiben könne, weil die Obrigkeit nicht unmittelbar von Gott komme, sondern in dem Volke wurzele. Diese Schrift nahm Thomas in dem Decemberheft seiner Zeitschrift mit Ernst und Würde vor, obgleich er es auch an geeigneten Stellen an starken Ausdrücken nicht fehlen ließ. Er erklärte darin, daß die Majestät allerdings von Gott komme, aber nicht unmittelbar, sondern eigentlich von dem Volke, daß die Anklage gegen die Reformirten höchst ungerecht und ein Hinderniß der so wünschenswerthen Vereinigung der beiden evangelischen Parteien sei etc.

Die Leipziger sorgten natürlich, daß der Herr Hofprediger in Kopenhagen ein Exemplar der Schrift erhielt. Dieser schrieb nicht nur klagend an einen hochgestellten Mann in Dresden, daß ein lutherischer Professor an einer lutherischen Universität ihn in solcher Weise angegriffen, sondern verfaßte auch eine plumpe und fade Schmähschrift unter dem Namen Peter Schipping gegen Thomas. An dieser hatten die bekannten drei theologischen Freunde so großes Wohlgefallen, daß sie dieselbe nachdrucken ließen, um ihr um so größere Verbreitung zu geben. Thomas nahm aber das ganze Machwerk in seine Zeitschrift auf und spickte es mit zahlreichen ernsten und witzigen Anmerkungen, so daß er die Lacher ganz auf seine Seite brachte. Solche „Frechheit“ konnte nicht ungestraft bleiben; Masius setzte Himmel und Hölle in Bewegung und vermochte in der That seinen König Christian V., in heftigen Ausdrücken bei dem Hofe in Dresden sich über Thomas zu beschweren, der „sich vermessentlich unterstanden, ein von einem k. Professor mit des Königs Vorwissen und Approbation publicirtes Scriptum mit groben Anzüglichkeiten anzufechten, auch von der Majestät und Gewalt, so alle Potentaten und Prinzen unmittelbar von Gott haben, ganz verkleinerlich zu schreiben.“ Darum bat der König, daß Thomas „wegen seiner ärgerlichen Schriften förderlichst zu Rede gestellt und nicht allein das, was er gegen die Fürsten zu behaupten sich erkühnt, sondern auch die gegen Ehren Masius ausgestoßenen Injurien zu verneinen angehalten, auch deshalb Andern zum Abscheu gebührlich bestraft werden möge.“ In Dresden ging man bereitwillig auf diesen Antrag ein. In einem Rescripte an die Universität wurde das, was Thomas gethan, „ungebührlich, befremdend und zu mehrerern Mißfallen billig veranlassend“ genannt und ihm verboten, ohne vorhergegangene Leipziger Censur, auch auswärts, etwas drucken zu lassen. Dabei blieb es aber nicht, denn noch war keine Entscheidung über die früheren Leipziger Beschwerden und über die Wittenberger Denunciation erfolgt. Diese erschien jetzt und lautete in Bezug auf die erstern, daß „dem Thomas ernstlich und bei Strafe von 200 Gulden alles Collegienlesen und Disputiren, es geschehe öffentlich oder privatim, oder auf was für Art und Weise es wolle, sowie jede Herausgebung irgend welcher Schriften bis auf weitere Verordnung untersagt werde,“ in Bezug auf die letztere aber: „daß man sich seiner Person versichern und dann gegen ihn peinlich inquiriren solle.“ Den ersten Befehl ließ man in Leipzig sogleich bekannt werden, den zweiten hielt man aber absichtlich geheim, da man die Absicht hatte, in dem Termin, in welchem man Thomas den ersten mittheile, sogleich den zweiten zu veröffentlichen und bei dieser Gelegenheit sofort ihn zu verhaften.

Thomas war verheirathet, hatte keine Besoldung und lebte von dem, was ihm seine Vorlesungen und seine Bücher einbrachten. Er wäre also verloren gewesen mit seiner Familie, wenn jene Befehle hätten zur Ausführung kommen können. Er hatte aber Aehnliches vermuthet und sich für solche Fälle vorbereitet. Er wartete nicht, bis man ihm die Rescripte vorlas, sondern reisete heimlich von Leipzig ab nach Berlin, um dort die Erlaubniß zu erbitten, sich in Halle niederlassen und Vorlesungen halten zu dürfen. Seine Feinde waren um so aufgebrachter als sie ihre Rache an Thomas nicht kühlen konnten. Wenigstens nahm man Alles in Beschlag, was er in Leipzig zurückgelassen hatte, und der Schöppenstuhl erkannte, „daß er zum Arrest zu bringen und gegen ihn mit Specialuntersuchung zu verfahren sei.“ Das geschah im März 1690. Masius in Kopenhagen aber war damit nicht zufrieden. Er hatte bereits früher einen Befehl von seinem König erwirkt, der im März 1691 ausgeführt wurde. Die Hefte der Monatsschrift von Thomas, in welchen Masius angegriffen war, wurden auf offenem Markt in Kopenhagen von Henkers Hand verbrannt und der Verfasser derselben für ehrlos erklärt.

Der brandenburgische Staatsminister Eberhard v. Dankelmann dagegen erwarb sich den unvergänglichen Ruhm, den aufgeklärten und verfolgten Thomas freundlich aufgenommen und für

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_136.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)