Seite:Die Gartenlaube (1862) 139.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

sollen die Abgeordneten dieser Partei handeln. An ihnen wird es liegen, dies ehrenvolle Mandat zu erfüllen.

Die äußerste Linke ist von den polnischen Abgeordneten besetzt, ihrer zwanzig. Sie sind vorzugsweise die Vertreter eines sich unterdrückt wähnenden, ihres Vaterlandes beraubten Volks, welche mehr oder minder auf die Wiederauferstehung Polens hoffen, mehr oder minder als lebendige Proteste einer früheren unseligen Politik auftreten. Sie grollen nicht einem politischen System, sondern vor Allem der deutschen Nationalität, dem preußischen Staate; sie sind Feinde der Plätze, die sie im Hause einnehmen, und die Beredsamkeit, die viele unter ihnen haben, entflammt sich nur durch den Haß, den sie austönen. Polen sind es, welche ein besonderes Recht beanspruchen, nicht Preußen sein zu müssen, als durch die Gewalt der Umstände. Einzelne tragen sogar den Nationalrock. Sie sind in Wahrheit eine principielle Opposition, nicht gegen eine Partei, sondern gegen das ganze Haus. Wenn sie stimmen, so wägen sie ihr Votum nach ihren Nationalinteressen ab; wie bei den Katholiken sind auch bei ihnen politische Parteigrundsätze nicht in Betracht zu ziehen – sie sind wie Fremde, welche bei den Berathungen über das Vaterland nicht dessen Wohl, sondern das ihrige im Auge haben. Da auch sie meist Katholiken sind, so stimmen sie oft mit dem Centrum; da sie aber auch ihre Adelsherrlichkeit, die Souverainetät der feudalen Zeit über Bauern und Gerichtsbarkeit nicht vergessen können, so halten sie es oft mit den preußischen kleinen Herren.

Wir glauben hiermit die Vertretung der verschiedenen Parteien im Abgeordnetenhause und ihr charakteristisches Wesen genügend bezeichnet zu haben. In den weiteren Fortsetzungen dieses Aufsatzes und bei der Portraitirung der hervorragendsten Persönlichkeiten werden wir die einzelnen Schattirungen schärfer präcisiren können.

Vor allen Dingen ist aber eine nähere Kenntniß der Minister von Nöthen, um welche sich ein großer Theil der diesmaligen Parteipolitik dreht. Wir haben bisher nur erwähnt, wo die Ministerbank im Abgeordnetenhause sich befindet; denken wir uns nun von den Ministern diejenigen auf ihren Plätzen, welchen die Temperatur hier noch angenehm ist, oder welche vornehmlich ein Interesse daran haben, diese Temperatur kennen zu lernen.

Derjenige Minister, welcher am häufigsten den Sitzungen des Abgeordnetenhauses beiwohnt und sich hier am wohlsten zu fühlen scheint, ist der des Innern, Graf Schwerin-Putzar. Er repräsentirt in seiner äußeren Erscheinung den rechten Pommer – eine gedrungene, behäbige Gestalt mit dem gutmüthig biederen Gesicht eines Amtmanns. Natürlichkeit und Ungenirtheit kennzeichnen sich in der Haltung, in den Bewegungen, in der Physiognomie dieses Sprößlings des berühmten preußischen Heldengeschlechts. Wer den Grafen zum ersten Mal steht, möchte glauben, es sei ein Rittergutsbesitzer, der die ministeriellen Geschäfte mit der Seelenruhe eines Bureaukraten besorgt und der das Abgeordnetenhaus wie seinen Familiensalon betrachtet, in dem die Angehörigen ihr vergnügtes Spiel treiben. Vater Schwerin hat seine Freude daran; er sieht dem Treiben mit Behaglichkeit zu, oder er besorgt ein paar Arbeiten für sich, oder er säugt auch aus Langeweile mit einem Collegen wie mit einem Vetter an zu plaudern, oder er läßt sich von einem Abgeordneten eine Geschichte erzählen, oder er geht in die anstoßende Restauration, um seine Cigarre zu rauchen. Bei den Debatten giebt er, wenn er sich auch mit andern Dingen beschäftigt, streng Obacht; man erkennt dies daraus, daß er nach dem harmlosesten Ausfall auf die Autorität der Regierung sich in seiner patriarchalischen Gemüthlichkeit erhebt, um die Attaque abzuschlagen oder auch mit gut angebrachtem, etwas kaustischem Sarkasmus den Frevler zurecht zu setzen. Namentlich wenn Einer von der Seite kommt, wohin die Excellenz öfter unter der Brille hinweg wie prüfend blinzelt, überkommt dieselbe eine Kampflust, die in ein paar gewandten Hieben sich Lust macht. Edelmännische Geradheit ist diesem Minister ohne Zweifel ebenso eigen wie der beste Wille, liberal und ein strenger Hüter des Gesetzes zu sein. Dies Bewußtsein genügt ihm, und es soll seiner Ansicht nach auch den andern Menschen genügen. Schon 1848 war Graf Schwerin ein Mann vom allerbesten Willen; aber er wird seitdem wohl schon manchmal gedacht haben, daß es mit dem besten Willen nicht immer gethan und daß es viel leichter ist, namentlich unter Umständen wie die jetzigen, ein Minister zu sein, der liberal ist, denn ein liberaler Minister. Bis vor drei Jahren führte der Graf die freisinnige Opposition, jetzt möchte er am liebsten, es opponirte ihm Niemand noch liberaler, „sonst hört der Spaß auf“ und der Herr Minister tritt ab, um zu sehen, ob Andere ihre schönen Reden besser und schneller als er in ebenso schöne Thaten verwandeln können.

Auch der Freiherr von Patow, der Finanzminister, gehört zu den ziemlich regelmäßigen Besuchern der Sitzungen des Abgeordnetenhauses. Jedenfalls ist ihm die Temperatur hier angenehmer als im Herrenhause, und wenn auch einige scharfe Examina und Angriffe ihm weder erspart wurden noch in Zukunft werden, so weiß der Herr Minister aus seinen Erfahrungen als Abgeordneter, daß nicht Alles so schlimm ist, wie die Worte vermuthen lassen. Ein Finanzminister ist nie auf lange Zeit populär. Herr von Patow muß dies wissen oder ahnen; in seinem echten Diplomatengesicht mit der Fuchsnase und dem ewigen parlamentarischen Lächeln liegt etwas wie Verschmitztheit. Seit dem Jahre 1848, als Herr von Patow zum ersten Mal Minister wurde, ist er stärker geworden, natürlich auch älter; das Haar ist dünn und grau. Auch scheint es, als wenn in letzter Zeit die Bewegungen, die Haltung nicht so sicher sind. wie sonst; die Eleganz, die freundliche Vornehmheit maskirt eine Verlegenheit und eine gewisse Angst vor einbrechenden Donnerwettern. Durch das Duell mit Herrn v. Rochow vor acht oder neun Jahren erhielt Herr v. Patow eine liberale Glorie, die nun schon so abgeblaßt ist, wie, man das Duell vergessen hat. Als Abgeordneter schoß er mit die spitzigsten Pfeile auf die Manteuffelei und war namentlich eifersüchtig auf Beobachtung der Verfassung. Wie es im Allgemeinen eine psychologische Merkwürdigkeit ist, daß liberale Minister oft die illiberalsten Forderungen stellen, so hat Herr v. Patow auch den seltenen Ruhm eines preußischen Finanzministers, ein Deficit geschaffen zu haben und mit ihm ganz gut auskommen zu können. Als gewandter Rechenkünstler baut er die Summen des Budgets zusammen und vernimmt lächelnd die Anklagen und Kritiken der Opposition – hat er sonst doch auch die Finanzen kritisirt.

Noch ist der Handelsminister v. d. Heydt nicht zu vergessen. Zwar neigen sich seine Sympathien vornehmlich dem edelgesinnteren Herrenhause zu; aber ein gescheidter Mann tritt seinen Feinden sorglos entgegen und imponirt durch Gleichgültigkeit gegen niedrige Angriffe. Darum findet sich dieser Minister oft auf der Ministerbank des Abgeordnetenhauses ein. Aalglatt muß man als den Eindruck bezeichnen, den seine Erscheinung macht; das Gesicht ist das eines treuen Dieners, und der etwas gekrümmte Rücken zeugt von einer oft geübten Beschäftigung. Herr v. d. Heydt hat viele Verdienste um den Staat. Er führte statt der Gewerbefreiheit die berühmte Gewerbeordnung ein, erließ das Eisenbahngesetz und mäßigte nur in Folge der großen Vollkommenheit seiner Verwaltung den Eifer früherer Jahre. Mit seinem Namen getaufte Straßen, Brücken und Schiffe beweisen die Anerkennung, die seinen Leistungen schon bei Lebzeiten wurde. Mit bewundernswerther Kunst hat dieser Beamte sich in allen Stadien unseres Verfassungslebens oben zu halten gewußt und aus patriotischer Hingebung zur Sache es verachtet, daß man den langjährigen und treuen „Diener der Krone“ wegen seiner standhaften Ausdauer geschmäht. Es giebt eine Partei, die ihm den Tod geschworen; sie hat im Abgeordnetenhaufe bereits ihre Artillerie auf Herrn v. d. Heydt postirt. Herr v. d. Heydt weiß es. Er tritt gewandt, leichtfüßig in den Saal, schwingt sich in seinen Stuhl, mustert seine Feinde bescheidenen Blicks und entschwebt dann bald wieder, wenn er sich überzeugt, daß die Kanoniere die Lunten noch nicht angebrannt haben.

Im nächsten Artikel werden wir speciell die interessantesten Mitglieder der deutschen Fortschrittspartei zu charakterisiren versuchen, dann die der sogenannten gouvernementalen Partei, der mittleren Fractionen und der Polen.

S.W.



Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_139.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)