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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

unterstützt man, vom ersten Schreien der Wand an, dieselbe mit einer großen Anzahl mannsstarker Stempel von kräftigem Holz, um dem allzuplötzlichen Sturze vorzubeugen.

Sorgsam legt der gewissenhafte Bruchmeister zwischen einige dieser Stempel und die Felsendecke, alte Tassen, Pfeifenköpfe oder die Scherben des Bierseidels, das bei der letzten Flucht von stürzendem Gestein zerschlagen wurde. Das allergeringste Herabrücken der „Wand“ zerdrückt diese Scherben dann mit lautknirschendem Klirren. Dies ist den in der Höhlung Arbeitenden dann das Signal zu eiliger Flucht. Kaum aber haben die Symptome der Bewegung wieder aufgehört, hat die Wand sich wieder „gesetzt“, so sieht man auch die. tollkühnen Steinbrecher wieder in die schauerliche Gruft der „Höhlung“ kriechen, und auf’s Neue hört man, tief hinten in der feuchten, niedrigen, lichtlosen Kluft, allenthalben Eisen auf Stein klingen, beschäftigt, die Höhlung tiefer zu machen.

Nach den ersten deutlichen Bewegungen der „Wand“ hört das Knacken, Knallen und zornige Poltern im Innern des in seiner Ruhe gestörten steinernen Riesen nicht auf. Da hört man Sand rieseln, Kiesel in Spalten kollern; Gesteinschalen lösen sich und schlagen klatschend herab, Felsbänke verschieben sich mit tiefem, mächtigem Knirschen, und in den oben erwähnten Losen lockert sich Geröll und Lehm und zeigt die tief hineingehenden, trennenden Spalten. Und endlich löst sich auch der moosige Waldboden auf dem Kamme der Wand! Die alten Stämme, die seit hundert Jahren die Zweige im Sturme kämpfend verschränkten, rücken auseinander; die uralt verschlungenen Wurzeln zerren sich wundgerungen aus dem dichten Geflecht, das zerrissene Moos hängt in Festons in der neuentstandenen Kluft, und ein Stück duftender, rauschender Wald neigt mit der sinkenden „Wand“ dem kahlen steinigen Abgrunde zu.

Ist es aber so weit nun mit dem sterbenden Felsgliede, dann werden, von vorsichtigen Brechern, Reihen von mächtigen Holzkeilen auf der Höhe in die gebildeten Spalten getrieben, ein Theil der stützenden Stempel wird dünn gehackt und der Rest mit tiefen Bohrlöchern versehen, die man mit Pulver füllt und mit langsam brennenden Zündern versorgt. Mit gewaltigen Holzschlägeln wird, von colonnenweis aufgestellten Leuten, oben auf die Keile geschlagen und Keil vor Keil gesetzt, wie der Spalt sich weitert und der Felskoloß sich neigt. Ununterbrochener wird Knallen, Prasseln, Rieseln und Kollern im Innern – jetzt neigen sich die ersten Stämmchen auf dem Kamme und stürzen mit einem mächtigen Gusse von Schutt in die Tiefe, jetzt folgen ihnen große Geröllsteine und donnern, in Staub zerberstend, auf das Holz herab – jetzt lösen sich Schalen, Hunderte von Centnern an Gewicht, und erfüllen das Thal mit hallendem Donner. Immer leichter ziehen die Keile! Jetzt wird von einem beherzten Manne Feuer an die Zünder in den stützenden Stempeln gelegt. Weit hinaus weckt der Knall des zersplitternden Holzes das Echo der Waldberge, der leichte, blaue Pulverrauch wirbelt empor. – – Jetzt der zweite Schuß, der dritte, fünfte, zehnte – das Echo braust ununterbrochen – die Wand hüllt sich in blaue Pulverschleier! – Da schüttelt sie plötzlich die Krone von Wald von ihrer hohen Stirne – mit stöhnendem Sausen stürzen die Reihen der Fichten, in der Luft wirbelnd, mit Grund und Boden, Schutt und Land in die Tiefe. Ein Katarakt von Geröll folgt! – „Die Wand kömmt!“ Die Erde scheint sich zu spalten, denn riesige Risse schießen, so weit und breit der Blick die Felswand umfaßt, über die hohe Steinmasse dahin. – Dem Zuschauer schwindelt – die Grundfeste der Erde scheint in Bewegung – die Wand neigt sich – und nun ist nichts als Erdezittern und Donnern und Durcheinanderwälzen von Felsblöcken und unermeßliches Staubgewölk, über das, wie vulcanisch geschleudert, Baumstämme und Felsen emporspringen und aus dem hervor eine Anzahl hausgroßer, unförmlicher Blöcke, wie eine Heerde wildgewordener Elephanten, den Wald wie Gras zerquetschend, hinunter nach dem Strome setzen. – Und die ganze Atmosphäre ist nur eine Sturmesbewegung von Schall und Luftdruck – und dann wieder vollkommene Todesstille. Die erschütterten Menschen schweigen, wie die erschrockenen Vögel. – Alles ist vorüber, und nur der Fels sieht so ganz anders aus, wie seit zehntausend Jahren. –

So fällt die vorsichtig gefällte, glücklich stürzende Wand.

Wehe aber, wenn sie mit ihrem Falle die unglücklichen Arbeiter in der Höhlung überrascht und sie entweder, fast muß man dies Glück nennen, im Nu erdrückt, oder in entsetzlichen, niedrigen, unter dem gestürzten Berge übrig bleibenden Steinsärgen lebendig begraben, dem furchtbarsten Tode des Erstickens, Verhungerns oder Verdurstend, oder, selbst im Falle sie durch unerhörte Anstrengungen gerettet werden sollten, der entsetzlichsten Todesangst preisgiebt!


Wer von dem reizenden kleinen Badeorte Schandau aus gemächlich am rechten, waldigen Ufer der Elbe hin stromaufwärts wandert, erreicht bald eine links in die Felswände hineinschneidende, enge Schlucht, die wegen Gott weiß welchen glücklichen Gebräudes in einem der Dörfer, zu dem der Weg durch die Schlucht leitet, im Volksmunde den drolligen Namen „zum guten Bier“ führt. Das Thor der Schlucht bilden hohe Wände von trefflichem Gestein, und rechts und links sind daher die stolzen Felsenmassen durch zwei gewaltige Steinbrüche defigurirt, deren mächtige Halden, zwischen denen der umbuschte Grundweg empor gewunden ist, sich bis an das Ufer der Elbe strecken. An der thalwärts gekehrten Ecke des Grundes liegt der größte der beiden Steinbrüche, dessen Hauptfronte, in einer Länge von 250–300 Ellen, nach der Elbe zu gekehrt ist. In dieser Richtung wurden auch in dem Bruche die Wände gefällt. Die Halde des Bruchs erhebt sich, dicht vom Elbufer, circa 60 Ellen hoch steil empor, dann nimmt ein ungefähr 100 Ellen breites, horizontales Vorland das fallende Gestein auf. Von diesem kleinen Plateau aus erhebt sich dann die eigentliche Bruchwand wieder ungefähr 70 Ellen hoch vollkommen vertical. Nach der Schlucht „zum guten Biere“ hin war die Felsmasse so gut wie gar nicht angebrochen.

Dieser Steinbruch, der sehr schönen, besonders sehr weißen Stein lieferte, gehörte seit geraumer Zeit einem, leider nun verstorbenen, wackern Industriellen, G. Quandt mit Namen, dessen Thätigkeit mit Oelmühlen, Schifferei, Steinbruchbetrieb, Flößerei das obere Elbthal belebte. Während fünf Jahren wandte dieser wohlhabende Mann bedeutende Summen auf das „Hohlmachen“ einer außerordentlich großen Wand in diesem Bruche, die in einer Länge von 150 Ellen und einer Höhe von durchschnittlich 40 Ellen fallen sollte. Die Stärke und der feste Zusammenhang der Bänke widerstand aber in außerordentlicher Weise den Bestrebungen, so daß die „Höhlung“ schon 25 und 27 Ellen tief hineingedrungen war, ohne daß sich irgend welche Anzeichen, die auf den baldigen Fall der Wand gedeutet hätten, kund gaben. Bloß ein Theil der unteren Bank, von trefflichem Gestein, brach im vorigen Herbste nieder, wodurch die „Höhlung“ an einigen Stellen über mannshoch wurde. Als die jetzigen Besitzer des Bruchs, die Herren Fröde und Pieschel, den Bruch nach Quandt´s Tode kauften, beschlossen sie, den schönen Stein der gefallenen untern Bank während des Winters zu Steinwaaren verarbeiten zu lassen und dieselben, zu verwerthen, während dieser Zeit aber die Arbeiten am Hohlmachen einzustellen, damit der Sturz der Wand nicht etwa die fertigen Steinwaaren zerstören möchte.

Niemand dachte somit an den Fall der Wand, die, wie gesagt, noch keinerlei Anzeichen gegeben hatte, daß sie demselben nahe sei.

So hatten sich denn die Arbeiter auch in der anscheinend völlig sicheren Hohlung selbst einen Schutz vor den scharfen Thalwinden geschaffen, indem sie in der zumeist stromauf gekehrten Ecke derselben Geröll, sogenannte Horzeln, und sonstigen Bruchabfall, zu einer Art dicken Mauer zusammenhäuften, die, fast bis an die untere Platte der Höhlung reichend, mit den Felswänden der Höhlung selbst zusammen, eine Art geschlossenen Raum herstellte, dessen Decke die genannte Felsplatte bildete, der sein Licht durch einen zwischen Platte und Schuttmauer gelassenen Spalt erhielt und in und aus welchem man durch eine freigelassene, große Oeffnung in der Schuttwand verkehrte.

Der innere Raum dieser Art von Steinhütte war ungefähr acht Schritt in’s Geviert groß und so hoch, daß ein Mann gerade darin stehen konnte. Die Platte der Wand ragte über denselben fast noch 10 Ellen weit horizontal, elbwärts hinaus. Es war ein ganz behaglicher Winkel da für die armen Steinbrecher; wie in einem Keller, kühl im Sommer, lauwarm im Winter. – Lustig knisterte hier am Morgen des 25. Jan. ein Feuerchen, an dem ein 14jähriger Knabe, Sohn eines der 24 Steinbrecher draußen, deren Eisen im muntern Klingklang auf dem Gestein seit Tagesgrauen erschallt war, den Kaffee zum zweiten Frühstücke der Männer bereitete. Sie ließen sich nicht zweimal rufen, als, nach

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_154.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)